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Unter ProtestEx-Landratskandidat Johannes Winckler verlässt die CDU im Kreis Euskirchen

Lesezeit 7 Minuten
Das Bild zeigt eine Szene vom Wahlabend 2020. Johannes Winckler steht vorne, mehrere CDU-Mitglieder haben einen Halbkreis um ihn gebildet und applaudieren ihm. Alle tragen Corona-Schutzmasken.

Ein Bild aus längst vergangenen Tagen: Die CDU-Granden applaudieren im Herbst 2020 ihrem Landratskandidaten Johannes Winckler für seinen Einsatz im Landratswahlkampf. Am Wochenende trat Winckler aus der Partei aus.

Dieses Mal ist es Friedrich Merz nicht schuld. Winkler kritisiert vielmehr die Kreistagsfraktion und Euskirchens Bürgermeister Sacha Reichelt.

Dieses Mal ist es Friedrich Merz nicht schuld. Johannes Winckler, Landratskandidat von 2020, ist am Wochenende nach 27 Jahren aus der CDU ausgetreten. Und das nicht wegen der Inkaufnahme von ausschlaggebenden Stimmen der AfD im Bundestag durch Kanzlerkandidat Merz, die der Kaller Bürgermeister Hermann-Josef Esser kürzlich als Grund für seinen Parteiaustritt genannt hat.

Wincklers Begründung trifft vielmehr die CDU, die im Kreis und die in der Stadt Euskirchen. Als quasi letzte Handlung als Christdemokrat hatte Winckler am Freitagabend mit einer kleinen Minderheit gegen die Aufstellung von Sacha Reichelt als CDU-Bürgermeisterkandidaten für die Wahl im September gestimmt.

2020 unterlag Johannes Winckler dem SPD-Kandidaten Markus Ramers

„Es ist nicht okay, wenn sich einer vor der Wahl 2020 überall anbiedert und dann plötzlich die Liebe zur CDU entdeckt“, kritisiert Winckler den Euskirchener Bürgermeister direkt und die CDU-Stadtverbandsführung indirekt dafür, dass sie sich darauf eingelassen habe. Beide Seiten hatten zuvor erklärt, sich in den vergangenen knapp fünf Jahren politisch und menschlich nähergekommen zu sein.

Der Hauptgrund für Wincklers Parteiaustritt ist aber die Finanzpolitik der CDU-Kreistagsfraktion. Vor wenigen Wochen, als bekannt wurde, dass die Kommunen zum Kreishaushalt 2025 rund 230 Millionen Euro und somit 31 Millionen mehr als 2024 beisteuern sollen, hatte Winckler seinen Gegner von 2020 hart kritisiert – und stieß auf Zustimmung bei CDU-Kreistagsfraktionschefin Ute Stolz.

Markus Ramers, so Winckler, habe 2020 seinen Wahlkampf mit attraktiven Vorschlägen wie beitragsfreien Kitas bestritten, bei deren vollständiger Realisierung die Finanzlage des Kreises und der Kommunen aber heute noch desaströser wäre.

Man muss auch so ehrlich sein, dass die CDU seit Jahren mit zu dieser Situation beigetragen und die Belange der Kommunen kaum berücksichtigt hat.
Johannes Winckler

Wincklers aktuelle Einlassungen dürften Ute Stolz nun weniger gut gefallen. „Man muss auch so ehrlich sein“, so Winckler, „dass die CDU seit Jahren mit zu dieser Situation beigetragen und die Belange der Kommunen kaum berücksichtigt hat.“

Trotz der CDU-Dominanz im Kreistag sei es zu einer Situation gekommen, „in der die Kämmerer der Kommunen des Kreises Brandbriefe schreiben müssen, um ansatzweise handlungsfähig bleiben zu können“, so der frühere Landratskandidat.

Auch die CDU trage Schuld daran, dass die Kreisumlage über Jahre hinweg stetig gewachsen sei und dass Städte und Gemeinden nun um den „letzten Rest ihrer Handlungsfreiheit“ kämpfen müssten.

CDU-Fraktionschefin Ute Stolz erklärt dazu, sie hätte es besser gefunden, wenn Winckler das persönliche Gespräch gesucht hätte, bevor er seinen Austritt öffentlich verkünde. Mehr wolle sie nicht dazu sagen.

Winckler lobt früheren Euskirchener Bürgermeister Dr. Uwe Friedl

Auf die Frage, ob er angesichts des von ihm kritisierten Verhaltens der CDU inzwischen vielleicht ganz froh sei, 2020 nicht zum Landrat gewählt worden zu sein, antwortete Winckler: „Es ist nicht klar, inwieweit ich mich in der Funktion dagegen hätte wehren können. Ich wäre aber notfalls auch mit der CDU-Fraktion in den Clinch gegangen.“ So wie es sein früherer Chef, Dr. Uwe Friedl, als Bürgermeister der Stadt Euskirchen getan habe, wenn die Politiker im Rat Wünsche geäußert hätten, die Friedl nicht für finanzierbar gehalten habe.

„Das ist übrigens der Grund, warum die Stadt heute noch finanziell vergleichsweise gut dasteht“, sagt Winckler, der unter Friedl Beigeordneter der Kreisstadt war.

Mit seinem Austritt und vor allem mit der Begründung untermauert Winckler die harsche Kritik, die die elf Bürgermeisterinnen und Bürgermeister seit Wochen in Richtung Kreishaus artikulieren. Erst am Freitag, in einer gemeinsamen Pressekonferenz, warfen sie Landrat und Kreistag vor, die Belange der Kommunen aus den Augen verloren zu haben.

CDU-Kreistagsfraktionschefin weist den Vorschlag der Bürgermeister zurück

Während der Kreistag viel Geld für schöne, aber nicht mehr leistbare Projekte ausgebe, müssten die Kommunen Leistungen für die Bürger streichen und die Steuern erhöhen. „Wir müssen Stellen streichen, und der Kreis stellt jemanden ein, der den Hamster beaufsichtigt“, heißt es da unter anderem. 15 Millionen, fordern die Rathauschefs, soll der Kreistag einsparen, um den Anstieg der Kreisumlage zu halbieren.

Erster Ansprechpartner dafür wäre die Listengemeinschaft aus CDU, FDP und UWV, die eine Mehrheit im Kreistag bildet. Und da ist man sich uneinig – etwa beim Thema „Globaler Minderaufwand“. Dessen Anwendung fordern die Bürgermeister vehement. Sie machen ein Sparpotenzial von 10,5 Millionen Euro aus, indem die Ausgaben des Kreises pauschal um zwei Prozent niedriger veranschlagt werden. Denn die Erfahrung zeige, dass die eingeplanten Mittel im Jahresverlauf ohnehin nicht alle abgerufen würden.

Doch die Anwendung dieses vom Gesetzgeber genehmigten Verfahrens lehnt Ute Stolz grundsätzlich ab, während ihre Fraktionsvorsitzenden-Kollegen in der Liste, Frederik Schorn (FDP) und Franz Troschke (UWV), sie befürworten.

FDP und UWV im Kreistag Euskirchen geben den Bürgermeistern Recht

„Das funktioniert so nicht“, sagt Ute Stolz: „Man kann die Grundsicherung ja nicht um zwei Prozent senken.“ Das wissen die Bürgermeister aber natürlich auch. Dafür gebe es aber einige Posten, die erfahrungsgemäß zu einem höheren Satz als zwei Prozent nicht abgerufen würden, etwa im Straßenbau. „Darum heißt es ja global“, erläuterte Euskirchens Bürgermeister Sacha Reichelt in der Pressekonferenz am Freitag.

Stolz und die CDU-Fraktion gehen hingegen den konventionellen Weg und durchforsten den Kreisetat Posten für Posten nach weiteren Einsparmöglichkeiten. „Wir nähern uns den fünf Millionen“, gibt sie eine Wasserstandsmeldung ab.

Das ist sicher nicht nichts, aber die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister benötigen nach eigenem Bekundungen das Dreifache an Entlastungen. Damit rennen sie bei FDP und UWV offene Türen ein. „Ich fühle mich bestätigt“, sagt FDP-Kreispartei- und Fraktionschef Frederik Schorn: „Seit zehn Jahren sagen wir, dass der Kreis sich zu sehr um seine Neben- und zu wenig um seine Kernaufgaben kümmert.“

Was ist denn eigentlich in der CDU los?
Thilo Waasem, SPD-Kreisvorsitzender

Er nennt als Beispiele die Aufgaben, die der Kreis etwa in den Bereichen Nachhaltigkeit oder Klimaschutz angegangen sei. „Alles prima, alles super“, so Schorn: „Aber das sollen die Kommunen selbst entscheiden, ob sie das wollen. Sie müssen es ja auch bezahlen.“ Er könne gut damit leben, wenn der „Globale Minderaufwand“ am Kreishaushalt angewendet würde, erklärt der Liberale.

Er sei sich aber auch sicher, dass die Liste am Ende einen Vorschlag vorlegen wird, „mit dem die Gemeinden gut leben können“. Schorn stimmt den Bürgermeistern im Übrigen zu, dass der Kreis, der sich ja per Umlage finanziere, „keine so fette Rücklage“ brauche.

Ähnlich denkt Franz Troschke. Die scharfe Kritik der Bürgermeister halte er für „völlig berechtigt“, sagt der UWV-Fraktionschef: „Der Mechernicher Kämmerer Ralf Claßen hat ja völlig Recht. Andere Kommunen wenden den Globalen Minderaufwand ja auch an.“ Die Kommunen seien auf diese 10,5 Millionen Euro dringend angewiesen.

Die Streitlinien gehen mitten durch die CDU im Kreis Euskirchen

Auch die Rücklage des Kreises müsse aufgelöst werden, um mit dem Geld die Kommunen zu entlasten. „Die hängen am Tropf“, sagt Troschke. Wie die Rathaus-Chefs spricht auch er sich dafür aus, die Arbeit am Masterplan Radverkehr, der immense Folgekosten für die Städte und Gemeinden zeitige, zumindest mal zurückzustellen – so wünschenswert das Projekt auch sei.

Doch zurück zur CDU: Mitten durch sie hindurch gehen die Streitlinien. Sie stellt die meisten Bürgermeister im Kreis, die genau das fordern, was ihre Parteikollegen im Kreistag vehement ablehnen. Mehr noch: Der Schleidener Verwaltungschef Ingo Pfennings, der die Forderungen der Bürgermeister auch unterschrieben hat, ist CDU-Kreisparteivorsitzender. Da besteht offenkundig noch Klärungsbedarf. Das weiß auch Ute Stolz. Sie kündigt im Gespräch mit dieser Zeitung weitere Gespräche mit den Parteikollegen in den Rathäusern an.

Johannes Winckler will sich auch weiterhin öffentlich äußern

SPD-Kreischef Thilo Waasem würde indessen seinen Job verfehlt haben, wenn er auf diese Unstimmigkeiten beim politischen Gegner nicht hinweisen würde. „Was ist denn eigentlich in der CDU los?“, fragt der Sozialdemokrat mit besorgtem Unterton.

Von der Anwendung des Globalen Minderaufwandes hält Waasem nichts, den Einsparvorschlag „Einstellung Masterplan Radverkehr“ für ein Feigenblatt – und überhaupt: Ton und Schärfe, mit der die CDU-Bürgermeister den Kreis attackieren, seien „schon bemerkenswert“, so Waasem: „Die sitzen da und schimpfen auf eine Haushaltspolitik des Kreises, die in den letzten Jahren immer maßgeblich von der CDU-Kreistagsfraktion beschlossen wurde.“

Wer so auf den Kreis schimpfe, so Waasem, tue der eigentlich verantwortlichen Ebene, nämlich dem Land, „den schönen Gefallen, dass sie aus dem Fokus gerät“.

Johannes Winckler beobachtet das Ganze nun interessiert als Parteiloser. Er hat sich aus der aktiven Politik zurückgezogen, arbeitet als Anwalt. Einer anderen Partei wolle er sich – in absehbarer Zeit zumindest – nicht anschließen. Aber weil ihm die Entwicklung der Gesellschaft am Herzen liege, behalte er sich vor, sich auch weiterhin als Bürger politisch zu äußern. Gut möglich, dass manche Politiker das eher als Drohung empfinden.