Dass sie 230 Millionen Umlage zahlen sollen, veranlasst die Bürgermeister im Kreis Euskirchen zu einer außergewöhnlichen Maßnahme.
„Es brennt lichterloh“Bürgermeister stellen Knallhart-Forderungen an den Kreis Euskirchen
![Marcel Wolter, Ingo Pfennings, Norbert Crump und Dr. Hans-Peter Schick sitzen am Tisch und blicken ernst.](https://static.ksta.de/__images/2025/02/09/dfcd982e-06f6-4241-84c4-e2cba4739be3.jpeg?q=75&q=70&rect=0,0,4000,2250&w=2000&h=1502&fm=jpeg&s=a5dd10fe8f09e95c6fadfbd6a3300e57)
Der Schleidener Kämmerer Marcel Wolter und die Bürgermeister Ingo Pfennings (Schleiden), Norbert Crump (Nettersheim) und Dr. Hans-Peter Schick (Mechernich)
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Anna-Katharina Horst ist ja nun auch schon einige Jahre in Amt und Würden. Doch dass die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister im Kreis Euskirchen zu einer gemeinsamen Pressekonferenz einladen, habe sie noch nicht erlebt, so die Weilerswister Verwaltungschefin. Die Not muss also groß sein.
Der Frust in den Rathäusern ist es jedenfalls. Und die Kritik am Kreis ist scharf. Rund 230 Millionen Euro sollen die elf Städte und Gemeinden in diesem Jahr an den Kreis zahlen, etwa 31 Millionen mehr als 2024.
Bereits in den vergangenen Wochen schallte der Alarm aus den Rathäusern: Leistungen runter, Steuern rauf – mehr bleibe nicht übrig angesichts dieser Forderungen aus dem Kreishaus. „Wir haben aber bisher nicht den Eindruck, dass unsere Belange beim Kreis ernst genommen werden“, sagt Anne Horst.
![Bürgermeister und Kämmerer haben sich zu einem Foto aufgestellt.](https://static.ksta.de/__images/2025/02/09/9fc8a634-abfc-4980-92a3-472a6939dfdd.jpeg?q=75&q=70&rect=601,662,2732,1536&w=2000&h=1502&fm=jpeg&s=fa792369cd9e635d79fabd9837b55830)
Zu einem richtigen Gipfeltreffen gehört auch das traditionelle „Familienfoto“: die Bürgermeister und Kämmerer vor dem Rathaus in Mechernich.
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Daher dieser mediale Aufschlag. Und daher die deutliche Forderung, die die Rathauschefs und ihre Kämmerer an Landrat Markus Ramers und die Mitglieder des Kreistags im Vorfeld ihrer Haushaltsberatungen stellen: Einsparungen im Haushalt in Höhe von mindestens 15 Millionen Euro.
Dagegen sind die fünf Millionen Euro Einsparungen, die CDU-Kreistagsfraktionschefin Ute Stolz im ersten Schock über die Eckpunkte des Haushaltsentwurfs im November vom Landrat forderte, fast schon ein Schnäppchen. Sie und ihre Kollegen im Kreistag haben nun per Post die Forderung aus den Rathäusern erhalten, das Dreifache einzusparen.
Kreispolitiker sollen Kommunen um 15 Millionen entlasten
Denn so könnte die Steigerung der Kreisumlage immerhin um fast die Hälfte gesenkt werden. Die Vertreter der elf Städte und Gemeinden fordern nicht weniger als ein radikales Umdenken im Kreis. Denn, so Anne Horst: „In den Kommunen brennt es lichterloh.“
Was die Kreisumlagen-Explosion für die Kommunen in der Praxis bedeutet, macht Schleidens Kämmerer Marcel Wolter deutlich: „Wir haben alle Stellen, die nicht besetzt waren, gestrichen – auch die, die schon ausgeschrieben waren.“
Gleichzeitig sei die Grundsteuer B, die Immobilienbesitzer und Mieter per Nebenkosten zahlen müssen, kräftig erhöht worden – auf einen Hebesatz von 1800 Prozent. „Damit sind wir unter den Top 10 in NRW. Da sind wir nicht stolz drauf“, klagt Wolter. Sein Chef, Schleidens Bürgermeister Ingo Pfennings, fügt hinzu: „Wir kriegen 250 Millionen Wiederaufbauhilfe nach der Flut, können uns aber niemanden leisten, der das Ganze koordiniert."
Wir müssen Stellen sparen, und der Kreis stellt jemanden ein, der den Hamster beaufsichtigt.
Der Stadtrat habe den Haushalt 2025 schon verabschiedet gehabt. Als dann aber die Hiobsbotschaft aus dem Kreishaus kam, mussten die Politiker das Paket wieder aufschnüren, den Rotstift kreisen lassen und die Steuern erhöhen.
Doch kann man die Kommunen wirklich um 15 Millionen entlasten? Kann man, wenn man will, sagen die Bürgermeister. Allein die vom Gesetzgeber genehmigte Anwendung des „Globalen Minderaufwandes“ brächte 10,6 Millionen.
Mit diesem Instrument könnten die geplanten Ausgaben im Kreishaushalt unter dem Strich pauschal um zwei Prozent niedriger veranschlagt werden – aus der vieljährigen Erfahrung heraus, dass in der Regel ohnehin nicht alle Mittel abgerufen werden. Zwei Prozent seien schon ein äußerst vorsichtiger Ansatz, so sie Kommunalvertreter.
Bürgermeister: Hohe Kreisumlage führt zu Steuererhöhungen
Dass der Kreis sich dagegen sträube, löst bei den Verantwortlichen in den Rathäusern Kopfschütteln aus. „Wir tun es doch auch“, ruft Mechernichs Kämmerer Ralf Claßen. Seine Stadt müsse dieses Jahr mit 6,7 Millionen in die Miese gehen, 63 Prozent davon durch die Steigerung der Kreisumlage.
Weitere zwei Millionen könnten eingespart werden, wenn der Kreis „die bescheuerte Ausgleichsrücklage“ (Claßen) zugunsten der Kommunen auflösen würde. Wozu brauche der Kreis eine Rücklage, fragt Claßen. Wenn tatsächlich mal mehr Geld wegen ungeahnter Ereignisse gebraucht werde, könne er immer noch eine Sonderumlage beschließen.
Das sei jedenfalls besser, als wenn das Geld zwischenzeitlich in der Rücklage schlummere und die Kommunen währenddessen zinsträchtige Kassenkredite aufnehmen müssten, um über die Runden zu kommen. Zwischen 2009 und 2022 habe der Kreis zudem sein Eigenkapital um 41,4 auf 62,8 Millionen Euro gesteigert – auf dem Rücken der Städte und Gemeinden, wie deren Vertreter monieren.
Wir haben aber bisher nicht den Eindruck, dass unsere Belange beim Kreis ernst genommen werden.
Sie fordern einen Abbau, damit sie nicht so viel an den Kreis zahlen müssen. „Die 62,8 Millionen Euro kommen doch von uns“, stellt der Euskirchener Bürgermeister Sacha Reichelt fest: „Der Kreis hat ja kein eigenes Geld. Das ist Geld, das in den Vorjahren durch zu viel geleistete Kreisumlage angespart wurde.“
Reichelt muss für die Kreisstadt ein Defizit von 28,6 Millionen Euro veranschlagen, 8,9 Millionen davon durch die Steigerung der Kreisumlage. 2,4 Millionen Euro, schlagen die Finanzexperten aus den Kommunen vor, könnten zusätzlich eingespart werden, wenn der Kreis grundsätzlich mal auf eine „kommunenfreundliche Planung“ umsteige – etwa im Personalbereich.
Lebt der Kreis in „Saus und Braus“ und die Kommunen müssen's zahlen?
300 zusätzliche Stellen habe der Kreis in den vergangenen zehn Jahren dazubekommen. „Das allein ist die dreifache Anzahl der Stellen in der Kernverwaltung im Zülpicher Rathaus“, schimpft Zülpichs Bürgermeister Ulf Hürtgen.
Die Römerstadt geht unterdessen mit geplanten 1,9 Millionen Miese in dieses Haushaltsjahr. Müsste sie nicht 3,7 Millionen Umlagensteigerung einkalkulieren, wäre sie im Plus. „Wenn die Erledigungsquote beim Kreis dann entsprechend hoch wäre, könnte man ja damit noch leben“, schiebt Hürtgen seiner Kritik an der Kreis-Personalpolitik hinterher.
Klar, der Kreis habe auch neue Aufgaben aufgetragen bekommen, konzediert Claßen. Die Mitarbeiter leisteten gute und wichtige Arbeit für die Städte und Gemeinden, etwa im Jugendbereich. Aber das rechtfertige nicht eine solch hohe Kreisumlage.
Rathauschefs: Masterplan Radverkehr ist schön, aber viel zu teuer
„Es ist ja das Geld aller Bürger im Kreis“, stellt Claßen klar. Sollte die Kreisumlage tatsächlich von 2025 bis 2028 wie prognostiziert um insgesamt 55,6 Millionen steigen, seien weitere schmerzhafte Steuererhöhungen nicht zu vermeiden: Für 80 Prozent der Grundsteuer-B-Pflichtigen stiegen dann nach und nach die Steuern, bis sie 2029 jährlich etwa 585 Euro mehr zahlen müssten als heute, 18 Prozent sogar 1169 Euro mehr und zwei Prozent 2285 Euro mehr, rechnet Claßen vor.
Ihren Frust ließen sie dann im jeweiligen Rathaus ab und nicht im Kreishaus. Vielleicht sollte künftig auch der Stempel des Kreises die Steuerbescheide zieren, so Schleidens Kämmerer Wolter.
Nicht nur die klaren Forderungen, auch die Schärfe der Kritik zeigt: Es rumpelt mächtig in der „kommunalen Familie“, als die das Zusammenleben von Kommunen und Kreis gerne bezeichnet wird: „Wenn wir aber diese kommunale Familie sein wollen, kann der eine nicht leben wie Gott in Frankreich und wir Kommunen müssen das dann erwirtschaften“, sagt Claßen: „Wir müssen Stellen sparen, und der Kreis stellt jemanden ein, der den Hamster beaufsichtigt.“
Kreistag soll den Haushalt und die Umlage im April beschließen
Soll heißen: Die Kreispolitiker griffen gerne in alle möglichen Fördertöpfe, vernachlässigten aber Eigenanteile und Folgekosten. Glaube denn wirklich jemand, fragt Claßen, dass etwa Bad Münstereifel und Schleiden mit Flutschäden von jeweils mehr als 200 Millionen Euro keine anderen Sorgen hätten, als die Realisierung eines Masterplans Radverkehr?
Dieses 130-Millionen-Projekt werde zwar kräftig gefördert, doch Millionenkosten für Eigenanteil, Personal- und Pflegekosten fänden sich dann in der Kreisumlage von morgen wieder. Nicht alles, was wünschenswert sei, sei auch bezahlbar.
Der Kreis, so Claßen, verhalte sich wie der verwöhnte Sohn, dem Papa (also die Kommunen) das Leben in Saus und Braus finanziere. „Erst wenn ich aber selber für meine Finanzen verantwortlich bin, gehe ich auch anders damit um“, fordert Claßen ein Umdenken.
Stattdessen fordere der Kreis als Kommunalaufsicht die Kommunen auch noch zum Sparen auf – und im schlimmsten Falle zur Einhaltung des Haushaltssicherungskonzepts. Was diese finanziellen Daumenschrauben bedeuten, wissen die Bad Münstereifeler (7,9 Millionen Defizit/2,7 Millionen Kreisumlagenanstieg) nur zu gut.
„Wir schaffen es kaum, die noch zulässigen Defizite einzuhalten“, sagt Bürgermeisterin Sabine Preiser-Marian. Eine Schließung des Eifelbades stehe nicht zu Diskussion, versichert sie. Von einer längerfristigen Bestandsgarantie spricht aber auch niemand. Am 9. April sollen Kreishaushalt und – umlage beschlossen werden. Die Forderungen der Kommunen liegen jedenfalls auf dem Tisch.
Das sagt Landrat Markus Ramers zur Kritik der Bürgermeister
Mehr als 300 Millionen Euro des gut 530 Millionen Euro umfassenden Kreishaushaltes fließen in Transferleistungen. Die Kosten im Sozial- und Jugendbereich steigen im Entwurf des Kreises für das Jahr 2025 um weitere 3,6 Millionen Euro. Das teilt die Kreisverwaltung mit. Dies betreffe etwa die Kosten für die Kitas und die Aufwendungen für die stationäre Hilfe zur Pflege.
Die Kreisverwaltung forciere die Suche nach weiteren Einsparpotenzialen, heißt es in einer Kreismitteilung. „Bereits vor der Aufstellung des Haushalts hatte Kämmerer Ingo Hessenius ein umfangreiches Einsparprogramm verordnet, das im Ergebnis fast drei Millionen Euro erbrachte“, so die Verwaltung.
Jetzt plane die Verwaltung, die Aufwendungen im Personalbereich gegenüber dem ursprünglichen Ansatz um weitere 3 Millionen Euro (davon 1,5 Millionen umlagerelevant) zu verringern, heißt es weiter. Darüber hinaus sollen für 2025 geplante Projekte zunächst verschoben werden, etwa Baumaßnahmen an Schulen oder Kreisstraßen, die zusammen mit weiteren Einsparungen Verbesserungen von mehr als zwei Millionen Euro für den Haushalt bedeuteten.
„Es ist ernüchternd, dass unsere Konsolidierungsanstrengungen im Ergebnis kaum sichtbar sind, da Kostensteigerungen im Sozialbereich sie in ähnlicher Höhe wieder aufzehren“, sagt Kämmerer Ingo Hessenius.
Landrat Markus Ramers betont, „dass Kreistag und Kreisverwaltung den Haushaltsentwurf aktuell intensiv beraten und gemeinsam jeden Stein umdrehen, um die Belastung unserer Städte und Gemeinden durch die Kreisumlage zu begrenzen.“ Der größte Teil des Kreishaushalts umfasse aber gesetzliche Pflichtaufgaben, in denen es kaum Möglichkeiten gebe, die Aufwendungen zu reduzieren.
Auch freiwillige Leistungen wie gemeinsame Projekte mit den Städten und Gemeinden würden unter die Lupe genommen. Konkret werde der Landrat dem Kreistag vorschlagen, das Starkregenrisikomanagement wieder in die alleinige Verantwortung der Städte und Gemeinden zu geben: „Wir haben für alle Städte und Gemeinden die Starkregengefahrenkarten erstellt.“ Er erwarte, dass die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister die weiteren Schritte im Sinne des Bevölkerungsschutzes zukünftig eigenverantwortlich übernähmen.
„Ich kann die Not der Städte und Gemeinden sehr gut nachvollziehen. Wir entlassen allerdings Bund und Land aus ihrer Verantwortung, wenn wir in der kommunalen Familie gegenseitig mit dem Finger aufeinander zeigen, anstatt gemeinsam für eine auskömmliche Finanzierung zu streiten.“ Schließlich sei allgemein bekannt, dass die strukturelle Schieflage nicht von Kreisen, Städten und Gemeinden behoben werden könne.
„Wer eine Senkung der Kreisumlage in Millionenhöhe einfordert, muss auch sagen, an welcher Stelle. Wir setzen uns mit allen Vorschlägen ernsthaft auseinander. Nach meiner Ansicht sind allerdings Einsparungen im Bereich der Kita-Betreuung, der Bildung oder des Bevölkerungsschutzes nicht im Sinne der Menschen im Kreis Euskirchen“, erkärt Landrat Ramers.