Die Grundschulen im Kreis berichten von den Nachwirkungen der Krisen und Katastrophen, die sich auch auf die Kinder niederschlagen.
Flut und PandemieGrundschulen im Kreis Euskirchen kämpfen mit den Folgen der Krisen
2,70 Meter – so hoch stand das Wasser auf dem Schulhof der Grundschule in Gemünd. Das Wasser ist weg, die Räume sind getrocknet, die Wunden aber noch spürbar. „Wir haben eine Schülerin, die habe ich seit der Flut nicht mehr lächeln gesehen“, sagt Brigitte Wilhelms, Leiterin des katholischen Grundschulverbunds mit seinen Standorten in Gemünd und Dreiborn.
Es sei nach dem Hochwasser unheimlich wichtig gewesen, den jungen Schülern möglichst schnell wieder etwas Normalität geben zu können. Diese Normalität spielte sich in Gemünd vor allem im ersten Obergeschoss ab – alles andere war von den Wassermassen zerstört worden. Auch knapp zwei Jahre nach der Katastrophe sind noch nicht alle Schäden behoben. So wird laut Marcel Wolter, Beigeordneter der Stadt Schleiden, die Heizung erst in den kommenden Wochen eingebaut.
An den Schulen ist es eng – zu wenig Raum für Bedürfnisse der Kinder
Die Hermann-Josef-Grundschule in Euskirchen war nicht vom Hochwasser betroffen – zumindest nicht direkt. Indirekt spürt Schulleiter Torsten Wanasek die Auswirkung dann doch. „Wir standen auf der Prioritätenliste der Stadt mit unserem Anbau sehr weit oben. Dann kam das Wasser. Nun müssen wir uns gedulden, wofür wir aber natürlich tiefstes Verständnis haben“, so Wanasek.
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An der Schule am Eifelring ist – wie an vielen Schulen im Kreis – die Raumnot groß. „Wir haben seit Jahren keinen Fachraum mehr. Die werden alle als Klassenräume genutzt“, erklärt Wanasek. Die Raumnot sei entstanden, weil die Aufgaben der Institution Schule komplexer und vor allem vielfältiger geworden seien, so der Schulleiter.
So gebe es mittlerweile ein großes multiprofessionelles Team, das beispielsweise für die Kleingruppenförderung einen Raum benötigt. „Dann brauche ich einen Raum für die Sprachförderung der ukrainischen Kinder, die können ja nicht in der Klasse sitzen und laut lesen, während der Rest der Klasse in Stillarbeit Aufgaben löst“, führt Wanasek aus.
Kinder weisen häufiger mangelnde soziale Kompetenzen und Grundfähigkeiten auf
Aber auch in der Klasse selbst müsse der vorhandene Raum längst bestmöglich ausgenutzt werden. Wanasek nennt das Beispiel eines Kindes, das integrativ mit einer Sehschwäche gefördert wird. Das Kind benötige eine spezielle Lampe und einen speziellen Tisch, um am Schulalltag teilnehmen zu können. „Das sind Dinge, die wir sehr gerne machen, uns aber auch vor Herausforderungen stellen“, erklärt Wanasek.
Sowohl er als auch die Gemünder Schulleiterin berichten, dass nicht nur die Flut etwas mit den Kindern gemacht habe, sondern auch die Corona-Pandemie. Und auch Schulrätin Bärbel König blickt kritisch auf die Pandemie zurück. „Es ist richtig, dass sich die Schülerinnen und Schüler auch im Grundschulbereich teilweise erst wieder an den Präsenzunterricht gewöhnen müssen“, sagt die Expertin im Gespräch mit dieser Zeitung.
Auffällig sei vor allem auch, dass viele Kinder „Defizite im Hinblick auf soziale Kompetenzen aufweisen“. Denn insbesondere in der Grundschule lernen die Kinder neben den Fachinhalten auch den Umgang miteinander im Schulalltag sowie das Verhalten im Unterricht.
„Die Schere ist durch Corona noch einmal größer geworden“
Zudem werde aus den Schulen zurückgemeldet, dass viele Schulneulinge ohne die notwendigen Basiskompetenzen in der Schule gestartet seien, da wichtige Lernzeit im Kindergartenbereich gefehlt habe. „Dies zeigt sich zum einen im Hinblick auf das soziale Miteinander, aber auch in Bezug auf die Sprachbildung und andere grundlegende Fähigkeiten der Elementarbildung wie der Umgang mit Stift und Schere. Regeln und Abläufe im Schulalltag mussten teilweise erneut aufgebaut und erlernt werden“, berichtet König.
Schulleiterin Wilhelms fügt hinzu: „Die Schere ist durch Corona noch einmal größer geworden.“ Man merke nun noch besser, welche Kinder zu Hause unterstützt würden und welche nicht. Dem pflichtet eine Weilerswister Grundschullehrerin bei: „Das Leistungsgefälle, das vor der Pandemie sowieso schon präsent war, ist noch extremer geworden. Die Kinder, die viel Unterstützung benötigten, brauchen diese nun noch viel stärker.“
Eine Sportlehrerin berichtet, dass während der Corona-Pandemie die Koordination und Kondition der Schüler gelitten habe. „Das ist mitunter beängstigend gewesen“, sagt die Mechernicher Lehrerin. Mittlerweile sei der Unterricht anders als vor der Pandemie – allein schon, weil ein Großteil der Unterrichtszeit eben nicht für Inhalte genutzt werden könne. „Das soziale Miteinander musste nach den Monaten des Distanz- oder Wechselunterrichts regelrecht neu erlernt werden“, sagt eine Weilerswister Lehrerin.
Flut setzte Digitalisierung der Schulen auf null
Dass eine Klasse aus fast 30 Individuen mit eigenen Persönlichkeiten, Fähigkeiten, Stärken sowie Schwächen und Bedürfnissen bestehe, sei für viele Kinder extrem schwierig. „Das bedeutet, dass die soziale Erziehung in der Schule noch viel stärker zugenommen hat. Nicht selten muss ein großer Teil einer Schulstunde für Konfliktlösungen herhalten“, so die Grundschullehrerin.
Bei der Digitalisierung des Standortes in Gemünd habe die Flut alles auf null gesetzt, berichtet Schulleiterin Wilhelms. Mittlerweile seien die digitalen Tafeln alle am Netz. „Wir mussten ein wenig abwägen: wenige Kinder mit iPads oder digitale Tafeln. Wir haben uns für die Tafeln entschieden“, sagt die Schulleiterin, die ihr Amt im Sommer aufgeben und in den (Un-)Ruhestand gehen wird.
Ein Problem, mit dem sich dann ihre Nachfolgerin oder ihr Nachfolger herumschlagen muss: Eltern, die es mit der Fürsorge gerne zu gut meinen und den Nachwuchs am liebsten mit dem Auto ins Klassenzimmer fahren. „Es gibt Elternbriefe, da ändere ich jedes Jahr nur das Datum, der Inhalt bleibt gleich. Elterntaxis sind so ein Thema“, sagt Wilhelms.
„Schule könnte schön sein, wenn es die Eltern nicht gäbe“
Ein Problem, das die Gemünder Schulleiterin nicht exklusiv hat. An der Weilerswister Josef-Schaeben-Schule wurden jüngst noch einmal Plakate aufgehängt, die auf die mitunter gefährliche Situation, die Eltern mit ihren Autos produzieren, hinweisen. An der Chlodwigschule in Zülpich ist der Hol- und Bringverkehr der Eltern ebenfalls seit Jahren ein Problem.
„Schule könnte schön sein, wenn es die Eltern nicht gäbe“, sagt eine Schulleiterin, die namentlich nicht genannt werden möchte. Durch die Digitalisierung sei die Hemmschwelle der Eltern rapide gesunken.
„Wie in sozialen Netzwerken wird alles kommentiert – zu jeder Tages- und Nachtzeit. Und aus kleinen Dingen ein großes Problem gemacht. Und wenn man da nicht angemessen reagiert, geht’s in der Whatsapp-Gruppe weiter, weil man als Schulleitung die Probleme der Eltern nicht ernst nehme“, so die Leiterin.
Rechtsanspruch auf Betreuungsplatz in der OGS wird kommen
„Für Hühner gibt es in Deutschland eine Verordnung, wie groß der Käfig sein muss – aber für Kinder und Schulklassen gibt es die nicht“, sagt Torsten Wanasek, Leiter der Hermann-Josef-Grundschule in Euskirchen. Wie an vielen Grundschulstandorten herrscht auch am Keltenring Raumnot.
Ein geplanter Anbau ist nach der Flutkatastrophe laut Wanasek in der Prioritätenliste nach hinten gerückt. „Dafür habe ich großes Verständnis“, sagt der Grundschulchef, verweist aber darauf, dass er seit Jahren keinen Fachraum mehr habe, weil diese als Klassenräume benötigt werden. Die Euskirchener Grundschule steht stellvertretend für einige Grundschulen im Kreis. Ähnlich wie bei weiterführenden Schulen muss zusammengerückt werden. Oder es ist dank Containerlösungen der größte Druck vom Kessel. Doch der könnte schneller steigen, als den Verantwortlichen lieb ist.
Der Grund: Der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz in der Offenen Ganztagsschule (OGS) wird kommen. Mit dem Ganztagsförderungsgesetz soll eine Betreuungslücke geschlossen werden, die nach der Kita-Zeit für viele Familien klafft, wenn die Kinder eingeschult werden. Die Bundesregierung hatte das Vorhaben für mehr Vereinbarkeit und mehr Chancengerechtigkeit in der Bildung vor drei Jahren auf den Weg gebracht.
Ab August 2029 hat jedes Grundschulkind Anspruch auf Ganztagsbetreuung
Ab August 2026 sollen zunächst alle Grundschulkinder der ersten Klassenstufe einen Anspruch erhalten, ganztägig gefördert zu werden. Der Anspruch wird in den Folgejahren um je eine Klassenstufe ausgeweitet.
Damit hat ab August 2029 jedes Grundschulkind der Klassenstufen eins bis vier einen Anspruch auf ganztägige Betreuung. Damit dies Wirklichkeit werden kann, müssen bis 2026 zusätzliche Plätze geschaffen werden.
Den erforderlichen Ganztagsausbau unterstützt der Bund mit Finanzhilfen in Höhe von bis zu 3,5 Milliarden Euro für Investitionen in die Infrastruktur.