SommerempfangEuskirchener Landrat setzt sich für mehr Respekt für Einsatzkräfte ein

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Landrat Markus Ramers steht an einem Pult und spricht zu einem großen Publikum.

Der Landrat begrüßt seine Gäste: Rund 300 Personen des öffentlichen Lebens im Kreis Euskirchen waren der Einladung von Markus Ramers zum Sommerempfang gefolgt, auch wenn das Wetter dieser Bezeichnung nicht ganz gerecht wurde.

Beim Sommerempfang im Euskirchener Kreishaus berichteten Polizisten aus ihrem Alltag. Auch eine Sozialarbeiterin gab Einblicke in ihre Arbeit.

„Einsatzbremse“ hätten sie ihn hinterher genannt, berichtete Landrat Markus Ramers mit einem Augenzwinkern am Freitag den rund 300 Gästen seines Sommerempfangs von der Schicht, die er mit Rettungsdienstlern verbracht hatte, um deren Arbeit mal hautnah mitzuerleben. „Es war wohl an dem Abend weniger los als sonst üblich“, erklärte Ramers den Spitznamen, den ihm die Retter verpasst haben.

Dennoch habe ihm dieser Termin einen nachhaltigen Eindruck beschert von der großen medizinischen Expertise und der Menschlichkeit, die die Akteure bei ihrer nicht immer leichten Arbeit an den Tag legen – etwa die „Geduld und Empathie gerade bei den Patientinnen, Patienten und ihren Angehörigen, die oftmals mit der Situation überfordert sind.“

Markus Ramers will für Respekt für Sicherheitskräfte sensibilisieren

Und so machte der Landrat deutlich, dass er gedenke, bei seinem Einsatz für mehr Respekt den Rettern und Polizeikräften gegenüber nicht auf der Bremse zu stehen, sondern, um im Bild zu bleiben, Vollgas geben will. Dabei wird ihm bewusst sein, dass er als Leiter der Kreispolizeibehörde, der ein Landrat von Amts wegen ist, zwar einen gewissen Einfluss hat, aber die wirklich großen Räder in Land und Bund gedreht werden müssen.

Eins aber kann er tun: Die Öffentlichkeit für das Thema Respekt und Sicherheit zu sensibilisieren. Darum hat er es nicht nur zum Schwerpunkt seines Sommerempfangs, sondern auch für seine Arbeit in diesem Jahr ernannt.

2023: 64 Übergriffe auf Polizei- und Rettungskräfte im Kreis Euskirchen

Gründe dafür gibt es genug. Genau genommen: 64. Das ist die Zahl der in der Kriminalstatistik 2023 dokumentierten Übergriffe auf Polizei- und Rettungskräfte im Kreis Euskirchen. „Eine beschämende Zahl“, findet Ramers: „Das bedeutet, dass mehr als einmal in der Woche eine Polizistin, ein Polizist, eine Feuerwehrkraft oder jemand vom Rettungsdienst beleidigt, bespuckt, bedroht und manchmal sogar tätlich angegriffen wird.“

Opfer seien ausgerechnet die, die unsere Demokratie schützten, Leben retteten und ohne die auch eine stimmungsvolle Fußball-EM nicht möglich wäre. Das, so Ramers, wisse die große Mehrheit der Menschen, aber leider nicht alle – und die wenigen würden offenkundig mehr.

Was Polizisten im Alltag leisten, hatte Ramers, wie er berichtete, ebenfalls hautnah miterleben können – in der jüngsten Mainacht: Die Einsatz-Palette habe gereicht von aufgestochenen Reifen, häuslicher Gewalt bis hin zu einem orientierungslosen Senior und ein paar Jugendlichen, die, in der Mainacht nicht ungewöhnlich, mehr getrunken hatten, als sie vertrugen. „Da war ich keine Einsatzbremse“, sagte Ramers und fügte hinzu: „Mir haben diese Stunden geholfen, die Belastungen der Kolleginnen und Kollegen besser zu verstehen.“

Polizist spricht von einer veränderten Gesellschaft

Seine tägliche Lektüre der Polizeiberichte könne solche Eindrücke nicht ersetzen. Etwa was es bedeute, dass die Polizistinnen und Polizisten nie wissen können, was sie hinter einer Wohnungstür erwarte. „Es gibt leider auch eine Gefahr für das eigene Leben“, stellte Ramers fest. Er sprach den vor wenigen Wochen in Mannheim getöteten Polizisten an – und was der bei den Kräften im Kreis Euskirchen auslöste: „,Einer von uns war das', haben mir einige Kollegen danach gesagt.“

Ja, die Gesellschaft habe sich geändert, bestätigte Alexander Hellendahl, seit neun Jahren Polizist, im Podiumsgespräch mit Moderator Sebastian Tittelbach. „Die Menschen treten einem gegenüber anders auf“, so der Beamte von der Polizeiwache Euskirchen: „Aber losgelöst von diesen Respektlosigkeiten, die sich verbal, in körperlichen Übergriffen oder einfach auch nur in Verhaltensweisen darstellen, bin ich sehr gerne in diesem Beruf unterwegs.“

Zwei Polizisten in Uniform stehen an einem Stehtisch und sprechen mit einem Moderator.

Kommunikation ist (fast) alles: Marcus Diefenbach (v.r.) und Alexander Hellendahl im Talk mit Moderator Sebastian Tittelbach.

Er machte aber auch anschaulich, dass etwa die Hände des Gesprächspartners in der Tasche nicht nur von einer zweifelhaften Kinderstube zeugen können, sondern auch die Frage aufwerfen: Was könnte sich in der Tasche befinden? Und was führt mein Gegenüber möglicherweise im Schilde?

Gerade aktuell bei den Autokorsos anlässlich der EM habe er es auch mit Zeitgenossen in Euskirchen zu tun, die ihn und seine Kollegen beim Einsatz unentwegt mit der Handykamera aufzeichneten – völlig ignorierend, dass auch Polizisten Persönlichkeitsrechte haben. „Ich weise sie dann darauf hin, dass ich das nicht möchte“, so Hellendahl – in einem deeskalierenden Ton. Wenn er gefragt werde, so Hellendahls Kollege Marcus Diefenbach aus Schleiden, welche der Waffen, die ihm zur Verfügung stünden, die beste sei, antworte er: die Kommunikation.

Gelassenheit und Austausch hilft Polizisten bei Einsätzen

Der Dienstgruppenleiter stellt Wellen der Aggression fest: Während Corona seien die Polizeikräfte vermehrt angegangen worden, weil sie Maßnahmen kontrollierten, die viele nicht nachvollziehen konnten oder wollten. Kurz nach Flut hingegen habe es solche Fälle (fast) gar nicht gegeben: „Man hat nette Gespräche geführt“, so der Polizist: „Den Bürgern ging es etwas besser, wenn sie mal mit einem Polizisten sprechen konnten.“

Mittlerweile sei wieder Normalität eingekehrt – und dazu gehörten die Auffälligkeiten, die zumeist in Verbindung mit Alkohol, anderen Drogen oder psychischen Erkrankungen stünden. Wichtig sei dann eine gewisse Gelassenheit und hinterher der Austausch mit den Kollegen. „Denn wichtig ist, dass der Bürger und wir gesund aus der Sache herausgehen“, so Hellendahl.

Pädagogen wollen verhindern, dass Kinder zu Tätern heranwachsen

Gute Kommunikation brauchen auch Kriminalhauptkommissarin Yvonne Dederichs, der Pädagoge Steffen Lenze und die Schulsozialarbeiterin Sabine Biermann. Letztgenannte geht schon in fünfte Klassen, um in „Für-uns-Stunden“ möglichst Kindern Orientierung zu geben, wie Streit vermieden oder geschlichtet werden kann. Dederichs und Lenze stellten das Projekt „Kurve kriegen“ vor, das junge Menschen zwischen 8 und 15 Jahren, die auffällig wurden, vor einer „Karriere“ als Intensivtäter bewahren will.

Yvonne Dederichs, Steffen Lenze und Sabine Biermann stehen an zwei Stehtischen und sprechen mit einem Moderator.

Intensivtäter-Karrieren verhindern: Yvonne Dederichs (2.v.l.), Steffen Lenze (3..v.l) und Sabine Biermann berichteten von ihrer Arbeit.

Wie die aussehen kann, zeigte Tittelbach anhand einer ausgerollten Papierrolle, in Fachkreisen auch Tapete genannt, die alle Straftaten ein und derselben Person aufzeigte: Auf etwa 10 bis 15 Metern wurden zahlreiche Beschädigungen, Diebstähle, Gewalttaten oder sexueller Missbrauch aufgezählt. Es gebe zwar kein statistisch belegtes Problem mit Jugendkriminalität im Kreis, so Dederichs. Aber 205 tatverdächtige Kinder (unter 14 Jahren) und 458 Jugendliche (14 bis 17 Jahre) im Jahr 2023 seien allemal Anlass, intensiv-kriminelle Lebensläufe frühzeitig zu verhindern.

Intensivtäter kosten den Staat deutlich mehr als Präventionsprogramme

Mit dem seit August 2022 auch im Kreis implementierten Landesprogramm „Kurve kriegen“ werde genau das getan. „Unser Auftrag ist, die Jugendlichen, die in der Gefahr sind, eine Intensivtäterkarriere einzuschlagen, noch abzufangen“, erläuterte Lenze. Dabei werde mit den Betroffenen erst mal in Ruhe erörtert, wie sie in die Lage kommen konnten – wenig konfrontativ, gerne auch beim Döner.

Es werde aber auch klargemacht, dass trotz Sport, Kunst und anderen netten Sachen „Kurve kriegen“ kein reiner Spaß sei, sondern Mitarbeit erfordere, auch die der Eltern. Die, so Dederichs, seien in den meisten Fällen kooperativ, ja geradezu froh, dass ihrem Nachwuchs eine Chance gegeben werde.

Billig sei das alles zwar nicht. Ein Intensivtäter jedoch, so zitierte Dederichs eine Kosten-Nutzen-Analyse, verursache durch angerichtete Schäden, Ermittlungs- und Gerichtskosten im Schnitt einen Schaden in Höhe von 1,7 Millionen Euro – noch vor dem 25. Lebensjahr. Da dürften die 11.000 Euro pro Programmteilnehmer im Jahr eine gute Investition sein.


Schotten-Gag, Geburtstagsständchen und andere besondere Momente

Es ist wohl die Veranstaltung im Kreis Euskirchen mit der größten Promi-Dichte im Jahreskalender: der Sommerempfang des Landrats. Rund 300 Gäste aus Politik und Wirtschaft, Kultur und Sport, Behörden und Verwaltungen, Kirchen und Gewerkschaften sowie sozialen Einrichten und Ehrenamt waren der Einladung von Markus Ramers gefolgt.

Darunter auch sein Vorgänger, Landrat a. D. Günter Rosenke, der damit begonnen hatte, diese Treffen (damals noch als Neujahrsempfänge) unter ein Schwerpunktthema zu setzen, sowie der inzwischen 96-jährige frühere Schleidener Bürgermeister Alois Sommer.

Alois und Rosa Sommer stehen nebeneinander im Kreishaus in Euskirchen.

Reisten aus Schleiden an: Alois Sommer mit Ehefrau Rosa.

Dass der Sommer sich am Freitag ausschließlich im Kalender einführte und die Veranstaltung wegen des Wetters im Foyer des Kreishauses stattfand und nicht im Innenhof wie 2023, tat der Stimmung keinen Abbruch.

Ständchen für den Moderator

Sollten sich Gäste etwa Sorgen gemacht haben, dass es mit den Getränken beim gemütlichen Teil eng werden könnte, so konnte Ramers sie beruhigen: „Die Schotten, die gestern noch in Köln gespielt haben, habe ich mit Rücksicht auf unser Getränkebudget heute nicht eingeladen“, scherzte der Landrat mit Blick auf die schottischen Fans, die sich bei der Fußball-EM gleichermaßen als trinkfest und fröhlich erweisen.

Landrat Markus Ramers und Ehefrau Nadine.

Gastgeber Markus Ramers mit Ehefrau Nadine.

Einen Gag mit EM-Bezug konnte sich auch Moderator Sebastian Tittelbach nicht verkneifen. Nachdem er per Abfrage festgestellt hatte, dass etwa gleich viele Gäste aus Nord- und Südkreis gekommen waren, erklärte er, dass Polen und Österreicher kaum im Auditorium zu erwarten seien. Deren Teams spielten ja auch zeitgleich bei „dieser Konkurrenzveranstaltung“, so Tittelbach.

Für den Moderator gab's nach getaner Arbeit eine Überraschung: Weil es sein Geburtstag war, sangen die Besucher ihm ein Ständchen – unter professioneller Anleitung der Formation „2 of us“ mit Sängerin Anika Fee. Sie und ihre Mitstreiter Frank Siegemund und Fabio Siegemund sorgten ohnehin den ganzen Abend über für exzellente Unterhaltung.

Moderator Sebastian Tittelbach scherzt mit Sängerin Anika Fee.

Trafen immer den richtigen Ton: Sängerin Anika Fee und Moderator Sebastian Tittelbach.

Ein Wunsch blieb Tittelbach jedoch unerfüllt: Als der Polizeioberkommissar Alexander Hellendahl im Talk darauf hinwies, dass es im Umgang mit schwierigen Zeitgenossen auf die Kommunikation ankomme, bat der Moderator gleich mal um einen Tipp – „als Vater zweier pubertierender Mädchen“. Er würde ihm ja gerne helfen, bedauerte Hellendahl: „Aber da bin ich auch schon an meine Grenzen gestoßen.“

Ukrainische Musikerinnen spielen im Euskirchener Kreishaus

Besonders herzlich wurden Polina Starytska und ihre Mutter Oksana mit Beifall bedacht. Beide sind nach dem russischen Angriff aus ihr Heimatland Ukraine nach Deutschland gekommen. Polina besucht die Marienschule in Euskirchen. Oksana Starytska ist Profi-Gitarristin, ihre Tochter hat beim Bundeswettbewerb von „ Jugend musiziert“ den ersten Platz in ihrer Altersklasse belegt und ist inzwischen Jungstudentin an der Musikhochschule in Düsseldorf.

Oksana und Polina Starytska spielen Gitarre und Querflöte.

Musik der Spitzenklasse: Oksana und Polina Starytska.

Beide trugen unter anderem das Lied aus ihrer Heimat „Ich werde in ferne Berge gehen“ und das brasilianische „Tico tico“ vor. „Ich danke Ihnen für die musikalische Begleitung“, verabschiedete sie Titelbach: „Ich wünsche Ihnen, dass Sie weiterhin die Menschen mit Ihrer Musik erreichen können – und vor allem, dass die russischen Angriffe auf Ihre Heimat endlich aufhören.“

Für Speis und Trank war natürlich auch gesorgt, wofür die Kreissparkasse Euskirchen als Sponsor sowie die Eifeler Landfrauen, die Weinhandlung Baum, die Landschlachterei Josef Schmitz und die Firma „Eiswerk“ sorgten.

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