Die nächste Hiobsbotschaft für die Kliniken im Kreis Euskirchen. Der neue NRW-Krankenhausplan sieht die Streichung von Leistungen vor.
NRW-GesundheitsministeriumKliniken im Kreis Euskirchen droht Streichung von Leistungen
Die Verantwortlichen in den Krankenhäusern sind um ihren Job wahrlich nicht zu beneiden. Ihre Arbeit erinnert an Don Quijotes Kampf gegen Windmühlen: Die Kliniken sind chronisch unterfinanziert, der Fachkräftemangel ist allerorts deutlich spürbar. Eine Besserung ist nicht in Sicht. Stattdessen flattern die nächsten Hiobsbotschaften ins Haus. In diesen Wochen geschah das in Form schnöder E-Mails aus dem Hause Laumann: Das NRW-Gesundheitsministerium gab seine beabsichtigten Zuweisungen der Versorgungsaufträge im Zuge der neuen Krankenhausplanung bekannt. Darüber wird geregelt, welche Klinik welche Behandlung anbieten darf.
Auch wenn es sich um einen Anhörungsbogen handelt und die Kliniken bis zum 11. August die Gelegenheit zur Stellungnahme haben, bergen die Pläne eine Menge Zündstoff. Sie führen, sollten sie so umgesetzt werden, erneut zu deutlichen Einschnitten in der Versorgung im Kreis – wo gerade die Schließungen von Abteilungen und vor allem der Notaufnahme im Krankenhaus Schleiden zu verkraften ist.
Einige Leistungen dürfen von den Kliniken dann nicht mehr angeboten werden. Und das ist im komplexen System nicht isoliert zu betrachten, sondern hat Auswirkungen weit über diese eine Leistung hinaus. Entsprechend fällt die Reaktion von Martin Milde, Geschäftsführer der Kreiskrankenhaus Mechernich GmbH, aus: „Das ist für den Kreis schlecht. Das ist für das Krankenhaus schlecht. Der ländliche Raum wird wieder bluten.“
Martin Milde sieht eine Tendenz zur Zentralisierung in Richtung Bonn
Der Kreis Euskirchen sowie der Rhein-Sieg-Kreis und die Stadt Bonn gehören zum Versorgungsgebiet 6. Bei den Zuteilungen sieht Milde eine deutliche Tendenz zur Zentralisierung in Richtung Bonn. Grundsätzlich findet er die Ideen der Krankenhausplanung ja gut. Doch sie sollten bitte schön in den richtigen Regionen und den richtigen Disziplinen angegangen werden.
Gleiches gelte für die Zentralisierung: „In einigen Punkten ist das gut und sinnvoll – aber nicht in allen.“ Es sei eben ein Unterschied, ob in einer Stadt wie Bonn mit sieben Krankenhäusern plus Uni-Klinik nicht jede Leistung in jedem Haus angeboten wird oder es bestimmte Leistungen im Kreis Euskirchen mit seinen „zweieinhalb Krankenhäusern“ nicht gibt.
Streichung des perinatalen Schwerpunktes und der Ablation
Die Paukenschläge fürs Kreiskrankenhaus Mechernich erschließen sich nicht auf den ersten Blick. Es sind zwei Streichungen, die enorme Strahlkraft hätten.
Zum einen betrifft es den perinatalen Schwerpunkt. Die komplexe Versorgung von Frühchen, geboten zwischen der 32. und 36. Schwangerschaftswoche und zwischen 1500 und 2000 Gramm schwer, wird im Kreis ausschließlich in Mechernich angeboten. Man könnte meinen, dass die Streichung von 30 Behandlungen doch für ein solches Haus verkraftbar sein müsste.
Nein, sagt Milde: „Das würde den Wegfall von 300 bis 400 Geburten pro Jahr bedeuten.“ Frauen mit Risikoschwangerschaften würden sich erst gar nicht für Mechernich als Geburtsklinik entscheiden, wenn im Fall des Falles nicht die entsprechende Versorgung des Kindes angeboten werden kann. Angesichts von 1000 Geburten im Jahr ist das eben nicht verkraftbar.
Wegen des Rückgangs der Fallzahlen sei dieser Punkt abgelehnt worden, sagt Milde – dabei entspreche das nicht mehr der Realität. Sowohl von 2022 auf 2023 als auch von 2023 auf 2024 sei die Zahl gestiegen. Die Hochrechnung liege derzeit bei 31 Behandlungen – wahrscheinlich werden es laut Milde aufgrund der steigenden Geburtenzahlen sogar noch mehr.
Ebenfalls gestrichen werden soll im Bereich der Kardiologie die Ablation, ein Verfahren zur Behandlung von Herzrhythmusstörungen. Hier verzeichnet Mechernich laut Milde einen starken Anstieg der Fälle: von 74 im Jahr 2022 auf 150 im Jahr 2023. Dieses Jahr waren es bis Ende Mai 99, das ergebe aufgrund der Hochrechnung 238 Behandlungen – auch hier geht Milde von einer höheren Zahl aus.
Im Bereich der Gastroenterologie sei die personelle Ausstattung in Mechernich bemängelt worden, doch diesen Punkt werde man, so Milde, durch die Einstellung eines weiteren Arztes heilen.
Das Personal in den betroffenen Abteilungen ist fassungslos
„Extrem gut abgebildete Bereiche sollen ohne Not weggehen. Wir werden dadurch keinen Euro sparen, da wir das Personal trotzdem brauchen“, sagt Milde. Das Personal in den betroffenen Abteilungen sei fassungslos und frustriert gewesen, als sie die Nachricht aus dem Ministerium gesehen hätten.
Für Milde gehen die Versorgung der Bevölkerung und die Attraktivität des Arbeitsplatzes für die Mitarbeiter Hand in Hand: Werden bestimmte Verfahren angeboten, ist das Krankenhaus interessant für Top-Kräfte, von deren Können wiederum die Patienten profitieren. Die Streichungen schweben schon jetzt wie ein Damoklesschwert über der Klinik. Milde berichtet von einer Oberärztin, mit der man einen Arbeitsvertrag geschlossen habe und die in ein paar Monaten ihren Dienst antreten soll. Sie habe bereits signalisiert, dass sie nicht kommen werde, falls der perinatale Schwerpunkt wegfalle.
Krankenhaus würde Patienten verlieren und weniger Umsatz machen
Im Bereich der Ablation ist nicht nur mit Dr. Erol Saygili gerade erst zum Jahresbeginn ein ausgewiesener Experte als Chefarzt nach Mechernich gekommen. Wird dieser Bereich gestrichen, ist laut Milde zudem eine Investition von knapp 2,5 Millionen Euro für die Katz' gewesen. 400.000 Euro wurden in die Software für das erforderliche 3D-Mapping gesteckt.
Und zwei Millionen in einen zweiten Herzkatheterplatz: Da die Ablation lange dauere und damit ein Platz belegt sei, habe man sich für den zweiten entschieden, um jederzeit reagieren zu können, wenn etwa ein Notfall sofort behandelt werden müsse. Mildes Schluss, sollten die Pläne so umgesetzt werden: „Wir verlieren Patienten und Umsatz – und stehen dann wirtschaftlich noch schlechter da.“
Das Verfahren: Kliniken können bis zum 11. August Stellungnahmen abgeben
Bis zum 11. August haben die Kliniken Gelegenheit, ihre Stellungnahmen abzugeben. Martin Milde wird das für das Kreiskrankenhaus tun: „Ich bin fest davon überzeugt, dass wir die Argumente haben, dass die Leistungen bei uns bleiben.“
Auch das Marien-Hospital Euskirchen, dem das Ministerium etwa in den Bereichen Senologie (der Behandlung von Brustkrebspatientinnen) sowie bei Knie- und Hüft-Endoprothetik eine Null in die Tabelle geschrieben hat, hat bereits angekündigt, man werde „alle Möglichkeiten ausschöpfen, um auch weiterhin den Patientinnen und Patienten im Kreis Euskirchen ein umfassendes Leistungsspektrum bieten zu können.“
Milde rechnet damit, dass es bis kurz vor Weihnachten dauert, bis die endgültigen Feststellungsbescheide vorliegen. Und die Umsetzung der Maßnahmen soll zum 1. Januar 2025 erfolgen. Die Kliniken hätten also binnen weniger (Feier-)Tage sowohl den Wegfall von Leistungen als auch das Erbringen zusätzlicher Leistungen und/oder die Aufnahme von deutlich mehr Patienten zu stemmen. Seine Einschätzung dazu ist klar: „Das ist nicht machbar.“
Stimmen aus dem Kreis
Die Leistungen wollen nicht nur die Krankenhäuser selbst erhalten. Auch Landrat Markus Ramers und die Politiker im Kreis setzen sich dafür ein.
Landrat Markus Ramers spricht Ende Juli mit dem Staatssekretär
Landrat Markus Ramers kündigt an, dass der Kreis alles dafür tun werde, das Leistungsspektrum zu erhalten. So werde der Kreis eine Stellungnahme an das Ministerium abgeben. In dieser Woche tage die Kreis-Gesundheitskonferenz, in der neben Vertretern der Kreistagsfraktionen auch Akteure aus dem Gesundheitswesen vertreten sind. Darin werde die Stellungnahme abgestimmt und beschlossen.
Zudem habe er Ende des Monats ein Gespräch mit dem zuständigen Staatssekretär, in dem er sich für die bestmögliche Versorgung der Menschen im Kreis einsetzen werde. Als besonders dramatisch bezeichnet Ramers das Vorhaben, den perinatalen Schwerpunkt in Mechernich zu streichen. Der Tenor der Krankenhausplanungen in Bund und Land sei bei den Ministern Lauterbach und Laumann: Konzentration für eine bessere Versorgung. Gerade bei Geburten ist das laut Ramers „absurd“, da dies nicht planbar sei und (zu) lange Fahrtwege nicht zumutbar seien.
CDU, FDP und UWV wollen Ministerium besondere Situation verdeutlichen
Die Liste aus CDU, FDP und UWV im Kreistag will ebenfalls alle zur Verfügung stehenden Wege nutzen, um „dem Ministerium die besondere Situation im ländlichen Raum, vor allem im Süden des Kreises Euskirchen, deutlich zu machen“. Neben der reinen Betrachtung von Ist-Zahlen müssen ihrer Ansicht nach zahlreiche weitere Faktoren einbezogen werden. Die Fraktionsspitzen Ute Stolz (CDU), Frederik Schorn (FDP) und Franz Troschke (UWV) führen unter anderem die großen Entfernungen und die geringere Bevölkerungsdichte eines Flächenkreises ins Feld, die eine erschwerte Erreichbarkeit für die infrage stehende Versorgung in den Ballungsgebieten zur Folge hat.
Auch müsse beachtet werden, dass die Prognosen entgegen dem allgemeinen Trend ein Bevölkerungswachstum für den Kreis ausweisen, das durch den Zuzug und die Knappheit der Baugrundstücke bereits nachweisbar sei. Ebenso müssen nach Ansicht der Liste die Einschnitte am Klinik-Standort Schleiden genauso in die Betrachtung einfließen wie die Tatsache, dass der Rettungsdienst bereits jetzt überlastet ist. „Wir sind zuversichtlich, dass das Land mit uns in den weiteren Dialog gehen wird, und wissen unsere Landtagsabgeordneten an unserer Seite“, heißt es von den Fraktionschefs.
Thilo Waasem (SPD): Plan schadet Gesundheitsversorgung im Kreis
Die SPD kritisiert die vorgesehenen Zuteilungen scharf. Auch von den Sozialdemokraten heißt es, dass die Interessen der ländlichen Region in den Planungen zu kurz kommen. Fraktionsvorsitzender Thilo Waasem spricht in Summe neun Leistungsgruppen, die gestrichen werden sollen, und von 6000 Behandlungen, die im Kreis bei der Umsetzung der Pläne weniger ausgeführt würden. Das, so die Sozialdemokraten, hätte auch Auswirkungen auf die wirtschaftliche Aufstellung der Krankenhäuser im Kreis Euskirchen.
Waasem: „Der Plan von CDU-Gesundheitsminister Laumann hat es in sich und schadet der Gesundheitsversorgung im Kreis Euskirchen.“ Die Ausbildung junger Ärzte nimmt Gesundheitsexperte Karl Vermöhlen, selbst Arzt, in den Blick: „Der Wegfall bestimmter Behandlungen würde die volle Facharztausbildung selbst in akademischen Lehrkrankenhäusern wie Euskirchen oder Mechernich erschweren, wenn Assistenten nicht mehr das volle Ausbildungsprogramm dort absolvieren können.“
Infoveranstaltung in Vogelsang am Freitag, 23. August, 19 Uhr
Die Schließungen verschiedener Einheiten im Krankenhaus Schleiden beginnen in diesen Tagen. Die einschneidendste Maßnahme ist für den 1. September terminiert: Dann wird die Notaufnahme geschlossen.
Zu den Entwicklungen im Schleidener Krankenhaus und allgemein der medizinischen Versorgung im Oleftal veranstalten die Stadt Schleiden und die Gemeinde Hellenthal als die am härtesten von den Maßnahmen betroffenen Kommunen eine gemeinsame Infoveranstaltung. Sie findet am Freitag, 23. August, um 19 Uhr im Kino Vogelsang statt. Detaillierte Informationen zum Ablauf sowie dazu, wer sich an diesem Abend äußern wird, wollen die Veranstalter in den kommenden Wochen bekannt geben.