Um dem Problem des Fachkräftemangels entgegenzuwirken, muss an vielen Baustellen gleichzeitig gearbeitet werden.
FachkräfteoffensiveMinister Laumann: „Ohne Zuwanderung geht es im Kreis Euskirchen nicht“
Es fehlt an allen Enden: im Handwerk wie in der Pflege, im öffentlichen Dienst wie in der Medizin. „Wir haben längst nicht mehr nur einen Fachkräftemangel, wir haben einen Arbeitskräftemangel“, sagt Karl-Josef Laumann, NRW-Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales.
Im Rahmen der Fachkräfteoffensive NRW machte Karl-Josef Laumann in Aachen Halt
Im Rahmen der „Fachkräfteoffensive NRW“ informierte sich der Minister am Montag in Aachen über die verschiedenen Probleme in der Region. Er stellte klar, dass Potenziale im Kreis Euskirchen, Düren und Heinsberg durchaus vorhanden seien, sie müssten aber erschlossen und genutzt werden.
Ein Anknüpfungspunkt sei dabei Laumann zufolge die Jugend. Frage man Schüler heute, wann sie in die Lehre gingen, sei die Antwort immer: später. Das Durchschnittsalter der Auszubildenden in NRW beträgt aktuell 21,5 Jahre im ersten Lehrjahr. „Früher waren wir da 15 Jahre alt“, sagt der 66-Jährige. Dieser späte Einstieg liege laut Laumann daran, dass die Schüler nach Abschluss der Regelschule nicht so recht wüssten, was sie wollten.
Alles zum Thema Karl-Josef Laumann
- „Katastrophe und unverantwortlich“ 32.000 Menschen protestieren gegen Sozialkürzungen in NRW
- 12000 Ehrenamtliche Dritte Hospiz- und Palliativtage in NRW stehen im Zeichen der Freiwilligenarbeit
- Übergangsfrist Laumann verschiebt NRW-Krankenhausreform – Kliniken erleichtert
- Kampf gegen Adipositas Lässt Laumann die Übergewichtigen im Stich? – Streit um Versorgung in NRW
- Krankenhausplan in NRW Frühchenversorgung in Gummersbach in Gefahr?
- DPA-Umfrage Nur eine Ministerin verschickt rein digitale Weihnachtspost
- Anstieg um 18,6 Prozent In NRW hat die Zahl der Frauen, die Suizid begehen, stark zugenommen
Die Arbeitsämter sollen Zugriff auf Namen und Adressen der Schüler bekommen
Laumanns Lösungsansatz, um dem Problem der nichtarbeitenden Jugend zu begegnen: „Schüler, die die Regelschulen des Kreises verlassen, und keine Anschlussperspektive haben, müssen ihre Namen und Adressen künftig der Arbeitsvermittlung mitteilen.“ Die Arbeitsämter müssten genau wissen, wer gerade die Real- oder Hauptschule verlassen habe, damit ihre Mitarbeiter gezielt auf diese jungen Menschen zugehen könnten. Zudem möchte der Minister das Berufsschulpersonal aufstocken. „Denn dort können wir sie noch erreichen und auf ihrem Weg begleiten.“
Doch die Lücke auf dem Arbeitsmarkt ist aktuell so groß, dass die Jugend alleine die Schieflage nicht ausgleichen kann. Bund und Länder seien sehenden Auges in das Problem Arbeitskräftemangel zugesteuert. „Wir hätten früher etwas ändern sollen“, gibt Laumann zu.
Bund und Länder sind sehenden Auges auf das Problem zugesteuert
Den demografischen Wandel habe man lange schon auf sich zusteuern sehen. Doch vorausschauend gehandelt habe man nicht. Denn: „Vor einigen Jahren waren wir noch von Massenarbeitslosigkeit betroffen.“ Da habe es nicht im Fokus der Politik gelegen, mehr Leute auf den Arbeitsmarkt zu schaffen. Und jetzt sei die Entwicklung eben gegenläufig. Aktuell verschwinde der geburtenstärkste Jahrgang, der Jahrgang 1964 vom Arbeitsmarkt und „das haut richtig rein“, sagt Laumann.
Deswegen müssten Kräfte jetzt dringend gebündelt werden. Das bedeutet: Die Jobcenter bekommen die Anweisung, die Jobvermittlung wieder zur Primäraufgabe zu machen. „Denn während Corona sind die Jobcenter zu einer Auszahlungsstelle geworden“, sagt Laumann.
Zudem wolle er einen Fokus auf Menschen mit Behinderung legen, die doppelt so oft von Arbeitslosigkeit betroffen seien wie Menschen ohne Behinderung, und das, obwohl sie häufig sehr gute Berufsabschlüsse hätten.
Laumann: Frauen „verschwenden“ Arbeitskraft in Minijobs
„Außerdem müssen wir uns um die Frauen kümmern“, sagt Laumann. Denn die „verschwendeten“ häufig ihre Arbeitskraft in Minijobs, die in Hotel- und Gaststättengewerbe, im Einzelhandel oder der Reinigungsbranche zum Geschäftsmodell gehörten. „15 Prozent der beschäftigten Frauen haben ausschließlich einen Minijob“, sagt Ralf Woelk, Geschäftsführer DGB Region NRW Süd-West. Diese Minijobs müssen dringend in reguläre sozialversicherungspflichtige Beschäftigung umgewandelt werden, so Laumann.
Doch selbst dann, wenn das Land all diese Potenziale ausschöpfe, reiche das nicht. Deswegen sagt Laumann: „Wir müssen Leute aus dem Ausland zu uns holen.“ Ohne Zuwanderung auf dem Arbeitsmarkt, sei die Lücke nicht mehr zu stopfen. Deswegen lobte der Minister das Projekt des Pflegekräfe-Recruitings in Indien. Eine Idee, die Birgit Wonneberger-Wrede, Geschäftsbereichsleiterin Gesundheit und Soziales beim Kreis Euskirchen in Aachen vorstellte.
Minister lobt das Pflegekräfte-Recruitung aus dem Kreis Euskirchen
33 Pflegekräfte sollen mithilfe der Agentur „Care with Care“ in den Kreis Euskirchen geholt werden, erklärte Wonneberger-Wrede auf dem Fachkräfte-Gipfel und gab Einblicke in das Prozedere und die Probleme, die dieses Unterfangen mit sich brächte. Etwa das Problem mit den Führerscheinen. Als Touristinnen sei den indischen Pflegekräften das befristete Fahren auf deutschen Straßen etwa erlaubt, nach drei Monaten verfalle dieses Recht aber.
Man könne nicht drum herumreden, sagte Laumann zu solchen Problemen. Deutschland habe ganz gewiss ein Problem mit der Bürokratie. Sein Lösungsansatz: Unsinnige Reglements nicht weiter aufsatteln, sondern die bestehenden umwerfen und neu denken.
Doch brauche es genau diese Art von konkreten Projekten. Die gebe es gerade vor allem in den Gesundheitsberufen. 12.000 Berufsanerkennungsverfahren ausländischer Arbeitender habe es im vergangenen Jahr gegeben, 9000 davon aus dem Gesundheitssektor. Ja, es gehe auch dort langsam, doch sei dies trotzdem ein Vorbild für die anderen Sektoren, sagte Laumann.
Arbeitsminister: Deutschland ist nicht so attraktiv, wie Deutsche denken
„Aber jetzt stellen wir uns doch mal eine Krankenschwester aus Indien vor, die hierherkommt, mit guter Ausbildung, aber ohne Geld“, sagte Laumann: „Die wird es schwer haben.“ Das liege zum einen daran, dass sie die Sprache nicht spreche, dass Deutsch sogar noch schwieriger zu erlernen sei als Englisch oder Französisch, aber zum anderen auch daran, dass sie kaum eine bezahlbare Wohnung finde.
„Wir müssen Arbeiten und Wohnen zusammendenken“, sagte der Minister. Und nicht nur der Wohnungsbau müsse vorangetrieben werden. „Wir müssen uns auch anstrengen, gemeinsam eine gute Wilkommenskultur zu erarbeiten.“ Denn aktuell sei der Standort Deutschland für ausländische Arbeitskräfte längst nicht so attraktiv, wie die Deutschen sich das immer einredeten. „So doll ist das gerade bei uns in Deutschland nämlich auch nicht.“
Damit es wieder „doller“ wird, muss man also dem Minister zufolge den Wohnungsbau vorantreiben, an der Willkommenskultur arbeiten, Innovationen im ländlichen Raum vorantreiben, Brücken bauen zwischen dem Arbeitsmarkt und denen, die sich von ihm entfernt haben – und zwar alles gleichzeitig. Und am besten funktioniere das in vielen kleinen konkreten Projekten, wie dem Fachkräfte-Recruiting in Indien des Kreises Euskirchen.