1330 Pflegende braucht der Kreis Euskirchen bis 2040 - allein, um den Standard zu halten. Deshalb werden Fachkräfte in Indien rekrutiert.
Recruiting gestartetDer Kreis Euskirchen sucht Pflegefachkräfte in Indien
Die Prognose ist eindeutig. „Wir benötigen im Kreis Euskirchen im Jahr 2040 allein 1330 weitere Pflegekräfte, um den heutigen Pflegestandard aufrechterhalten zu können“, sagt Birgit Wonneberger-Wrede, Geschäftsbereichsleiterin Gesundheit und Soziales beim Kreis Euskirchen. Und das nur in der Altenpflege. Die Krankenpflege sei da noch gar nicht mit einberechnet.
Dieser Bedarf sei weder aktuell noch künftig aus Reihen der eigenen Bevölkerung oder dem Umland durch Anwerbung qualifizierter Pflegefachkräfte oder durch deren Ausbildung zu decken, so Wonneberger-Wrede. Deshalb will der Kreis Euskirchen nach Rücksprache mit Pflegeeinrichtungen ein sogenanntes Fachkräfte-Recruiting aus Drittstaaten betreiben. In diesem ganz speziellen Fall habe man sich für Indien entschieden, sagt die Geschäftsbereichsleiterin.
Der Kreis Euskirchen sucht Pflegekräfte in Indien
Indien deshalb, weil man von anderen Institutionen viel Positives gehört habe und die Ausbildung gut und mit der hiesigen vergleichbar sei. „Und auch, weil der Aufwand, nach Hause zu fliegen, doch ein größerer ist, wenn das erste Heimweh einsetzt“, sagt die Expertin. Landrat Markus Ramers ergänzt: „Uns war wichtig, politisch wie moralisch die Probleme in dem Land nicht zu verschärfen. Wir wollen nicht wildern, nur um unsere Probleme zu verringern.“
33 Pflegekräfte – so groß ist der Bedarf, den die beteiligten fünf Pflegeeinrichtungen an den Kreis übermittelt haben. Die 33 Pflegenden sollen mithilfe der Agentur „Care with Care“ aus Indien in den Kreis Euskirchen geholt werden. Laufe alles perfekt, könnten die ersten Pflegefachkräfte Ende des kommenden Jahres im Kreis Euskirchen ankommen. Ansonsten werde es 2025.
„Die Sprachbarriere muss genommen werden. Dafür sind etwa 800 bis 1200 Unterrichtseinheiten notwendig. Und eine Prüfung darf auch mal nicht bestanden werden, denn es sind Pflegefachkräfte und keine Sprachwissenschaftler“, sagt Thorsten Kiefer, Geschäftsführer der DeFa. Das steht für Deutsche Fachkräfteagentur für Gesundheits- und Pflegeberufe. Auch die DeFa unterstützt und berät den Kreis Euskirchen bei seinem Vorhaben, Pflegekräfte aus Indien zu rekrutieren.
Wichtig sei, dass für die indischen Pflegekräfte keinerlei Kosten entstünden, so Kiefer. Die übernehmen die Pflegeeinrichtungen. Die Kreispolitik begrüßt das Vorhaben, von dem – gerade finanziell – kleine Einrichtungen wie die Stiftung Evangelisches Alten- und Pflegeheim Gemünd (EvA) profitieren werden.
„Wir als kleiner Träger könnten uns das im Alltag nicht leisten. Für uns wäre das so personell nicht zu schaffen“, sagt EvA-Geschäftsführer Malte Duisberg. Laut Wonneberger-Wrede belaufen sich die Kosten für ein solches Recruiting auf 10.000 bis 20.000 Euro pro Fachkraft. Diese Summe wird nun zwar nicht vom Kreis Euskirchen für das Marienheim in Bad Münstereifel, das EvA, das Kreiskrankenhaus in Mechernich, das Marien-Hospital in Euskirchen und die Marienborn gGmbH in Zülpich übernommen.
Aber der Kreis Euskirchen finanziert die Projektleitung. Die wird nicht Wonneberger-Wrede, sondern Sabine Engisch übernehmen. Die 48-jährige Eschweilerin ist Fachwirtin im Sozial- und Gesundheitswesen und Krankenpflegerin. Aus gesundheitlichen Gründen könne sie ihren Traumberuf aber nicht mehr ausführen, so Engisch.
Als der Kreis Euskirchen die Stelle der Projektleitung ausgeschrieben habe, sei sie sofort Feuer und Flamme gewesen. „Mein Herz schlägt weiter für den Beruf und die Arbeit der Kollegen. Daher war es mir eine Herzensangelegenheit, mich zu bewerben“, so die 48-Jährige, die nach eigenen Angaben auch eine langjährige Erfahrung in verschiedenen Bereichen der Intensivpflege gesammelt hat.
Engisch soll unter anderem eine Basis für ein Netzwerk schaffen, in dem Synergien entstehen, von denen alle Akteure profitieren können. Die Projektleitung werde die Koordination und Moderation zwischen den einzelnen Teilnehmern übernehmen, den zeitlichen Ablauf organisieren, die Kommunikation mit Behörden unterstützen sowie einzelne Aufgaben übernehmen, so Wonneberger-Wrede. In einem ersten Schritt wurde bereits die Vorbereitung der Unternehmensprofile auf der Plattform der Recruiting-Agentur zum Projektstart arrangiert.
„Die Hilferufe der Unternehmen und Einrichtungen sind mal lauter, mal leiser gewesen. Zu überhören waren sie aber nie“, so Landrat Markus Ramers, der bereits zu Beginn des Jahres den Fokus im Kreis Euskirchen auf das Thema Fachkräftemangel in Pflegeberufen gelegt hatte. In ihrem künftigen Aufgabenfeld wird es für Engisch aber auch darum gehen, eine Willkommenskultur für die künftigen Pflegekräfte zu schaffen.
„Nach Frankfurt zum Flughafen fahren und mit Fähnchen eine Gruppe abholen, reicht da nicht“, formuliert es Wonneberger-Wrede. Die zu erfüllende Bandbreite für eine gute Integration reiche von Ansprechpartnern bei Sorgen bis hin zu Stammtischen sowie Whatsapp-Gruppen und sei beim Kennenlernen der neuen Heimat und der Integration in all ihren Facetten längst nicht beendet.
Wichtig für die Integration: Menschen, die sich um die Pflegekräfte kümmern
Martin Milde, Geschäftsführer der Kreiskrankenhaus Mechernich GmbH, sagt, dass man mit der Agentur „Care with Care“ bereits gute Erfahrungen gemacht habe. Die Erfahrung zeige aber, dass die Integration das A und O sei. „Da muss man viel Energie reinstecken“, so Milde. Das Kreiskrankenhaus habe beispielsweise sogenannte Alltagsbegleiter auf Minijob-Basis gesucht und auch gefunden. „Das Interesse war großartig. Beispielsweise von ehemaligen Krankenschwestern, die so wieder in Berührung mit dem Beruf und der Institution Krankenhaus kommen“, berichtet Milde.
Dieter Kesper, Geschäftsführer der Marienborn gGmbH, warnte vor den zahlreichen bürokratischen Hürden, die beim Prozess der Pflegekraftgewinnung in Indien zu überwinden sind. „Wir hatten eine Bürokratie, die über Jahre hinweg verhindert hat, dass ausländische Fachkräfte hier arbeiten können. Diesen Prozess umzukehren, erfordert viel Geduld“, so Kesper.
Johannes Hartmann, Geschäftsführer der Stiftung Marien-Hospital, erinnert daran, dass es zwar wichtig sei, dass alle Beteiligten an einem Strang zögen. „Noch wichtiger ist aber, dass alle in dieselbe Richtung ziehen“, sagt er.
Felix Worringen, Mitarbeiter der „Care with Care“-Agentur, sagte, dass man eine gewisse Infrastruktur in Indien habe und vor allem die Sozialen Netzwerke nutze, um potenzielle indische Pflegekräfte zu generieren. Die deutsche Sprache sei jedoch eine große Herausforderung. „Wir merken aber, dass an den Sprachschulen immer mehr Deutschkurse angeboten werden“, so Worringen. Das Interesse daran, in Deutschland zu arbeiten, sei vorhanden.