Drei Jahre sind seit der Flut im Kreis Euskirchen vergangen. Landrat Markus Ramers über Solidarität, Wiederaufbau und die Steinbachtalsperre.
Euskirchens LandratAn dieses Bild aus der Flutnacht hat Markus Ramers keine Erinnerung
Drei Jahre ist die Flutkatastrophe im Kreis Euskirchen her. Der 14. Juli 2021 ist ein Datum, das sich ins kollektive Gedächtnis des Kreises eingebrannt hat. Jeder hat seine ganz persönliche Erinnerung an den Tag, an dem das Wasser kam. Jeder hat seine ganz persönlichen Erinnerungen an die Tage, als das Wasser zwar weg war, die Zerstörung sich aber in ihrem vollen Ausmaß offenbarte.
Auch Landrat Markus Ramers hat seine ganz persönlichen Erinnerungen an den 14. Juli und die dann folgenden drei Jahre. Das wird auf der Fahrt zur Steinbachtalsperre deutlich. Sie ist zu einem der Symbole der Katastrophe geworden. Nach Kronenstau und Überlauf sind es Tage des Hoffens und Bangens: Hält der Damm? Gelingt es den Einsatzkräften, das Wasser schnell genug abzupumpen? Landrat Ramers ist in jenen Tagen mehrfach zur Steinbachtalsperre gefahren – auch, weil die Kommunikation dorthin so schwierig gewesen sei.
An ein Foto aus der Flutnacht hat der Landrat keinerlei Erinnerungen
„Ich bin mit so einem Gefühl hier hingefahren: Was erwartet mich jetzt? Wir hatten schon die unglaubliche Katastrophe und haben nach und nach realisiert, wie schlimm es überall ist. Und an der Steinbach drohte das ja dann irgendwie noch mal schlimmer und radikaler zu werden“, so Ramers. Erst am 19. Juli 2021 ist die Talsperre sicher, eine noch größere Katastrophe abgewendet. Ein heute noch deutlich sichtbares Zeichen ist neben dem fehlenden Wasser die Scharte, die zur Stabilisierung des Damms eingebaut worden war.
Von sichtbaren und unsichtbaren Spuren spricht der Landrat, die die Katastrophe bis heute im Kreis hinterlassen hat. Und bei ihm selbst? Was hat die Flut mit ihm gemacht? „Das Ereignis hat mich sehr geprägt – meine Amtszeit, meine Arbeit als Landrat und mein Verständnis von meiner Rolle. Aber auch mich persönlich natürlich“, sagt er: „Es ist jetzt nicht so, dass ich tagtäglich daran denke. Aber ich glaube, es ist wie bei vielen in der Bevölkerung. Die Flut hat tiefe Spuren hinterlassen. Man ist bei gewissen Entscheidungen, in gewissen Momenten, vielleicht manchmal unterbewusst, dadurch geprägt und beeinflusst.“
In Bad Münstereifel mit Helfern ein Kölsch getrunken – Erinnerung kommt bei EM zurück
Erst vor wenigen Wochen habe er in der Vorbereitung auf einen Vortrag zur Flut festgestellt, dass es kaum Bilder aus jener schrecklichen Nacht zum 15. Juli 2021 gebe. Eins habe er schließlich auf seinem Smartphone entdeckt. Das Bild zeigt den Krisenstab im Kreishaus um 2.41 Uhr. Die Erinnerung daran? Gleich null. „Ich weiß nicht, wie es entstanden ist. Ich habe es auch vorher nie gesehen. Es ist auch kein unglaublich faszinierendes Foto“, so Ramers: „Dass Erinnerungen plötzlich, manchmal unerwartet, hochkommen, passiert mir jetzt, drei Jahre danach, häufiger.“
Beispielsweise bei einem Schreckenskammer-Kölsch während der Fußball-EM. Das habe er zum ersten Mal mit einer Gruppe Helfer am Tag nach der Flut „irgendwo in Richtung Rathaus“ in Bad Münstereifel getrunken. „Und plötzlich erinnere ich mich an solche Situationen“, so Ramers.
Die Helfer sind es, die einen so nachdrücklichen Eindruck hinterlassen haben. In Bad Münstereifel, in Gemünd, in Kall, in Nettersheim, in Weilerswist, in Zülpich – überall. Die Menschen im Kreis sind zusammengerückt, Helfer sind oft Hunderte Kilometer gefahren, um hier anzupacken. Sie alle haben Menschenketten gebildet, um Schlamm und Schutt aus den Häusern und Orten zu bekommen.
Von diesem Zusammenhalt, von diesem ganz speziellen „Wir schaffen das“ ist gefühlt nicht mehr viel übrig. Oder doch? „Es ist natürlich irgendwo der Alltag einkehrt, und alle haben mit sich selbst zu kämpfen – beispielsweise mit den neuen Herausforderungen unserer Zeit. Da ist es ganz normal, dass man Solidarität und Gemeinschaftssinn im Alltag nicht mehr allgegenwärtig spürt“, sagt Ramers.
Es sei bei vielen aber etwas davon hängen geblieben. Es gebe immer noch Vereine, die sich in der Flut gegründet haben, die weiterarbeiten und neue Aufgaben für sich gefunden haben. Es gebe Freundschaften, die Bestand haben. Es gebe die Nachbarschaften, die sich – wahrscheinlich auch dieses Wochenende – zum Grillen treffen, die das vorher nicht gemacht haben. „Und ich bin so optimistisch zu sagen: Egal, welche Krise kommt – ein sehr, sehr großes Stück Zusammenhalt wird übrig bleiben und man wird darauf zurückgreifen können.“
Die grüne Steinbachtalsperre, von der Natur zurückerobert, ist auch ein Symbol dafür, dass längst nicht alle Wunden verheilt sind. Wann kann, wann wird das sein? „Die Frage ist: Was ist die Definition von fertig? Wenn alle Gebäude wieder da sind? Wir müssen uns sehr anstrengen, den Wiederaufbau in den 2020er-Jahren zum Abschluss zu bringen. Wenn ich alle Wiederaufbaumaßnahmen, auch bei den Städten und Gemeinden, zusammennehme, kann auch eine Drei vorne sein. Und dann reden wir tatsächlich über ein Jahrzehnt, den der Wiederaufbau gedauert hat“, sagt Ramers. Zehn Jahre hält er für nicht unrealistisch.
Hat er in vor drei Jahren, in den ersten Tagen nach der Flut, in solchen zeitlichen Dimensionen gedacht? „Ich glaube nicht“, antwortet der Landrat. Und fügt an: „Wobei ich auch vor drei Jahren nicht gedacht hätte, dass wir in vielen Bereichen jetzt schon so weit sind. Touristen kommen in den Kreis und sehen vielerorts nichts mehr von den Schäden. Und hier sah es teilweise aus wie im Kriegsgebiet.“
Jetzt – mehr als 1090 Tage nach der Katastrophe – haben die Menschen, die Kommunen, der Kreis viel geschafft. Längst nicht alles, aber viel. Wie geht es dem Kreis Euskirchen aus Sicht des Landrats kurz vor dem Jahrestag? „Gut ist vielleicht das falsche Adjektiv. Nicht wegen der Flut, sondern wegen der Herausforderungen, die wir alle haben.“ Dann benutzt er doch genau dieses Adjektiv: „Im Vergleich zu nicht von der Flut betroffenen Regionen Deutschlands geht es uns gut. Wir haben uns in vielen Bereichen sehr gut von der Katastrophe erholt, der Wiederaufbau ist gut fortgeschritten.“
Landrat Ramers: Härtefälle dürfen nicht vergessen werden
Viele Modernisierungen seien vonstattengegangen. Vielerorts sei der Wiederaufbau genutzt worden, um Dinge zukunftsfähiger zu gestalten. Als Beispiele führt Ramers den Breitbandausbau und die Elektrifizierung der Bahnstrecken an. Vieles sei positiv, aber man dürfe auf keinen Fall die Augen vor den Dingen verschließen, die nicht gut gelaufen seien.
„Es gibt eben die vereinzelten Härtefälle. Menschen, die vielleicht persönlich überfordert oder von Versicherungen über den Tisch gezogen worden sind. Einfach in vielfältigen Schwierigkeiten sind. Da müssen wir weiter genau hingucken“, so Ramers. Man sehe die Spuren der Flut, wenn man wachsam durch den Kreis gehe.
„Aber ich habe ein gutes Gefühl und habe vor allem großen Respekt vor dem, was alle da gemeinsam geleistet haben“, sagt der Landrat: „Wir reden oft über die Negativbeispiele, bei denen viele Dinge zusammenkommen. Aber es haben ja auch ganz viele dazu beigetragen, dass es bei uns wieder so aussieht, wie es aussieht. Es war eine wahnsinnige Gemeinschaftsleistung, diesen Wiederaufbau so hinzubekommen.“
Fehlen also nur noch die Bahnlinien und die Steinbachtalsperre? „Nein“, sagt Ramers – ohne auch nur eine Sekunde nachzudenken. Die Steinbachtalsperre ist für ihn ein gutes Beispiel. Manches dauere einfach zu lange, vor allem mit Blick auf den Hochwasserschutz. In den Bevölkerungsschutz etwa habe man im Kreis Euskirchen viel investiert, da sei man besser und breiter aufgestellt als vor drei Jahren. „Ich bin davon überzeugt, dass wir heute nicht eine so hohe Zahl an Todesfällen zu beklagen hätten“, sagt der Landrat: „Und das ist erstmal das Wichtigste, um das es geht.“
Eine Art Kehrseite der Medaille sei der Hochwasserschutz. „Was materielle Schäden betrifft, sind wir kaum besser aufgestellt und hätten eine ähnlich hohe Zahl an betroffenen Gebäuden und Infrastrukturschäden zu beklagen. Wir kommen beim Hochwasserschutz einfach nicht schnell genug voran“, so Ramers.
Bei vielen Gebäuden sei der Objektschutz verbessert worden. „Aber wenn es um große Schutzmaßnahmen geht, die das Wasser aus Ortschaften raushalten sollen, dann macht das vielen Betroffenen Sorgen, weil es sie nicht gibt“, so Ramers. Das Tempo sei etwas, das „viele nervt und beunruhigt. Und das kann ich verstehen.“
Um genau dieses Tempo zu thematisieren, habe er vor wenigen Monaten NRW-Umweltminister Oliver Krischer (Grüne) angeschrieben. „Wir reden ja in der großen Politik viel über Deutschlandtempo und Turbo und Wumms und wie das alles heißt“, ereifert sich Sozialdemokrat Ramers auf dem Weg ins einstige Staubecken der Steinbachtalsperre. Wann und wie es wieder für diese Funktion und den Hochwasserschutz genutzt wird, steht in den Sternen.
Ramers wünscht sich überragendes öffentliches Interesse beim Hochwasserschutz
Er wünsche sich bei diesem Thema auch so etwas wie das „überragende öffentliche Interesse“. Dieser Grundsatz soll beim Ausbau erneuerbarer Energien Genehmigungsverfahren beschleunigen. Derartiges muss laut Ramers auch für Hochwasserschutz und Klimawandelanpassungsmaßnahmen gelten: „Weil es um den Schutz von Leib und Leben geht.“
Die Antwort auf sein Schreiben sei enttäuschend gewesen, weil es seitens des Ministeriums dafür keine Bereitschaft gebe. „Gerade für uns als Kreis, aber auch für Kommunen und Wasserverbände ist es wichtig, dass wir Menschen und Infrastruktur vor solchen Ereignissen schützen. Es ist auch ein wahnsinniger volkswirtschaftlicher Schaden, der da entstanden ist. Was wir jetzt in besseren Hochwasserschutz investieren, ist ein Bruchteil von dem, was an Schäden auftreten würde, sollte sich ein solches Ereignis nur annähernd wiederholen.“
Die gute Zusammenarbeit der Kommunen betont Ramers immer wieder. „Die Kommunen haben unterschiedliche Prioritäten gesetzt, sind unterschiedlich an die Herausforderungen herangegangen. Viele mit eigenem Personal, manche mit externen Projektbüros. Einige haben die Politik eng einbezogen, andere haben Verwaltungsstäbe aufgebaut. Ich finde, die Verwaltungen haben jede für sich gute Lösungen gefunden.“
Und wenn der Landrat drei Jahre nach der Flut einen Wunsch frei hätte? „Dass wir Hochwasserschutzmaßnahmen schnell und unkompliziert umgesetzt bekommen. Ich glaube, das ist ein großer Wunsch, den ich mit vielen Betroffenen teile.“ Dazu gehöre dann auch, dass die Menschen trotz Warnmeldungen im Wetterbericht ein bisschen besser schlafen können.
Fahrradtour von Landrat Markus Ramers durch einige Ortschaften?
Landrat Markus Ramers hat nach eigenen Angaben noch keinen konkreten Plan, wie er den dritten Jahrestag der Flutkatastrophe verbringen wird. Es stehe fest, dass er am Abend das Finale der Fußball-Europameisterschaft schauen werde, sagt der Verwaltungschef. „Ich habe vergangenes Jahr ohne große Ankündigung eine Fahrradtour gemacht, wo ich dann gezielt an Flut betroffenen Orten vorbeigefahren bin. Vielleicht mache das dieses Jahr wieder“, so Ramers.
Im vergangenen Jahr habe er die Tour genutzt, um sich den Tag ganz bewusst in Erinnerung zu rufen. Genauso bewusst habe er auf mediale Begleitung oder öffentliches Tamtam, wie er es nennt, verzichtet. „Da, wo ich Leute getroffen habe, bin ich ins Gespräch gekommen. Wo nicht, war das auch in Ordnung. Das kann ich mir für dieses Jahr auch vorstellen.“
Am Montag sei ein stilles Gedenken für die Opfer der Hochwasserkatastrophe an der Stele vor dem Kreishaus geplant. „Ich finde es ganz gut, dass das jetzt nicht die Großveranstaltung oder ähnliches gibt, sondern dass wir sehr individuell mit den Erinnerungen an den Tag und das Ereignis umgehen“, sagt Ramers im Gespräch mit dieser Zeitung.
Er habe keine Einladung für eine Veranstaltung im Kreis erhalten, sagt Ramers: „Das ist auch völlig in Ordnung.“ Und der zentrale Erinnerungsort an der B51 bei Blankenheimerdorf? „Ich finde es schön, dass man einen kleinen, zentralen Gedenkort in NRW macht. Man hat aber niemanden mit einbezogen – weder Angehörige noch die Verantwortungsträger vor Ort in betroffenen Kommunen. Das macht es natürlich schwieriger, dass sowas angenommen wird“, so Ramers.