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Der Milliarden-KrimiAbgeordnete aus dem Kreis Euskirchen treffen sich noch einmal in Berlin

Lesezeit 8 Minuten
Wolken ziehen am frühen Morgen über das Reichstagsgebäude.

Mit Spannung werden die letzten Abstimmungen des bisherigen Bundestages über sehr, sehr viel Geld erwartet. Zum vorerst wohl letzten Mal sind vier Abgeordnete aus dem Wahlkreis dabei. üb

Zwei Abgeordnete aus dem Wahlkreis Euskirchen/Rhein-Erft gehören dem neuen Bundestag nicht mehr an. Nun müssen sie trotzdem nochmal ran. Wie stimmen sie ab?

Damit hatten sie selbst nicht gerechnet: Dagmar Andres (SPD) und Markus Herbrand (FDP) sollen noch mal mitentscheiden im Deutschen Bundestag. Dabei hatten sie doch schon mit ihrem Mandat abgeschlossen. Doch wie heißt es so schön: Die Oper ist erst vorbei, wenn die ganz dicke Lady gesungen hat.

Und um eine „ganz dicke Lady“ geht es bildlich gesprochen ab diesem Donnerstag im Hohen Haus: die sogenannten Sondervermögen für Infrastruktur und Verteidigung, die sich für die kommenden zehn Jahre locker zu Schulden von über einer Billion Euro hochschrauben können.

„Da wird einem schon schwindelig“, sagt Herbrand angesichts solcher Zahlen. Und für Spannung ist auch gesorgt: Stimmen die Grünen am Ende doch zu? Oder bricht das Finanzkonstrukt von Schwarz-Rot zusammen – und damit eine der wichtigsten Voraussetzungen für die geplante Koalition?

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Markus Herbrand (FDP) ist raus und stimmt mit Nein

Auf Zustimmung des Gemünders für ihre „Sondervermögen“ sollten CDU/CSU und SPD allerdings nicht hoffen. „Das ist der Tod der Schuldenbremse“, sagt Herbrand. Das Verfahren sei unnötig, um die Ziele zu erreichen. Dafür könne er nicht die Hand heben.

Eigentlich hatte Markus Herbrand mit seinem Leben als Bundestagsabgeordneter schon fast abgeschlossen. Mit dem Gedanken, dass er dem künftigen Parlament nicht mehr angehören würde, habe er sich ja schon vor der Wahl anfreunden müssen, sagt er. „Durch die Verkleinerung des Bundestages hätte eine fünf oder sogar sechs vor dem Komma schon nicht mehr gereicht, damit mein Listenplatz zwölf gezogen hätte“, erläutert Herbrand. Wäre es bei der vorherigen Parlamentsgröße geblieben, hätte auch ein knappes Ergebnis über fünf Prozent gereicht. Es nage aber schon an ihm, dass es letztlich die ganze FDP erwischt habe, sagt Herbrand. Nun werde er wohl in seinen Beruf als Steuerberater zurückkehren: „Vielleicht findet sich aber auch etwas anderes.“

Markus Herbrand, finanzpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, spricht im Plenarsaal im Deutschen Bundestag.

Hat zum Glück noch seine Wohnung in der Hauptstadt Berlin: Markus Herbrand (FDP) aus Gemünd.

Ins Hotel muss er für die Sondersitzungen nicht ziehen. Er hat noch eine Wohnung in Berlin. „Die habe ich bis Ende Juni gemietet“, so der 54-Jährige – auch, um sich noch ein paar schöne Tage im sommerlichen Berlin gönnen zu können.

Doch zunächst ist noch mal Arbeit in der Hauptstadt angesagt: Fraktions- und Plenumssitzungen stehen an. Dass die FDP die Vorhaben von Union und SPD äußerst kritisch sieht, überrascht wenig. Das heiße jedoch nicht, so Herbrand, dass sie Investitionen in Infrastruktur und Bundeswehr nicht für wichtig halte. „Doch für die Bundeswehr könnte man auch das bestehende Sondervermögen erhöhen“, sagt der Finanzexperte seiner Fraktion.

Stattdessen schaffe sich die vielleicht künftige Koalition lediglich Freiräume im Haushalt, um sich auf Kosten späterer Generationen Wünsche zu erfüllen. Wenn nämlich alles, was für die Verteidigung über einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) liege, nicht mehr der Schuldenbremse unterliege, schaffe sich eine Regierung Freiräume, andere reden von „Spielgeld“ im eigentlichen Haushalt.

Es werden keine Prioritäten gesetzt, es wird erst mal Geld rausgeballert.
Markus Herbrand, scheidender FDP-Abgeordneter

„Ein Prozent bedeutet heute etwa 43 Milliarden Euro“, rechnet Herbrand vor. Derzeit lägen die Ausgaben für Verteidigung bei etwa zwei Prozent des BIP, blieben also 43 Milliarden, die die möglichen Koalitionäre zum Ausgeben hätten – ohne an Schuldenbremse und spätere Generation denken zu müssen. Und der Anteil der Verteidigungskosten solle ja künftig noch steigen. „Es werden keine Prioritäten gesetzt, es wird erst mal Geld rausgeballert“, vermisst Herbrand den Sparwillen bei Schwarz-Rot.

Und die Infrastruktur? Die sogenannten 500 Milliarden Sondervermögen hält Herbrand ebenfalls für unnötig. „Ich kenne kein Infrastrukturprojekt, das am Geld gescheitert ist“, sagt er. Viele Mittel würden von den Ländern gar nicht abgerufen. Nicht an Geld mangele es, sondern an Schnelligkeit bei den Genehmigungsverfahren: „Es liegt daran, dass es bis zu 15 Jahren dauert, bis etwas realisiert wird.“

Detlef Seif (CDU) bleibt in Berlin und ist für die Pläne seiner Partei

Im Gegensatz zu Herbrand gehört Detlef Seif (CDU) auch dem neuen Bundestag an. Und er will den Sondervermögen zustimmen. Er zeigt aber Verständnis für den Vorwurf, seine Partei sei umgefallen, nachdem sie im Wahlkampf die Schuldenbremse hochgehalten habe.

Jedoch habe US-Präsident Trump in den vergangenen drei Wochen mehr als deutlich gemacht, dass die USA derzeit ein Totalausfall in der gemeinsamen Sicherheitspolitik seien, sagt er. „Es handelt sich um eine völlig neue sicherheits- und geopolitische Lage. Die Europäische Union muss zukünftig selbst in der Lage sein, für die Sicherheit Europas zu sorgen. Deutschland kommt hierbei eine Schlüsselrolle zu“, so Seif.

Detlef Seif (CDU/CSU), Mitglied des Deutschen Bundestags, spricht im Plenum des Deutschen Bundestages.

Bald wieder Regierungsfraktion statt Opposition? Detlef Seif (CDU) aus Weilerswist.

Zudem habe Friedrich Merz betont, dass zu Beginn der Sondierungsgespräche Zahlen des Finanzministeriums vorgelegt wurden, die in dramatischer Weise von den bisher bekannten Zahlen abwichen. „Die erforderlichen zusätzlichen Ausgaben lassen sich nicht im Kernhaushalt darstellen“, erklärt Seif.

Es handelt sich um eine völlig neue sicherheits- und geopolitische Lage.
Detlef Seif, auch im neuen Bundestag CDU-Abgeordneter

Daher führe an der beabsichtigten Grundgesetzänderung und der Anpassung der Schuldenbremse kein Weg vorbei. Seif geht davon aus, dass auch die Grünen dem Paket zustimmen werden – und dass es zeitnah eine neue Regierung geben wird: „Im Gegensatz zur Ampel, die alleine 141 Tage bis zum Abschluss der Sondierungsgespräche benötigte, war die jetzige Sondierung nach 13 Tagen abgeschlossen. Wir sind im Eiltempo unterwegs, so dass die Koalition bis Ostern stehen kann.“

Bei der aktuellen geopolitischen Lage brauche es schnell ein handlungsfähiges Deutschland, das in der EU wieder Führung übernehme, so Seif: „Das erwarten auch unsere europäischen Partner.“

Dagmar Andres (SPD) verlässt Berlin auf eigenen Wunsch und sagt Ja

Dem könnte Dagmar Andres zumindest in Teilen zustimmen. Die SPD-Abgeordnete freut sich auf ihre Zugabe in Berlin. „Meine Mandatszeit dauert an bis zur Konstituierung eines neuen Bundestages, natürlich übe ich mein Mandat bis dahin auch aus.“ Ihr Berliner Büro sei noch nicht komplett aufgelöst, das Appartement in der Hauptstadt erst für Ende April gekündigt. Und anders als im „normalen“ Parlamentsalltag gebe es bei ihrer letzten Runde viel unverplante Zeit, die sie gemeinsam mit einer Kollegin nutze, um auch mal was von Berlin zu sehen.

Dagmar Andres, SPD-Bundestagsabgeordnete, spricht im Bundestag zu den Abgeordneten.

Freut sich über die Zugabe in Berlin: Dagmar Andres (SPD) aus dem Rhein-Erft-Kreis.

Andres gehört dem kommenden Bundestag nicht an – freiwillig. Sie hatte aus persönlichen Gründen auf eine erneute Kandidatur verzichtet.

In Berlin wird spekuliert, dass ausscheidende Abgeordnete der SPD, weil sie Friedrich Merz nicht mögen, gegen das Finanzpaket stimmen könnten. Im Falle von Dagmar Andres müssen sich die SPD-Chefs Saskia Esken und Lars Klingbeil sowie CDU-Chef Merz darüber aber keine Sorgen machen: „Ja, ich werde zustimmen. Die Reform der Schuldenbremse ist schon lange notwendig, das ist seit vielen Jahren der Wunsch der SPD, der leider in der Ampel nicht umsetzbar war.“

Es gehe darum, das Land kurzfristig und effizient in Verteidigungsbereitschaft zu versetzen und den Ländern mehr Möglichkeiten zu Investitionen in die Verbesserung der Infrastruktur, auch für Zivil- und Bevölkerungsschutz, zu geben.

„Da sehe ich keine andere Lösung als die genannten Sondervermögen, um dem Kernhaushalt ein klitzekleines bisschen Entspannung zu geben und um dem Risiko zu begegnen, dass innere und soziale Sicherheit gegeneinander ausgespielt werden“, sagt Dagmar Andres. Angesichts der aktuellen diffusen Bedrohungslage durch Diktatoren und ähnlich unberechenbare Staatsoberhäupter sei es ihr wichtig, „die Verteidigungsbereitschaft unseres Landes schnell und effizient herzustellen“.

Rüdiger Lucassen (AfD) sitzt weiter im Bundestag und ist dagegen

Dem Vorhaben nicht zustimmen wird der Kaller Rüdiger Lucassen, Mitglied des alten und auch des neuen Bundestages. „Union und SPD erschaffen mit ihren Sondervermögen eine finanzpolitische Zeitbombe“, so der AfD-Abgeordnete. Deutschland habe bislang einen vergleichsweise niedrigen Schuldenstand – „unsere letzte ökonomische Stärke“.

Beide Parteien trieben das Land in eine Schuldenfalle, die künftige Generationen teuer bezahlen würden. Zinszahlungen würden steigen, die Inflation angeheizt. „Statt einer ehrlichen Reform unserer Staatsfinanzen setzt die große Koalition auf die Geldpresse, um ihre internen Widersprüche zu übertünchen“, so Lucassen.

Rüdiger Lucassen (AfD) spricht im Deutschen Bundestag.

Bleibt in der Opposition im Deutschen Bundestag: Rüdiger Lucassen (AfD) aus Kall.

Allein in den Bereichen Migration, Klimasubventionen, Bürgergeld und internationale Transfers gebe es Einsparpotenziale in dreistelliger Milliardenhöhe, so der AfD-Mann: „Infrastruktur und Bundeswehr gehören zu den Kernaufgaben des Staates – es ist ein Skandal, dass Deutschland für beides angeblich kein Geld hat, während Milliardensummen verschwendet werden.“


Ist das okay? So beurteilen die Abgeordneten das Prozedere

Dass der Bundestag, der formal noch bis zum 23. März in Amt und Würden ist, nun noch mal entscheide, sei juristisch wohl okay, sagt FDP-Mann Markus Herbrand: „Es ist aber meiner Meinung nach mit einem bitteren Geschmäckle versehen, dass ein abgewählter Bundestag derart in die Belange künftiger Bundestage eingreift.“

„Wir haben keine Zeit zu verlieren“, sagt hingegen Detlef Seif (CDU). Als Gewinner des Wahlkreises bleibt er dem Bundestag erhalten, gehört bald voraussichtlich auch wieder einer Regierungsfraktion an – wie bereits von 2009 bis 2021. „Es wäre grob fahrlässig, wenn wir jetzt nicht alle Möglichkeiten nutzen, die erforderliche Grundgesetzänderung zügig umzusetzen“, so Seif. Mit AfD und Linken hätten zwei Parteien im neuen Bundestag eine Sperrminorität, die in der Verteidigungspolitik ein Sicherheitsrisiko seien und bei dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine Opfer und Täter verwechselten: „Eine Zustimmung ist von diesen beiden Parteien nicht zu erwarten.“

Dass nun der „alte“ Bundestag noch mal entscheidet, hält auch die SPD-Abgeordnete Dagmar Andres für okay: „Fakt ist: Bis der ,neue' Bundestag konstituiert ist, ist der ,alte' Bundestag ordnungsgemäß im Amt und arbeitsfähig und wird seiner Aufgabe nachkommen. Ich kann daran kein Geschmäckle erkennen.“

„Das ist ein durchsichtiges Manöver und ein fragwürdiger Umgang mit dem demokratischen Prozess“, beurteilt hingegen der wiedergewählte AfD-Abgeordnete Rüdiger Lucassen das Vorgehen. Es untergrabe aus seiner Sicht das Vertrauen der Bürger in die parlamentarische Ordnung.