Im Kreis Euskirchen nimmt die Anzahl der zur Anzeige gebrachten Gewalttaten gegen Frauen zu. Nährboden dafür ist der Antifeminismus.
Vortrag in EuskirchenWie hängen Antifeminismus und häusliche Gewalt zusammen?
„In meiner Wut und Verzweiflung habe ich sie umgebracht“: So gestand ein 43-jähriger Euskirchener die Tötung seiner 25-jährigen Ehefrau im September 2020 vor dem Bonner Landgericht. In der gemeinsamen Wohnung an der Kommerner Straße in Euskirchen habe er „ihren Kopf wiederholt auf den Laminatboden geschlagen“. Anschließend hat der Mann selbst Polizei und Krankenwagen gerufen. Die Frau starb im Krankenhaus an ihren Kopfverletzungen.
„Feminizide“ sind nur die Spitze des Eisbergs häuslicher Gewalt an Frauen
Astrid Günther, Gleichstellungsbeauftragte des Kreises Euskirchen, erinnert sich gut an den Fall. Schon bevor es zur Tötung der Frau und Mutter eines damals zweijährigen Sohnes gekommen sei, habe die Frau mehrfach um Hilfe gebeten. Immer wieder habe sie gesagt, dass ihr Ehemann gewalttätig sei. Bereits zwei Jahre zuvor hatte sie sich vergeblich um eine Aufnahme im Frauenhaus bemüht. „Dass wir dort zu wenig Plätze haben, ist aber nicht allein ein Euskirchener, sondern ein landes-, nein, ein bundesweites Problem“, sagt Günther.
Durch solche „Femizide“ – also Morde von Männern an ihren Ehefrauen, Freundinnen, oder Expartnerinnen – werde das Thema Häusliche Gewalt in das Licht der Öffentlichkeit gezerrt, sagt Günther. Durchschnittlich versuche jeden Tag ein Mann in Deutschland eine Frau umzubringen. Doch sei das nur die Spitze des Eisbergs. Was täglich hinter den Gardinen in der Nachbarschaft und auch auf der Straße passiere, bilde das nicht ab.
Nach Lockdowns stieg die Zahl angezeigter Gewalttaten im Kreis Euskirchen
Um 38 Prozent sei die Anzahl der angezeigten Gewalttaten gegen Frauen im Kreis Euskirchen von 2021 auf 2022 gestiegen. In den Coronajahren seien die Betroffenen vor allem Familien mit Kindern gewesen. „Durch die große Belastung lagen dort die Nerven blank“, sagt sie. Vor allem Mütter mit Kindern seien betroffen gewesen. Aber der Anstieg der Gewalt gegen Frauen sei nicht allein der Corona-Pandemie zuzurechnen. Denn die Anzahl der angezeigten Gewalttaten sei auch nach den harten Lockdowns noch gestiegen.
Einer der Nährböden, auf denen sich häusliche Gewalt zur Zeit verstärkt ausbreite, sei der Antifeminismus, erklärt Günther: „Antifeministische Haltungen haben Einfluss darauf, wie Gewalt gegen Frauen gesehen und legitimiert wird.“ Um im Kreis über dieses Thema zu informieren, hat das Organisations-Team des Runden Tisches gegen häusliche Gewalt die Referentinnen Julia Haas und Ronja Heukelbach von der Wuppertaler Initiative für Demokratie und Toleranz eingeladen.
„Der Antifeminismus ist eine Gegenbewegung und eine eigenständige Ideologie“, sagt Ronja Heukelbach. Und zwar eine, die es sich zum Ziel gemacht habe, emanzipatorische Errungenschaften der vergangenen Jahrzehnte wieder zunichtezumachen. Es gehe um die Rückbesinnung auf das Traditionelle, die Frau als Hausfrau und Mutter, die Frau am Herd, die Frau als schwaches und unterlegenes Gegenstück des Mannes. Die Agenda der Antifeministen sei es, diese Weltvorstellung wieder stark zu machen.
Was ist der Unterschied zwischen Antifeminismus und Sexismus?
Der Antifeminismus werde oft mit Sexismus gleichgesetzt, erklärt die Referentin. Doch gebe es einen entscheidenden Unterschied: Während Sexismus sich auf konkrete Personen beziehe, sei der Antifeminismus ein strukturelles Problem.
Ein Beispiel: Eine sexistische Aussage wäre es, laut Heukelbach zu sagen, dass Männer etwa für naturwissenschaftliche oder handwerkliche Berufe besser geeignet seien als Frauen. Eine antifeministische Aussage wäre es zu sagen, dass „die Quote“ dafür sorge, dass Frauen in Männer-Berufe vordringen. Oder auch: Dass „der Feminimus“ dafür sorge, dass Frauen Männern ihre Jobs wegnähmen.
Antifeministen verspürten nicht unbedingt nur einen Hass auf einzelne Frauen, sondern auf gewachsene gesellschaftliche Strukturen, die Frauen und Männer gleichberechtigten. Und Personen, die diese Strukturen verkörperten. Daraus erwachse der Wunsch, die Strukturen und die Personen anzugreifen und gezielt zu zerstören.
Das Ergebnis: tätliche wie verbale Angriffe auf Personen des öffentlichen Lebens, die für Feminismus, sexuelle und geschlechtliche Vielfalt einstehen, so wie etwa Wissenschaftlerinnen der Gender Studies. „Manchmal reicht es auch schon, Gleichstellungsbeauftragte zu sein“, sagt Astrid Günther.
Gender-Sprache ist ein „Türöffner“ für rechtsextremes politisches Programm
Im Kreis Euskirchen sei es vor allem die gendergerechte Sprache, die wie ein trojanisches Pferd instrumentalisiert werde, um antifeministische Haltungen salonfähig zu machen. Zunächst gehe es vielleicht nur um ein Gender-Sternchen, dann tue sich im Lauf der Unterhaltung aber eine Weltsicht auf, die „gruselig“ sei.
Julia Haas bestätigt das: „Der Antifeminismus ist häufig ein Türöffner“, sagt die Expertin. Und zwar einer für fundamentalistische oder rechtsextreme Organisationen. „Antifeminismus passiert nie einfach so. Da steckt immer ein politisches Programm dahinter“, sagt sie. Man spreche vom „organisierten Antifeminismus“.
Wie gefährlich die Öffentlichkeit für Frauen sein kann, die in diesem öffentlichen Bereich arbeiten, wird deutlich, als Astrid Günther laut bittet, keine Fotos von den beiden Referentinnen zu machen. Das habe den Hintergrund, sagt Haas, dass sie und Ronja Heukelbach auch trotz ihrer Tätigkeit sicher nach Hause kommen wollten. Sobald Fotos mit vollständigem Namen veröffentlicht würden, könne das aber nicht mehr gewährleistet werden. „Das hat die Leute wirklich betroffen gemacht“, sagt Günther im Anschluss an den Vortrag.