Flucht aus der UkraineAchtköpfige Familie durch viele Zufälle in Kommern angekommen
Mechernich-Kommern – Helfen, wo man kann. Das ist für Manfred Glasmacher, Uwe Reetz, Damian Machnik, Christoph Geschwind und Donner eine Selbstverständlichkeit. Wenn Hilfsgüter zusammenzutragen sind, werden sie zusammengetragen. Wenn Hilfsgüter nach Polen an die ukrainische Grenze gefahren werden müssen, werden sie gefahren. Wenn Menschen, die vor Putins Krieg flüchten, mit nach Deutschland zu bringen sind, werden sie mitgebracht. Und wenn daraus ein Großprojekt erwächst? Dann ist das so. So ist eine achtköpfige Familie aus dem Großraum Kiew in die Obhut der Kommerner gelangt.
Die Männer und zahlreiche weitere Helfer kümmern sich nun mit viel Herz um sie. Beim Abladen der Hilfsgüter im polnischen Rzeszów, wohin die Kommerner über den in Polen geborenen Machnik Kontakte geknüpft haben, haben sie angeboten, Geflüchtete mit nach Deutschland zu nehmen.
Spontan wurde die Fahrt nach Kommern organisiert
Wie üblich in diesen Wochen funktioniert das hemdsärmelig und spontan. Machnik und Reetz haben mit Vladyslav Norikov (17), seiner Freundin Daria Klokum (20), seiner Schwester Yulia Bogovyk (27) und ihrem Sohn Tymur (3) sowie Iryna Voloshyna (27) und ihrem Sohn Yehor (4) sechs Familienmitglieder an Bord. Und einprägsame Erfahrungen. „Die Jungen haben nur geweint und nach Papa geschrien. Das vergesse ich nicht“, sagt Reetz.
Nach Hamm möchte die Gruppe eigentlich, da bestehen offenbar Kontakte über eine Tante – Genaueres wissen die Kommerner nicht. Als sie jedoch die angegebene Adresse googeln, entpuppt sich diese als Asylbewerber-Unterkunft. Und zur vorgesehen Ankunftszeit um 3 Uhr morgens können sie die Familie dort nicht unterbringen.
Kirchenvorstand bot altes Pfarrhaus an
Schnell ist für die beiden klar: Wir fahren nach Hause, die sechs übernachten bei uns und wir fahren tags drauf nach Hamm. Doch als sie und die Ukrainer Bilder der Unterkunft sehen, ist klar: Es muss eine andere Lösung her.
Hilfsgüter
Sammlung wird fortgesetzt
Die Sammlung von Hilfsgütern für die Menschen in der Ukraine setzen die Kommerner fort. Zur Grenze fahren sie aber vorerst nicht mehr – 1600 Euro Spritkosten für Lkw und Bus sind eben kein Pappenstiel. Und eine Ausnahme halten die Kommerner sich offen für Fahrten zur Grenze: „Wenn Leute geholt werden müssen, fahren wir sofort“, sagt Geschwind.
Die Hilfsgüter werden „nur“ bis Köln gebracht: Dort haben das Unternehmen Schenker und das THW einen Umschlagpunkt eingerichtet, wo die Spenden auf große Lkw verladen geladen werden, die sich dann auf den Weg machen. (rha)
Was wird gebraucht?
Benötigt werden Desinfektionsmittel, Verbandsmaterial, Taschenlampen und Powerbanks, Rucksäcke, haltbare Lebensmittel, Babynahrung, Schlafsäcke, Decken und Pampers. Abgegeben werden können die Spenden – jeweils verpackt und beschriftet – auf dem Betriebshof der Firma Glasmacher in Kommern, Toni-Bauer Straße 6, montags und mittwochs von 12 bis 17.30 Uhr, samstags von 9 bis 14 Uhr. (rha)
Binnen weniger Stunden gelingt es Donner, mit dem Kommerner Kirchenvorstand eine Lösung zu stricken – kurzer Dienstweg in der Eifel eben: Sie können in den Zimmern im ersten Stock des alten Pfarrhauses unterkommen. Über Aufrufe in Familien- und Freundesgruppen bei Whatsapp und Co. wird flugs organisiert, was benötigt wird.
Das Leben der Großmutter passt in zwei Plastiktüten
Schnell offenbart sich jedoch die nächste Aufgabe: Großmutter Katerina Lisowska (72) und Tante Tetyana Lisowska (49) fehlen noch. Sie sind ausgebombt, mit knapper Not haben sie im Keller ihres zerstörten Hauses überlebt. Rettungskräfte haben sie nicht erreichen können, die seien beim Versuch, den Frauen zu helfen, von russischen Soldaten beschossen worden.
Irgendwie haben die beiden sich aus den Trümmern befreien und nach Breslau durchschlagen können. Sie haben Kontakt zu ihrer Familie in Kommern. Für Reetz und Donner gibt’s nur eins: Ins Auto und auf nach Breslau. Zwei Tage, berichten sie, haben die Frauen auf der Bank in einer kleinen Kirche ausgeharrt – das ist der vereinbarte Treffpunkt. „Die Babuschka hatte zwei Plastiktüten in der Hand“, sagt Donner: „Mit 72 Jahren. Ihr ganzes Leben.“
Auch sie sind nun in Kommern. Und mit dem Kirchenvorstand haben die Helfer eine längerfristige Lösung organisiert: Das kleine Häuschen neben dem Pfarrhaus steht leer, muss aber renoviert werden. Das erledigen die Kommerner in den nächsten zwei, drei Wochen. Dann kann die Familie dort mietfrei wohnen.
Antje Kalka hilft als Deutschlehrerin
Deutsch lernen die Ukrainer jetzt schon. Etwa eine Woche ist seit ihrer Ankunft vergangen, am Mittwoch hat der zweite Unterricht stattgefunden. Über das typische Eifeler „Man kennt sich“ ist Antje Kalka an die Rolle der Lehrerin geraten – eigentlich arbeitet sie ja bei der Bundeswehr in Köln.
Zufällig hat sich in einem Gespräch herausgestellt, dass ihr Slawistik-Studium zwar schon diverse Jahre zurückliegt, sie aber sehr gut Russisch spricht und die Familie gerne unterstützt. Tapfer kämpft sie sich mit den Ukrainern durch die Anmelde-Formulare.
Dennoch, so die Helfer: Die Stadt und auch der Kreis unterstützen sie sehr unbürokratisch. Kalka bietet der Familie durch den Unterricht etwas Ablenkung von den immerwährenden Gedanken an die Lieben, die im Krieg bleiben mussten und zu denen sie mit ihren Smartphones Kontakt halten.
Flucht aus Kiew kurz vor dem 18. Geburtstag
Sie alle haben sich nicht vorstellen können, dass Putin tatsächlich ihre Heimat überfällt. Und als sich herausgestellt hat, dass der Krieg nicht binnen weniger Tage beendet ist, dass die Bomben auch ihre außerhalb Kiews gelegenen Heimatorte treffen, haben sie sich auf den Weg gemacht.
Vladyslav, der in Kiew Sport studiert hat und leidenschaftlich gerne boxt, hat Glück gehabt. Ende des Monats wird er 18 Jahre alt – dann hätte er sein Land nicht mehr verlassen dürfen. Der Vater hat seine Kinder und Enkel Tymur fortgeschickt: Sie sollen das Land verlassen, sich in Sicherheit bringen. Er selbst ist geblieben.
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Die Familie stellt sich darauf ein, erstmal in Deutschland zu bleiben. Keiner weiß, wie lange dieses erstmal sein wird. Denn ob ihre Heimatorte in der Ukraine noch existieren, wenn der Krieg beendet ist, steht angesichts der Bilder, die sie erreichen, in den Sternen. Konkrete Pläne haben sie noch nicht, sie müssen zunächst ein wenig zur Ruhe kommen. Die Kinder, sagt Yulia Bogovyk, sollten vielleicht den Kindergarten besuchen. Und die Erwachsenen – die jungen Frauen etwa sind Lehrerin und Verkäuferin – arbeiten.