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„Keine Panik, aber Vorsicht“Professor Hengstler über Blei im Mechernicher Boden

Lesezeit 7 Minuten
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Bauen in Mechernich: Muss dafür zukünftig weiträumig Boden ausgetauscht werden?

  1. Es gab einen großen Aufschrei über die Bleibelastung des Mechernicher Bodens.
  2. Beim Blutscreening wurden keine Gesundheitsschäden festgestellt.
  3. Professor Jan G. Hengstler ordnet die Situation ein. Er spricht über Blei-Bluttests, Gefahren und notwendige Maßnahmen.

Mechernich – Vor allem wegen der Kinder seien mittel- und langfristig solide Lösungen in Mechernich erforderlich, sagt der Experte im Gespräch mit Michael Schwarz.

Zur Person

Professor Jan G. Hengstler ist Leiter des Forschungsbereichs Toxikologie und Systemtoxikologie am Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der Technischen Universität Dortmund.

Er setzt sich also mit den Wirkmechanismen von Chemikalien und deren gesundheitsrelevanten Effekten auseinander.

Herr Professor Hengstler, Sie arbeiten an der Technischen Universität in Dortmund. Wie sind Sie auf den Fall „Blei in Mechernich“ gekommen?

Professor Jan G. Hengstler: Medienvertreter haben mich darauf aufmerksam gemacht und mich um Einschätzungen als Toxikologe gebeten.

Warum ist der Fall für Sie interessant?

Am IfADo erforschen wir, wie giftige Substanzen wirken. Da ist es üblich, auch eine solche Grenzwertüberschreitung in den Böden zu beurteilen.

Sie haben sich mit den Ergebnissen des Blutscreenings befasst. Bei 506 Probanden gab es in Mechernich nur wenige Bleiwerte, die über dem bundesweiten Schnitt liegen. Kein Test gebe Anlass zu gesundheitlichen Bedenken, sagte der Leiter der Untersuchung, Professor Thomas Kraus. Die meisten Mechernicher zeigten sich darüber erleichtert. Können Sie das nachvollziehen?

Ja, natürlich. Ich war auch sehr erleichtert, als ich gehört habe, dass die Bleiwerte im Blut nicht erhöht waren. Das ist aber nicht sonderlich überraschend. Die Prüf- und Maßnahmenwerte für Böden werden so abgeleitet, dass Sicherheitsfaktoren berücksichtigt werden. Das heißt: Mit dem Erreichen dieser Werte steht nicht unmittelbar eine Umwelt- oder Gesundheitskatastrophe ins Haus. Es soll ja ein hohes Sicherheitsniveau erreicht werden, um gesundheitliche Beeinträchtigungen auch für empfindliche Bevölkerungsgruppen wie Kinder mit großer Sicherheit auszuschließen. Die Prüf- und Maßnahmenwerte für Blei in Böden sind nach wissenschaftlichen Prinzipien abgeleitet worden. Ihre Überschreitung sollte ernst genommen werden.

Wie beurteilen Sie die angewandte Methode des Blutscreenings?

Zunächst einmal ist für eine Einschätzung die Messung des Bleis im Blut eine gute Methode. Ich finde es sinnvoll, dass so etwas angeboten wurde. Wenn man aber längere Zeiträume beurteilen möchte, wäre eine bildgebende Knochenuntersuchung hilfreich. Damit kann man ohne Eingriff die Bleibelastung untersuchen, etwa am Schienbeinknochen oder am Handwurzelknochen.

Wie repräsentativ ist das Ergebnis?

Da die Menschen zu den Tests eingeladen wurden, die in Gebieten mit einer hohen Bleibelastung wohnen, und eine angemessene Zahl an Personen teilgenommen hat, ist das Ergebnis wahrscheinlich aussagekräftig. Für eine abschließende Beurteilung wären noch weitere Informationen hilfreich – zum Beispiel, aus welchen Straßen Probanden untersucht wurden und ob dort stark erhöhte Bleibodenkonzentrationen vorliegen.

Bedeutet das Ergebnis des Blutscreenings nun endgültig Entwarnung?

Das kann man leider nicht sagen. Die Resultate besagen, dass die hohe Bleikonzentration im Boden bisher zu keinen erhöhten Bleiblut-Konzentrationen geführt hat. Die berichteten Konzentrationen von mehr als 2000, teilweise sogar 4000 Milligramm Blei pro Kilogramm Boden liegen aber weit über dem Prüfwert für Wohngebiete. Für die Einschätzung eines potenziellen Risikos sind diese Konzentrationen im Boden ausschlaggebend. Es geht vor allem darum, wie sich diese Bleibelastung im Boden auf Kinder auswirkt.

Bei allen 32 getesteten Kindern wurden in der Untersuchung aber keine erhöhten Bleiwerte im Blut festgestellt.

Ja, zum Glück. Sonst hätten wir ein ernstes Problem. Bei Kleinkindern besteht eine besondere Gefahr, wenn sie auf den Böden mit erhöhter Bleikonzentration spielen und dann durch Hand-Mund-Kontakte Erde aufnehmen. An solchen Abschätzungen orientieren sich die Prüf- und Maßnahmenwerte.

Warum sind Kinder besonders gefährdet?

Es ist nicht selten, dass kleine Kinder beim Spielen mindestens ein Gramm Erde im Jahr verschlucken, manche auch deutlich mehr. Wenn dann die Bleikonzentration im Boden zum Beispiel 2000 Milligramm pro Kilo beträgt, kann man ausrechnen, wie viel Blei so ein Kind aufgenommen hat.

Blei im Boden

Beim Blutscreening von 506 Mechernichern wurden keine Gesundheitsschäden festgestellt, sagte Professor Thomas Kraus, Leiter der Untersuchung: „Sie enthält aber keine Aussage zu bodenschutzrechtlichen oder baurechtlichen Aspekten.“

Frühere Untersuchungen haben laut Kreis ergeben, dass in keinem Mechernicher Baugebiet mehr als 1600 Milligramm Blei pro Kilo Erde gemessen wurden. Wenn von 5000 Gramm die Rede sei, stimme das vielleicht für einzelne Stellen. Das seien Ausreißer, die in die Gesamtrechnung einflössen. In Kürze werden die Resultate einer neuen Untersuchung veröffentlicht.

Im Plangebiet „Auf der Wäsche“ will die Stadt wegen des Bleigehalts im großen Maße Boden austauschen.

Was bedeuten die regulativen Werte in der Praxis?

Wenn der Prüfwert überschritten wird, muss im Einzelfall geprüft werden, ob Maßnahmen nötig sind. Er liegt bei 400 Milligramm Blei pro Kilogramm Erde für Wohngebiete. Beim Überschreiten des Maßnahmenwertes – er liegt bei 1200 Milligramm für Grünflächen – sind Maßnahmen unausweichlich, wenn dort zum Beispiel gebaut werden soll.

Das heißt konkret?

Wenn Prüfwerte nur geringfügig überschritten werden, kann es sein, dass keine unmittelbaren Maßnahmen erforderlich sind. Aber aus Mechernich sind mir sehr starke Überschreitungen an einigen Stellen genannt worden. Das ist schon erheblich und bedeutet ein potenzielles Risiko. Es kann trotzdem sein, dass dies nicht zu höheren Bleiwerten im Blut führt, etwa wenn eine Aufnahme von Erde über Hand-Mund-Kontakte vermieden und kaum Staub eingeatmet wird.

Wie reguliert man so etwas?

Die Behörden haben die Aufgabe, prinzipiell auch die schlimmsten Fälle zu berücksichtigen, um ein hohes Sicherheitsniveau zu gewährleisten. Und dabei stellt sich wieder die Frage: Was kann passieren, wenn Kinder etwa Erde über den Boden aufnehmen?

Ein älterer Herr sagte in der Bürgerversammlung, er müsse doch schon längst tot sein, wenn die Gefahr so hoch sei, wie manche behaupten. Was sagen Sie dazu?

Der Einwand ist nachvollziehbar. Die Bleibelastung ist jedoch nicht so hoch, dass man deswegen stirbt. Sie ist zum Glück auch nicht hoch genug, um typische Symptome einer schweren Bleivergiftung zu erleiden, wie eine gestörte Blutbildung, Bleikoliken oder Lähmungen. Aber die Maßnahmen, die im Raume stehen, zielen auf Kleinkinder und deren Intelligenzentwicklung ab. Umfassende Studien haben gezeigt, dass diese Entwicklung schon durch eine sehr geringe Bleibelastung beeinträchtigt werden kann. Das Bundesinstitut für Risikobewertung leitet hieraus die Empfehlung ab, dass die Bleibelastung für Kinder so gering wie möglich gehalten werden sollte. Leider ist noch nicht bekannt, wie niedrig eine Bleibelastung sein muss, damit eine gestörte Intelligenzentwicklung bei Kindern ausgeschlossen ist. Daher kann man die aktuelle Situation in Mechernich nicht auf die leichte Schulter nehmen.

Es sind schon Tiere im Stadtgebiet Mechernich an Blei gestorben. Heißt das nicht auch, dass Gefahr für Menschen besteht?

Da müssen wir differenzieren. Es handelt sich dabei um Pferde, die stark bleihaltiges Heu gefressen haben – Größenordnung etwa von 4000 Milligramm pro Kilogramm Heu. Das ist wirklich viel. Wenn das Tier das frisst, erleidet es eine akute und manchmal tödliche Vergiftung. Wir kennen das auch aus anderen ehemaligen Bleiabbaugebieten: Wenn das bleibelastete Wasser aus einem Bach über die Ufer tritt, dann ist dieses Gras kontaminiert. Das ist aber zum Glück nicht der Aufnahmeweg beim Menschen. Wenn ein Kind etwa durch Hand-Mund-Kontakt etwas Erde aufnimmt oder Erwachsene Staub einatmen, wird dadurch viel weniger Blei aufgenommen als beim Heu fressenden Pferd.

Können Sie nachvollziehen, dass viele Mechernicher das Thema inzwischen nervt?

Ja, das kann ich alles verstehen. Es gibt unterschiedliche Emotionen. Manche reagieren ängstlich, andere eher gelassen. Es gibt wahrscheinlich auch Interessen, etwa wenn man Land verkaufen möchte. Aus toxikologischer Sicht muss es aber darum gehen zu analysieren, ob gesundheitliche Gefahren bestehen und, wenn ja, wie damit umzugehen ist.

Besteht für die Mechernicher Anlass zur Panik, zur Vorsicht oder zur Gelassenheit?

Zur Vorsicht. Panik ist nicht angebracht, es wird nicht zu einer Gesundheitskatastrophe kommen in dem Sinne, dass die Menschen an einer schweren Bleivergiftung erkranken. Es besteht aber ein potenzielles Risiko für Kleinkinder, mit dem umsichtig umgegangen werden sollte.

In Kürze werden die Ergebnisse einer neuen Bodenuntersuchung vorgestellt. Unbestritten ist aber schon, dass Teile des Mechernicher Bodens vergleichsweise stark belastet sind. Was empfehlen Sie?

Das ist eine schwierige Frage. Es geht um das Risikomanagement, da muss man Nutzen und Kosten gegeneinander abwägen. Wenn man nichts unternimmt, werden noch Generationen mit dem potenziellen Risiko konfrontiert sein. Daher würde ich schon raten, dass man sich mittelfristig eine solide Lösung überlegt für Baugebiete, die Bodenoberflächen mit stark erhöhten Bleikonzentrationen haben.

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Eine mittel- oder langfristige Lösung könnte der Austausch von stark bleihaltigem Boden sein – das ist allerdings mit hohen Kosten verbunden. Oder man verzichtet darauf, auf stark belasteten Böden Baugebiete auszuweisen.