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Nach der FlutBetroffene aus Kreis Euskirchen schauen zurück auf ein Jahr Wiederaufbau

Lesezeit 6 Minuten
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Ihr Haus wird komplett neu gebaut: Birgit Junctorius aus Kall zeigt auf einem Foto, wie es hier vor der Flutnacht aussah. Als nächstes stehe jetzt an, die Bodenplatte für das Gebäude zu gießen.

Kreis Euskirchen – Ein Jahr ist die Flutkatastrophe her, die weite Teile des Kreises verwüstete. Um den betroffenen Menschen und den vielen Helfern eine Stimme zu geben, haben der Kölner Stadt-Anzeiger und die Kölnische Rundschau das Videoprojekt „Flutprotokolle“ gestartet und die Menschen in der Region gefragt, wie es ihnen geht, was schief läuft, was gut läuft und woraus sie Hoffnung schöpfen. Nun, ein Jahr später, haben wir versucht, noch einmal mit allen Teilnehmern zu sprechen und sie gefragt: Wie geht es Ihnen heute? Einige der Gespräche haben wir erneut in Videos festgehalten.

Birgit Junctorius, Kall

Die Flutnacht hat Birgit Junctorius mit ihrer Familie hüfthoch im Wasser stehend auf den Stufen vor ihrem Haus verbracht, während sie dabei zusehen musste, wie ihre Wohnung im Souterrain und die Wohnung ihrer Eltern im Erdgeschoss voll Wasser liefen. Beim Gespräch im Oktober war von dem Haus nur noch das Souterrain zu sehen. Mittlerweile ist auch das Geschichte, an der Stelle ist heute eine große Schotterfläche zu sehen.

„Am Freitag wird die Bodenplatte gegossen“, sagt Junctorius. Ein langer Weg sei es bis dahin gewesen, doch von Beginn an sei klar gewesen: Es wird genau an dieser Stelle ein neues Haus geben. Ohne Keller und mit einem deutlich erhöhten Erdgeschoss – als Vorsichtsmaßnahme. „Es wird nur zwei ebenerdige Türen geben“, sagt Junctorius. „Der Hochwasserschutz war auf jeden Fall ein Thema als das Haus neu geplant wurde“, sagt Junctorius. Auch wenn ihr dabei die Unterstützung der Gemeinde Kall etwas gefehlt habe.

Bis Ende des Jahres soll die erste Wohnung fertig sein. „Wir können nur noch bis Ende Mai in unserer Notunterkunft sein“, so Junctorius. Umso mehr freute es sie, dass die Nachbarn schon wieder eingezogen sind. „Es ist natürlich emotional, weil man es selber nicht hat, aber man gönnt es ihnen einfach, dass sie zurück kommen. Man freut sich wirklich.“

Marietta Thien, Weilerswist

„Wir haben viel geschafft, das muss man wirklich sagen. Aber man muss auch feststellen: Es bleibt noch viel zu tun“, fasst Marietta Thien, Leiterin des Velbrück-Verlags, das vergangene Jahr zusammen. Im November habe sie noch gehofft, Anfang 2022 in die Verlagsräume im Erdgeschoss zurückzukehren. Doch wer sich heute auf dem Kulturhof Velbrück umschaut, bemerkt: Nach wie vor ist hinter vielen Fenstern noch eine Baustelle. Der Grund sei gewesen, dass die Wände langsamer trockneten als erwartet: „Die Bautrockner waren bis Ende März im Einsatz. Wir hatten über 15 hier auf dem Hof.“

Auch wenn es zermürbend gewesen sei, ständig zu warten, blickt Thien positiv in die Zukunft: „Man kann sich in Provisorien, und in denen leben wir seit einem Jahr, sehr gut einrichten. Meine Mitarbeiterinnen ziehen mit, das ist die Hauptsache.“

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Hat ein Buch veröffentlicht, in dem Betroffene ihre Fluterfahrungen zu Papier gebracht haben: Marietta Thien aus Weilerswist.

Um die Geschehnisse zu verarbeiten, hat Thien ein Projekt mit weiteren Betroffenen ins Leben gerufen. Zahlreiche Metternicher haben ihre Fluterlebnisse niedergeschrieben. Der Verlag hat die Beiträge gesammelt in dem Buch „Metternich in der Flut“ veröffentlicht. „Das war eine sehr spannende, aber auch sehr schmerzliche Sache“, berichtet Marietta Thien von der Zeit. Durch das Schreibprojekt, so ihre Einschätzung, können Leser nicht nur das eigene Leid verarbeiten, sondern auch das der anderen Dorfbewohner besser nachvollziehen.

„Positiv ist, dass es vorangeht. Man sieht jeden Tag, jede Woche, dass ein Stück mehr repariert ist und das motiviert total. Aufgeben war wie für viele im Ort keine Option“, sagt Thien. Konkret heißt das als nächstes für den Hof: „Es müssen hier neue Kabel verlegt werden. Es müssen zum Teil noch Türen eingebaut werden, unten muss die Küche noch eingesetzt werden.“ Viel mehr Arbeit als zuerst gedacht mache zudem das Neuverlegen des Kopfsteinpflasters. „Das gesamte Pflaster ist abgesenkt, das muss noch neu gemacht werden“, so die Verlagsleiterin.

Mit der Kamera vor Ort

Ein Jahr ist vergangen seit der verheerenden Flutkatastrophe. Wie geht es den Betroffenen in der Region heute? Wir schauen zurück auf ein Jahr Wiederaufbau, ein Jahr voller Anstrengung und großer Solidarität.

In der Serie „Flutprotokolle“ lassen wir die Betroffenen vor Ort vor der Videokamera erzählen. Sie berichten, wie sie den Wiederaufbau stemmen, ob die Hilfen bei ihnen ankommen, was sie sich wünschen und wovor sie Angst haben. Wir haben sie auch gefragt, was ihnen Hoffnung in dieser Zeit schenkt. Wir zeigen, wie ihre aktuelle Wohnsituation aussieht und welche Baustellen es noch gibt. Denn während die einen schon seit Monaten wieder in ihren Häusern leben, haben andere auch ein Jahr nach der Flut noch immer nasse Wände.

Zu sehen sind die „Flutprotokolle“ aus dem Kreis Euskirchen und anderen betroffenen Regionen hier. (enp)

Der schönste Moment des vergangenen Jahres sei für sie gewesen, als nach der Zerstörung die ersten Bepflanzungen im Dorf aufgetaucht seien. „Oder das erste Mal den Rasen mähen zu können und das Gefühl zu haben: Ein Stück weit Ordnung, auch optische, ist wieder da. Das tut einfach gut, so banal es auch klingt“, sagt Thien.

Karl-Hubert Bonz, Arloff

„Es hat Aufs und Abs gegeben im vergangenen Jahr“, berichtet der Berufsfeuerwehrmann, dessen Haus vor einem Jahr von der Erft geflutet wurde. Ein positiver Meilenstein: „Nachdem wir dann doch Handwerker gefunden haben, konnten wir Weihnachten wieder in die eigene Wohnung zurück.“ Die Sanierungsarbeiten seien noch nicht komplett abgeschlossen. „Aber für den Rest lassen wir uns Zeit“, erzählt Bonz.

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Wichtig seien für ihn die Gespräche mit Freunden, Bekannten und Feuerwehrkollegen gewesen, um das Geschehene zu verarbeiten. „Das kann ich wirklich jedem empfehlen: Viele sagen, ich schaffe das schon irgendwie. Aber es ist meiner Meinung nach besser, mit jemandem zu reden, der das professionell macht“, ist Bonz sicher.

Jetzt, zum Jahrestag, kommen auch bei ihm viele Emotionen wieder hoch. „Ich schaue mir die ganzen Berichte und Dokus zur Flut auch im Fernsehen an. Vieles sehe ich ja zum ersten Mal, weil wir selbst betroffen waren und letzten Sommer keine Zeit hatten“, erklärt Bonz: „Wenn ich jetzt die Bilder sehe, dann muss man auch sagen: Wir hatten letztlich noch Glück.“

Carlos Emunds, Gemünd

Am Samstag trifft sich die Helfergruppe in einer der örtlichen Gastronomie, um die Gastronomen im Flutgebiet zu unterstützten und um ein Jahr nach der Flut zurückzuschauen, berichtet Carlos Emunds. Er hatte nach der Flut Helfer koordiniert, angepackt und Hilfe vermittelt. Seit November ist die Arbeit für die Freiwilligen weitgehend beendet, seitdem braucht es vor allem Fachkräfte. „Es ist aber noch nicht so, dass man sagt: Das Dorf ist wieder schön“, so Emunds. Das dauere wohl noch etwas.

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Lange hat er auch anderen beim Wiederaufbau geholfen, jetzt sind laut Carlos Emunds aus Gemünd Fachkräfte gefragt.

Ihm selbst gehe es aber „richtig gut“. Als ehemaliger Berufssoldat kenne er zerstörte Dörfer. Die vielen Freiwilligen, die Solidarität und dass jeder jedem geholfen hat, hat ihn nachhaltig beeindruckt. Doch irgendwann sei das etwas gekippt: Zuweilen sei Neid durchgekommen, dass bei manchen die Versicherung schon bezahlt habe und andere noch darauf warten müssten.

„Viele Leute waren auf sich gestellt, waren abhängig von den Versicherungen und Handwerkern“, sagt Emunds. Doch insgesamt habe sich der Zusammenhalt unter den Menschen geändert: „Das ist etwas Schönes, es entstehen wirklich Freundschaften unter den Helfern.“

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Nun hofft er, dass die Flut auch nachhaltig etwas verändert, vor allem bei den Kommunen und beim Land. Dass nicht nur Böschungen befestigt werden, sondern bei Bauauflagen genauer geschaut wird, Überlaufzonen geschaffen und Kanäle verbreitert werden. „Was setzten Land und Kommunen um?“, fragt Emunds.