„Vertrauen ist die Grundvoraussetzung“Wenn Mensch und Tier ein Team sind
- Ein besonderes Treffen hat es auf dem Wackerberg gegeben: Dirk Zöll mit Pferd Lucky, mehrere Jugend-Betreuer und verhaltensauffällige Jugendliche.
- Der letzte Anker der Teenager ist das Jugendhilfeprojekt „Dock 7“ in Aachen. Mit dessen Hilfe sollen sie an die Schul- und Arbeitswelt herangeführt werden.
- Wie ein Pferd sich positiv auf die Leben der Jugendlichen auswirken kann.
Schleiden-Broich – Es sind völlig unterschiedliche Typen, die da aufeinanderprallen an einem schönen Morgen im Eifelwald. Hier vier Jugendliche aus Aachen, die alle nicht in der Verfassung sind, eine Schule zu besuchen, dort drei Jugend-Betreuer, von denen einer gar eine Kettensäge im Gepäck hat – und dann der 43-jährige Dirk Zöll aus Udenbreth mit seinem Belgischen Kaltblut Lucky. Der Vierbeiner rupft konzentriert Heu aus einem Kunststoffnetz, das Zöll ihm an den Pferdeanhänger gehängt hat.
Für Zöll, der mit seinen Kaltblütern schon Europameister, deutscher Meister und belgischer Meister im Holzrücken geworden ist, wird dieser eher unspektakuläre Tag zu einem unvergesslichen Erlebnis. Für den 14-jährigen Marlon aber auch. Der Junge ist der kleinste in der Gruppe der Jugendlichen und macht keinen Hehl daraus, dass er am Morgen aus Protest gegen Irgendetwas ganz bewusst getrödelt und sich extra lange im Bett aufgehalten hat.
Jugendhilfeprojekt als letzter Anker
Das Treffen auf dem Wackerberg zwischen Broich und Anstois steht unter der sperrigen Überschrift „Arbeitsorientiertes Projekt Waldarbeit für schulabsente Jugendliche“. Die Jugendlichen sind wirklich etwas Besonderes. Sie sind verhaltensauffällig, leiden unter gesundheitlichen Problemen und/oder unter Angst- und Versagenszuständen. Ihr letzter Anker ist das Jugendhilfeprojekt „Dock 7“ in Aachen. Mit dessen Hilfe sollen sie an die Schul- und Arbeitswelt herangeführt werden.
Der mit der Motorsäge heißt Norman Aßelborn, ist Leiter des Jugendhilfeprojekts und teilt mit dem Holzrücker Zöll eine Leidenschaft: Auch er ist Liebhaber starker Pferde. Zöll schwört auf Blaue Belgier, denn „die sind klar im Kopf“. Aßelborn besitzt ebenfalls einen. Dalton heißt er und ist zwei Jahre alt. Dirk Zöll hilft Aßelborn, das Pferd auszubilden. Beim Holzrücken im Rheinischen LVR-Freilichtmuseum in Kommern haben sie sich vor acht Jahren kennengelernt.
Jugendliche arbeiten zusammen
An jenem Montagmorgen, noch vor der Corona-Krise, stehen Kaltblut Lucky und seine Kraft sowie Dirk Zöll und sein Wissen um nachhaltige und umweltschonende Waldwirtschaft im Mittelpunkt. Was ist der richtige Umgang mit dem Pferd im Wald? Und wie kommen Axt, Fällheber, Handpackzange, Schweizer Gertel und Sappie, also die gebräuchlichen Handwerkzeuge der Forstarbeiter zum Einsatz?
Die Jugendlichen sollen mit dem Gespann Zöll/Lucky gefällte dünne Birkenstämme für „Dock7“ aus dem Wald schleppen, um später in der Holzwerkstatt der Einrichtung eine Abtrennung für einen Raum zu basteln. „Wie schwer ist denn das Pferd?“, fragt Zöll. Aßelborn hält sich zurück, seine Kollegen Daniel und Thomas, der eine Schreiner und Betreuer, der andere Erzieher und Erlebnispädagoge, raten mit. „100 oder 150 Kilogramm“, schätzen Kevin, Dominik, Jason oder Marlon. Die Betreuer sind mutiger: „250 Kilo?“
Pferd im Waldeinsatz schonender als Maschinen
Weit gefehlt. Lucky beobachtet die Menschen kurz, die ihn da abschätzend mustern, und rupft weiter Heu. Er bringt mehr als 900 Kilogramm auf die Waage und ist bärenstark, wie sich im Wald später zeigen wird. Nachdem Dirk Zöll ihm die Trense ins Gebiss geschoben, das Kummet um den Hals gelegt und die Zugstränge daran angehängt hat, trödelt die ganze Truppe in den Wald. Lucky läuft an einer Führleine mit.
Der Fuhrmann, wie Aßelborn den Udenbrether Holzrücker Zöll vorstellt, hat erklärt, was er macht und die Jugendlichen zu Fragen ermuntert. Doch das Eis ist noch nicht gebrochen. Zöll erklärt den Besuchern aus der Stadt, warum das Pferd im Waldeinsatz für die Natur viel schonender ist als eine schwere Maschine. Die verdichtet den Waldboden nicht nur durch ihr Gewicht, sondern auch durch die Motorvibrationen, die viel weiter in den Untergrund ausstrahlen. Das geht bis zu drei Meter weit. „Wo so eine Maschine durch den Wald gefahren ist, da wächst bis zur nächsten Eiszeit nichts Verwertbares mehr“, sagt Zöll.
Fünf Stunden Arbeit am Stück
Für Pferde brauche man selten eine Rückegasse, für Maschinen aber alle 40 Meter. Und dadurch verliere man wertvolle Waldanbaufläche. Andererseits könne man ein Pferd nicht viel länger als fünf Stunden am Stück arbeiten lassen. Dann sei es erschöpft und müsse sich erholen. Lucky zupft derweil weiter unbeeindruckt an seinem Heu.
Mitten im Wald lässt Zöll Jugendliche und Erwachsene ausprobieren, wie schwer es ist, einen Birkenstamm zu ziehen. Zuerst einen kleinen im Einmann-Test, dann einen dicken, mehrere Hundert Kilogramm schweren, an dem sich die ganze Truppe versucht. Der Stamm rutscht nur knapp einen Meter weiter.
Vertrauen ist die Basis
„Das geht ins Kreuz“, japst Jason. Für Marlon, der sich ein wenig schüchtern in Lucky verliebt zu haben scheint, hat Zöll eine spezielle Aufgabe. Ihm zeigt er, wie man die Rückekette richtig an den Baumstamm anlegt, so dass der Stamm auch in die richtige Richtung rutscht, ohne Bäume zu verletzen oder sich an alten Wurzelstöcken zu verkeilen. „Das würde dem Pferd schaden, weil es den Druck durch das Kummet direkt auf die Schultern bekommt. Das Pferd zieht nämlich nicht, sondern schiebt die Last mit dem Schultern“, so Zöll.
„Vertrauen ist die Grundvoraussetzung für die Zusammenarbeit von Mensch und Pferd“, hat er vorher erklärt. Lucky vertraut Zöll, hört auf Zurufe wie „Hött“ für rechts, „Ha“ für links, „Oh“ für „Steh!“ oder „Jö“ für vorwärts. Seelenruhig führt das Pferd die Kommandos aus, auch wenn ihm mal ein Ast um die Ohren peitscht oder ein Stück Holz unter den mächtigen Hufen splittert.
Genaue Beobachtung der Jugendlichen
Erstaunlich, wie behände sich das Riesentier zwischen den Bäumen drehen kann, wenn Zöll halblaut seine Anweisungen gibt. „Ohne ihn wäre ich nichts im Wald. Er wäre ohne mich auch wenig, weil er nur durch unser Zusammenspiel zum Rückepferd wird“, sagt der 43-Jährige. Die Kommandos übrigens hat der Udenbrether von alten, erfahrenen Eifeler Holzrückern übernommen. In anderen Regionen Deutschlands oder im benachbarten Belgien verwende man andere Begriffe, so Zöll.
Der Holzrücker beobachtet genau, welcher Jugendliche sich interessiert zeigt und wie sich die Stadtkinder mit dem Kaltblut beschäftigen. Marlon lässt er etwas tun, was er „noch nie gemacht hat“, wie sein Freund Aßelborn überrascht anmerkt. Der Junge darf die Führleine von Lucky übernehmen und mit dem Trumm von Pferd auf dem Waldweg ein Bündel Stämme zum Transporter schleifen. Zöll zeigt dem Jugendlichen auch, wie man auf der ausgestreckten Handfläche dem Pferd ein Futter-Pellet anbieten kann.
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„Es ist einfach unglaublich schön, Jugendlichen etwas über den Wald und unsere Arbeit als Holzrücker nahezubringen“, sinniert der Eifeler, als er sich anschickt, seinem Pferd nach getaner Arbeit eine großen Eimer Wasser und eine Portion Kraftfutter hinzustellen.
Als sich die drei Betreuer und die Jugendlichen von Dirk Zöll verabschieden, fällt schnell auf, dass einer nicht dabei ist: Marlon steht bei Lucky und streichelt die samtweichen Nüstern des gutmütigen Riesen. Der stupst den Jungen immer wieder an. „Tut mir leid, ich habe keine Leckerchen mehr für dich“, sagt Marlon leise, und man merkt ihm an, dass ihm der Abschied sichtlich schwerfällt.