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„Arschbacken zusammenkneifen“Schleidener Künstlerin verlor ihr Lebenswerk in der Flut

Lesezeit 7 Minuten

Gemälde im Wandel: Maf Räderscheidt inspiziert das Werk, dem das Wasser bereits einige Farben genommen hat und das trotz der Restaurationsarbeiten dauerhaft nicht zu retten sein wird.

Schleiden-Vogelsang – „Maf Räderscheidt Fluchtpunkt“: Gerade, weiße Buchstaben auf schwarzem Grund. Ganz schlicht ist das Schild an der blauen Tür zum einstigen Kameradschaftshaus in Vogelsang. Welch ein Kontrast zum verschnörkelten, bunten „Küsse der Farben“, das die Panoramascheibe in Gemünd am Plan geziert hat. Doch das Atelier ist mit der Flut untergegangen, das Wasser hat das Lebenswerk der Künstlerin mit sich gerissen.

An den Morgen nach der Flut erinnert sich Maf Räderscheidt mit Schrecken. Wie sie sich drei Stunden von ihrem Wohnort Schleiden nach Gemünd durchgekämpft hat. Wie sie über die Brücke auf das geblickt hat, was einmal ihr Atelier war. Wie sie geschrien und geweint hat. Wie eine unbekannte Frau sie stumm und tröstend in den Arm genommen hat.

Die guten Tage gewinnen Überhand

Wie ein Feuerwehrmann sie aus dem Schock geholt hat, als er sich von ihr den Zugang zu einer Frau in einem Nachbarhaus hat erklären lassen. Der Schrecken der ersten Stunden und Tage schlummert noch ganz knapp unter der Oberfläche dieser so starken, so fröhlichen Frau. Die emotionale Achterbahnfahrt charakterisiert diese Zeit für die Betroffenen: Es gibt schlechte und ganz schlechte Tage, es gibt bessere und es gibt gute Tage.

Vier Wochen für die Katz’

Ein gutes Dutzend Werke von Maf Räderscheidt ist aus dem Schlamm geborgen worden. Sie zu retten, hatten sich ihre Tochter Rosa und deren Freundin Ellen Becker auf die Fahne geschrieben. „Zart abbürsten von beiden Seiten, den Rahmen lockern, mit einer leichten Lauge und Spezialtinkturen abwaschen – und das mehrfach. Was übrig ist, mit einem Fixativ bearbeiten“, beschreibt Räderscheidt die aufwendige Arbeit.

Gebracht hat es nichts. Bereits jetzt sind die braunen Spuren wieder deutlich zu sehen – und sie breiten sich unaufhaltsam aus. Der Verfall durch den tief in die Leinwand eingedrungenen Schmutz ist nicht zu stoppen – und ein Monat Arbeit für die Katz’ gewesen. (rha)

Dass die guten Tage doch die Überhand gewinnen, verdankt Räderscheidt zum einen ihrer Einstellung, zum anderen der Hilfsbereitschaft, die auch sie erfahren hat. Die Resonanz auf den Spendenaufruf, den ihre Tochter Rosa gestartet hat, sei überwältigend gewesen. „Und die Kollegen haben sich in einer Art reingehangen, das ist einfach irre“, sagt Räderscheidt.

„Arschbacken zusammenkneifen und weitermachen“

Von anderen Künstlern hat sie eine Staffelei erhalten, Farben und Mappen, ein paar Rollen Papier. Und einen Arbeitstisch habe ihr jemand aus Süddeutschland gebracht. „Der ist aber so schön, da kann ich nicht dran arbeiten. Da darf man sich nur mit frisch gewaschenen Fingern dransetzen“, sagt Räderscheidt und lacht.

Um ganz entschieden zu werden, wenn sie auf all die Wärme und Herzlichkeit, all die aufmunternden Worte und netten Gesten blickt, die ihr zuteil geworden sind: „Da kannst du nicht heulen und dich gehen lassen. Da musst du die Arschbacken zusammenkneifen und weitermachen. Du kannst all die Leute nicht enttäuschen. Wer da nichts draus macht, hat es auch nicht verdient.“

Rund 20.000 verlorene Werke

Ob es ihr jemand verdenken könnte, wenn sie doch den Kopf in den Sand stecken würde? Wohl kaum. Wie viele Werke genau vernichtet sind, lässt sich wahrscheinlich nicht exakt belegen. 20000 sind laut Räderscheidt recht gut dokumentiert. Zwei Zeichnungen hat sie täglich geschaffen, dazu parallel jeweils an zwei großen Ölgemälden gearbeitet. Aber ob nun 19000 oder 25000 untergegangen sind? Den monetären Wert alleine der zerstörten Papierarbeiten hat die Fachzeitschrift „Atelier“ auf rund fünf Millionen Euro geschätzt.

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Aber solche Zahlen oder die Tatsache, dass die Werke auch Räderscheidts Altersvorsorge und Erbe gewesen sind, lassen die persönliche Katastrophe nicht erfassen. „Das sind keine Möbel, die man ersetzen kann. Das ist alles, wofür ich je gekämpft habe.“ 50 Jahre künstlerischen Schaffens sind hinfortgespült. „Eine Retrospektive“, sagt sie leise, „wird es auch von mir nie geben. Es ist wie ein Familienfluch.“ Sie ist nicht die erste Räderscheidt, der es so ergangen ist: Das Werk ihres Großvaters Anton Räderscheidt haben die Nationalsozialisten vernichtet, auch von ihm ist nur sehr wenig erhalten.

Ihre Tatkraft ist ungebrochen

Gut ein Dutzend Werke Räderscheidts ist vermeintlich einigermaßen intakt geblieben. Doch der Restaurationsversuch ist wohl vergebliche Liebesmüh. „Der Schimmel und der Schlamm sind eben stärker als alles“, sagt Räderscheidt. Alles? Nein! Ihre Tatkraft ist ungebrochen. Am Wochenende nach der Flut hat sie erstmals wieder zum Pinsel gegriffen. „Seitdem arbeite ich wie ein Tier“, sagt sie: „Zuhause, in einer Ecke, solange ich Licht habe.“

Eine neue Bleibe hat sie inzwischen auch gefunden – an einem Ort, dessen einstige Herren sich wohl im Grabe rumdrehen würden, wenn sie wüssten, welcher Freigeist nun in ihren Gemäuern wirbelt: in Vogelsang, in einem einstigen Kameradschaftshaus. Nachdem sich die Idee eines Neustarts in Containern mangels Verfügbarkeit schnell zerschlagen hat, ist über Vogelsang-ip-Geschäftsführer Thomas Kreyes die Idee dazu aufgekommen.

Künstlerisches Schaffen an einem so düsteren Ort

Zunächst hat Räderscheidt es für ein Jahr mieten können, danach soll dort das „Haus Primbsch“ eingerichtet werden. In Licht und Hängungsmaterial investiert Räderscheidt daher vorerst nicht – aber darum geht es derzeit auch gar nicht. Es geht weiter, sie hat wieder ihren Platz, ihren Fluchtpunkt. Zugegeben, kuschelig ist der Ort noch nicht, das Heizgerät schafft so grade die 15 Grad, die erforderlich sind, damit die Bilder nicht leiden. Doch die diebische Freude blitzt in ihren Augen auf, wenn sie sinniert, welche Möglichkeiten künstlerischen Schaffens für sich und andere dieser einst so düstere Ort bieten könnte: „Es wäre ein Leichtes, mit anderen Künstlern zusammen das düstere Vogelsang-Karma zu knacken.“

Ein bisschen Drama ist bei der Künstlerin natürlich auch dabei: „Das sind die Sterbesachen“, sagt sie über die im ersten Raum hängenden Werke, die Schlamm und Schimmel nach der Restauration zurückerobern. Zentral baumelt ein zerfetztes, verdrehtes Ölgemälde von der Decke – ein starkes Symbol für alle Werke, die unwiederbringlich verloren sind.

Erste Ausstellung ist ab Samstag zu sehen

Doch im nächsten Raum, neben den Sterbesachen, keimt das Leben. Eine erste Ausstellung wird gerade gehängt und ist ab Samstag zu sehen. In einem Schubkasten schlummern schon Dutzende neue Exemplare, der Grundstock des Nach-Flut-Werks Räderscheidts, ein Ölgemälde ist bereits an der Stirnseite des Raums platziert. Dies ist der Raum fürs Leben, für Neues. Es wird wohl die von Räderscheidt gewohnte Kombination von Farbenfreude und Fröhlichkeit auf der einen und zuweilen schwer Verdaulichem, Zeitgeschichtlichem auf der anderen Seite sein: „Wenn ich von der Flut erzähle, werden das keine Dekobilder. Das ist dann nicht so leicht zu verkraften.“

Die erste Ausstellung

Im Frauenmuseum Bonn sind bereits seit einem Monat Werke von Maf Räderscheidt zu sehen. Bis Ende Oktober stellt sie dort gemeinsam mit anderen Künstlerinnen aus dem Katastrophengebiet – Janna Borgböhmer, Mona Dia, Siglinde Kallnbach, Gaby Kutz, Margarete Gebauer, Gamma Thesa Terheyden und Eva Vahjen – aus.

In Vogelsang startet an diesem Samstag, 16. Oktober, die erste Ausstellung in Räderscheidts Fluchtpunkt in Vogelsang. Unter anderem sind die „Lichtschalter“-Fotos aus berühmten Gefängnissen von Martin Schlichenmayer zu sehen. Feste Öffnungszeiten gibt es nicht, Termine können per E-Mail vereinbart werden. (rha)

Sie will jetzt malen, malen, malen. Denn die nächsten größeren Ausstellungen sind bereits terminiert. Gleich drei sind es im kommenden Februar: Eine im Düsseldorfer Landtag zum Thema Flut, eine mit Ölgemälden in Köln und eine mit Papierarbeiten in Daun.

Roman greift Hochwasser-Thema auf

Und dann ist da noch ihr neues Buch, das nun so schnell wie möglich erscheinen soll. „Die Nichtschwimmerin“ wird es heißen. Und es handelt von einer Künstlerin, die in einem Hochwasser alles verliert. Surreal erscheint das, was Räderscheidt dann über ihren „extrem autobiografischen Roman“ sagt: „Das habe ich schon vor zwei Jahren fertiggestellt.“

Sinnbildlich sei das Hochwasser da „nur“ für das Haifischbecken Kunstbetrieb gewesen, es sei eine Art „Me-too-Buch“ über das, was junge Frauen in der Kunstszene einstecken und überleben müssen. Eine Symbolik, die nun auch mit der vollen Wucht der Realität zuschlägt. Nachdem eine geplante Zusammenarbeit mit einem anderen Verlag nicht klappte, wird das Buch nun im Frauenzimmer-Verlag erscheinen, im Herbst in Druck gehen und zu den Ausstellungen Anfang des Jahres auf den Büchertischen liegen.