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Weihnachten nach der FlutIn Mauel kommt keine Festtagsstimmung auf

Lesezeit 7 Minuten
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Im Rohbau am Tisch mit Lichterkette und Kaffee sitzen Ursula Lorbach und Kerstin Krauser-Felsch.

Gemünd-Mauel – Es ist ein trüber, grauer Nachmittag in Mauel. Die Fahrzeuge der Handwerker stehen vor zahlreichen Einfahrten. Ihre Mission: Die Häuser nach der Flutkatastrophe, nach dem Ausräumen und Wegstemmen wieder bewohnbar machen. „Wir machen Leute glücklich“, sagt Fliesenlegermeister Daniel Groß.

„Wir waren wohl ein bisschen naiv“

Unentwegt ist er mit seinen beiden Mitarbeitern in den Fluthäusern aktiv, drei Baustellen sind bereits komplett abgearbeitet. Gerade ist das Trio im Haus von Ursula und Christoph Lorbach zugange – wo einmal die Küche war, wo die Küche wieder hin soll. Wann das sein wird, steht in den Sternen.

„Im September hat man uns gesagt, dass wir Weihnachten wieder im Haus sind...“, sagt Ursula Lorbach, die mit ihrem Mann derzeit in einem kleinen Appartement in Kall lebt. „Wir waren wohl ein bisschen naiv“, fügt sie leise an.

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Die komplette Verklinkerung musste vom Haus von Ursula Lorbach und ihrem Mann Christoph abgenommen werden.

Wut, Trauer und Frust brechen sich Bahn, als sie berichtet, wie ihr Haus scheibchenweise demontiert worden ist: Zuerst habe es geheißen, dass der Fußboden im Erdgeschoss drinbleiben könne – doch dann hat er rausgemusst. Das habe sich bei den Fenstern und Klinkern wiederholt. An einer Ecke klafft ein Loch im Boden. Es ist gebuddelt worden, weil der Keller partout nicht trocknen will und keiner so recht weiß, warum nicht.

Von Vorfreude auf die Festtage keine Spur

Normalerweise hätte Ursula Lorbach ihr Haus nun weihnachtlich geschmückt, würde voller Vorfreude in den Vorbereitungen stecken, weil ihre drei Kinder, Schwiegerkinder und Enkel zum Fest kommen würden. Würden. Konjunktiv. Und dieses Jahr? „Nichts. Das ist das Schlimmste.“ Auch der Urlaub nach den Feiertagen im Bayerischen Wald ist wegen Corona gecancelt. Bei ihrer Tochter Johanna wird nun Weihnachten gefeiert – darauf freut Lorbach sich trotz allem.

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Lorbach klopft an der Haustür ihrer Nachbarin – logisch, die Klingel funktioniert noch nicht. Bei Kerstin Krauser-Felsch empfängt die Gäste wohlige Wärme. In der ersten Etage haben sie und ihr Mann Marcus Felsch sich wenige Wochen nach der Flut eingerichtet.

Die Nachbarn reparieren stückweise

Da er vieles selbst macht, möchte er keine Zeit mit Autofahren vergeuden, die er auch im Haus arbeiten könnte. In Eigenregie hat er den Kamin installiert, der dort, wo in einigen Monaten wieder ein Wohnzimmer sein soll, vor sich hin bollert.

Seit zwei Wochen sind auch Estrich und Fußbodenheizung vorhanden. Ansonsten ist das Erdgeschoss eine Baustelle. Peu à peu will das Paar alles wieder wohnlich machen, sich an jedem erreichten Etappenziel freuen – und voraussichtlich bis zum Herbst fertig sein.

„Ja, ich könnte hadern: Keine Handwerker, die Küche kann nur ohne Elektrogeräte geliefert werden, und, und. Doch wir müssen das Beste daraus machen und nach vorne schauen“, sagt Krauser-Felsch.

Zu Weihnachten geht es nach Schweden

Möglicherweise verhilft ihr Beruf als Beziehungs- und Auszeit-Coach, in dem sie auch Achtsamkeit und Dankbarkeit vermittelt, ihr zu dieser positiven Grundhaltung. Sicherlich tut auch ihr Mann Marcus das Seine dazu – und das nicht nur wegen seiner handwerklichen Begabung. „Er ist ein Sechser im Lotto“, sagt Krauser-Felsch.

Mit ihm wird sie vor Weihnachten die Baustelle in Mauel verlassen. Es geht nach Schweden, wo sie normalerweise eine Auszeit-Oase betreibt. „Weihnachten mit Schnee und Elch vor dem Fenster“, sagt sie, lacht herzlich und zückt das Handy, um ein Foto vom vergangenen Jahr als „Beweis“ zu zeigen.

Mauel wirkt wie ein Geisterdorf

Es ist Abend geworden in Mauel. Straßenlampen spenden ein wenig Licht. Weihnachtsbeleuchtung, die andernorts für heimelige Stimmung sorgt, ist nur ganz vereinzelt zu sehen. Es ist dunkel, kalt und still. Das leise Surren der Trocknungsgeräte ist aus einigen Häusern zu hören.

Mauel wirkt wie ein Geisterdorf. Viele Häuser sind derzeit nicht bewohnt. Ursula Lorbach streift durch ihr Viertel, zu nahezu jedem Haus und seinen Bewohnern kann sie etwas sagen: Wer lebt gerade in der ersten Etage? Wer ist wo untergekommen? Wer wird nicht zurückkehren?

Sie trifft Damian Christmann, der mit seiner Frau und den beiden Kindern in Mauel geblieben ist. Jede freie Minute arbeitet er daran, die Flutschäden in seinem Haus zu beseitigen. Und freut sich darauf, mit seiner Familie Weihnachten ein paar Tage bei Verwandten in Polen zu sein: „Ein paar Tage abschalten.“ Doch davor schneidet er noch die Hecke, die in den vergangenen Monaten arg in seine Einfahrt gewuchert ist.

Stromausfälle häufen sich

Vor einem Haus steht wie zum Trotz ein Weihnachtsbaum, gebracht von einer Helfertruppe aus Franken. Im Fenster leuchtet Weihnachtsdeko. Der Blick durchs Fenster auf die Baustelle und den vor dem Haus geparkten Wohnwagen, in dem die Familie derzeit lebt, lassen die Schwierigkeiten der Bewohner nur erahnen. Der Strom ist häufig weg, gekocht wird im Licht einer Taschenlampe auf der Terrasse.

In der Brabantstraße bietet sich ein in diesen Dezembertagen eher selten gewordenes Bild. Die Nachbarn stehen bei einem Plausch zusammen. Elsbeth und Thomas Lehner schauen nach ihrem Haus, sie wohnen derzeit in einer Ferienwohnung auf dem Salzberg.

Renate und Manfred Müller sind in ihrem Haus geblieben. „Ein bisschen studentenmäßig“, sagt Manfred Müller, wohnen sie derzeit in der ersten Etage. Die Aussichten auf Weihnachten sind bei ihnen ganz unterschiedlich.

Die Dekoration ging in der Flut verloren

Die Lehners haben zu Nikolaus ihren Enkel in Garmisch besucht, Weihnachten werden sie ganz still in ihrem 35-Quadratmeter-Quartier verbringen. Die Weihnachtsdeko ist abgesoffen, der Fleischwolf zum Plätzchenbacken auch. Was sie haben, ist der kleine Holzweihnachtsbaum, den der Neffe gebastelt und Elsbeth Lehner zum Geburtstag geschenkt hat.

Die Müllers werden Mauel für ein paar Tage verlassen, sie fahren zu ihren Kindern nach Amrum. Die Insel hatten sie im Sommer gerade erreicht, als sie die Nachricht von der Katastrophe in der Heimat erhielten.

Bei der angstvollen Rückfahrt, die sie sofort angetreten haben, hat Manfred Müller am Steuer seine Panik immer wieder runterkämpfen müssen – getragen hat ihn die Freude auf das Enkelkind, nachdem ihnen die Schwiegertochter noch verkündet hatte, schwanger zu sein.

Die Müllers relativieren ihre Lage

Nun freuen sie sich darauf, mit einem guten Gefühl Richtung Norden zu fahren. Geschenke haben sie für ihre Lieben natürlich gekauft. Und daheim auch den Adventsschmuck vom Speicher geholt. „Ein bisschen was muss schon sein“, sagt Renate Müller – einen Weihnachtsbaum in der Baustelle wird’s aber nicht geben.

Hadern könnten auch die Müllers über einiges: über Handwerker, die keine Zeit haben, über Materialprobleme. „Aber es ist nun mal so. Wir sind ja nicht die einzigen“, sagt Manfred Müller. „Irgendwann muss man den Schalter umlegen und nach vorne schauen“, ergänzt seine Frau Renate.

Und es gebe ja auch Positives: Die Zusammenarbeit mit der Versicherung fürs Haus sei super, das Geld aus dem Wiederaufbaufonds für den Hausrat schon eingegangen. Und bis Ostern wollen sie auch wieder im Erdgeschoss wohnen.

Hochwasserschutz ist Thema in der Nachbarschaft

Ende Januar, so hoffen die Lehners, können sie zurück in ihr Haus. Ob sie bleiben, wissen sie noch nicht. „Wir müssen das Gefühl abwarten, wenn wir wieder im Haus sind“, sagt Elsbeth Lehner: „Ob es sich sicher anfühlt.“

Für die Sicherheit plant Thomas Lehner Hochwasserschotts fürs Haus. Doch er macht sich keine Illusionen, dass das eine Katastrophe wie im Sommer aufhalten könnte. Ihn und seine Nachbarn beschäftigt der Hochwasserschutz.

Ihnen ist wichtig, dass der vernünftig und umfassend umgesetzt wird, dass sie sich wieder sicher fühlen können. Ein großes Baugebiet wie das, das die Kaller am Fels für 1400 Neubürger planen, bereitet ihnen Sorge. „Wo soll dann das ganze Wasser hin?“, fragt sich etwa Renate Lehner.

Helfer sorgten für Lichtblicke

Im Gespräch kommen auch die Maueler schnell auf die Hilfe zu sprechen, die ihnen zuteil geworden ist und immer noch wird. Björn Balter aus Losheim wird immer wieder genannt, der nahezu täglich mit frisch gekochtem Essen und einem offenen Ohr vorbeikommt.

Oder die Charlie-Truppe aus Simmerath, die auch mal Wünsche wie nach einem Krippenhaus oder einer weihnachtlichen Tischdecke erfüllt. „2013 nach dem Elbe-Hochwasser sind wir auf dem Weg in den Urlaub an einem Plakat vorbeigefahren mit einem Dank an die Helfer. Heute weiß ich wirklich, was das bedeutet“, sagt Lorbach.

Die Lehners verabschieden sich, machen sich wieder auf den Weg in ihr Übergangsheim auf dem Salzberg. „Nächstes Jahr“, sagt Elsbeth Lehner, „haben wir wieder richtiges Weihnachten. Mit Deko und allem, was dazugehört.“