Auf dem Weg zur WildnisSo läuft die Entwicklung des Nationalpark Eifel
Schleiden-Vogelsang – Der „Ästige Stachelbart“, ein korallenartig aussehender Pilz, den es nur an besonders altem Totholz gibt, hat es dem Nationalpark Eifel jetzt ganz natürlich bestätigt: Hier ist Wildnis.
Dafür ist der Pilz ein Indiz. Auch das ist im Leistungsbericht für 2021 des 2004 gegründeten, ersten Nationalparks in NRW eine Meldung wert: Man ist auf dem richtigen Weg zur Wildnis.
Das Zeichen für Wildnis
Beim Wandern im südlichen Teil des Schutzgebiets hatte Olaf op den Kamp im vergangenen Jahr das erste Exemplar dieses Pilzes an einer alten Totholzbuche entdeckt und damit die Verantwortlichen alarmiert.
Die Experten im Nationalparkforstamt in Gemünd ließen sich vom Bundesamt für Naturschutz bestätigen, dass diese Pilzart ein Wildnisanzeiger ist, so Sebastian Flinkerbusch, Mitarbeiter in der Forschung und Dokumentation im Nationalpark-Team. Übersetzt: Der Entwicklungsnationalpark ist weiter auf dem Weg in Richtung Urwald, auch wenn das Ziel mutmaßlich erst in Jahrzehnten erreicht wird.
Die seltenen Arten
Bei der Pressekonferenz in Vogelsang war dieser Prozesscharakter auch bei weiteren Erläuterungen zum Leistungsbericht Thema. Etwa bei Wolfgang Wittland, Schmetterlingsforscher der Arbeitsgemeinschaft Rheinisch-Westfälischer Lepidopterologen, der mit einem kleinen ehrenamtlichen Team – „und für wenig Geld“ (Wittland) – in den vergangenen zwölf Jahren insgesamt 1288 Nachtfalterarten im Nationalpark nachgewiesen hat. 210 davon sind gefährdete Arten, die auf der Roten Liste stehen. Ende des vergangenen Jahres erschien eine umfassende Dokumentation. Sein Projekt soll weitergeführt werden, zudem ist eine Zählung der Tagfalterarten geplant.
Der Nationalpark gilt ganz grundsätzlich als immer bedeutender werdendes Großschutzgebiet für seltene Arten. So wurden 2021 weitere 245 Arten entdeckt, darunter eine ganze Reihe von Algen und anderen Teichbewohnern. Die Tümpel und Feuchtgebiete waren bislang überhaupt noch nicht zwecks Artenerfassung untersucht worden.
11.205 Arten umfasst aktuell die Biodiversität im Schutzgebiet, eine erneute Steigerung gegenüber 2020. 2571 Arten stehen auf der Roten Liste oder sind dafür vorgemerkt, 74 neue, besonders bedrohte Arten kamen im vergangenen Jahr dazu. Zudem wurden Einzelbeobachtungen von eher seltenen Arten teilweise erstmals gemacht: Die Bechsteinfledermaus oder der Wiedehopf gehören dazu.
Der Wolf
Zwei Wolfssichtungen gab es 2021, eine 2022. Es handele sich um einen „Durchzieher“, so Nationalparkforstamtsleiter Michael Röös. Das Tier sei noch nicht im Schutzgebiet heimisch: „Dafür muss ein Wolf ein halbes Jahr lang in einem Gebiet nachgewiesen sein.“ Doch er gehe davon aus, dass sich der Wolf im Nationalpark verstetigen wird. Glück hatten bisher die beiden Nationalparkschäfer: Deren 1400 Schafe blieben von Wolfsattacken verschont.
Das Rotwild
Anders erging es dem Rotwild: Drei Wolfsrisse wurden festgestellt. Apropos: „Im Vergleich mit acht weiteren deutschen Nationalparks hat der in der Eifel den höchsten Rotwildbestand. Das haben wir jetzt ganz offiziell“, so Röös: „Aber auch die größte Zahl von Menschen abseits der Wege“. Beides ist Ergebnis eines erstmals durchgeführten Fotomonitorings. 70 Kameras lieferten die Bilddaten für die statistische Erhebung. Ein zweiter „Fotofallendurchlauf“ ist ab diesem und für die kommenden zwei Jahre geplant. Erstmals sollen auch Vegetationsaufnahmen Wachstumsprozesse der Flora dokumentieren.
Die Menschen
Das sind nur einige der Forschungsprojekte im Nationalparkgebiet. Das Besuchermonitoring gehört schon lange dazu. Seit 2014/15 werden die Besucher mittels neun Infrarotkameras erfasst. Seit März dieses Jahres werden zudem an allen 105 Parkeingängen Stichproben erhoben, um Motive der Besucher zur Wiederholungsnutzung des Parks zu erfassen. Das Projekt ist auf zwölf Monate angelegt.
In dieser Hinsicht hat der Nationalpark je nach Sichtweise die beiden besten oder schlimmsten Jahre hinter sich. Im ersten Corona-Jahr kamen 1,35 Millionen Besucher – was zu teils chaotischen Zuständen, etwa an den Parkplätzen am Kermeter, führte. 2021 waren es knapp 1,1, Millionen. Für dieses Jahr rechnet Michael Lammertz, Leiter des Fachgebietes Kommunikation und Naturerleben, mit an die 900.000 Besucher, vielleicht eine Million.
Diese Mengen könne der Nationalpark noch verkraften, so Lammertz: „Wenn sich alle an die Wegeordnung halten und am besten den ÖPNV benutzen.“ Die Buslinie ab Heimbach und auch der neue Kermeter-Shuttle sollen dazu beitragen, den eigenen Wagen stehen zu lassen.
Die Wege
Gebucht werden können nun 38 weitere ehrenamtliche Waldführer. Insgesamt sind es 133, die auch für kleine Gruppen zur Verfügung stehen. Die Guides bewegen sich natürlich auf dem ausgewiesenen Wanderwegenetz. Alleine im Gebiet Kermeter sind das 260 Kilometer.
Weitere 130 Wegekilometer in diesem Gebiet, die noch vorhanden sind, wurden teilweise vor bis zu 100 Jahren für die Forstwirtschaft angelegt. Sie werden seit 2019 im gesamten Nationalpark schrittweise zurückgebaut. Alleine im Kermeter will man so an die 25 Kilometer pro Jahr der Natur zurückgeben. Die Wege müssen allerdings zuvor vom Kampfmittelräumdienst abgesucht werden. 2021 wurden zwei Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg entdeckt. 24,5 Kilometer Wirtschaftswege sind 2021 im Kermeter und im Waldgebiet Hetzingen zurückgebaut worden, so Volker Möller, Nationalparkbezirksleiter Hetzingen/Gemünd. Dieses Jahr sollen 13,1 Kilometer dazu kommen.
Die Flut
Die Flut hat auch das Nationalparkforstamt am Urftufer in Gemünd nicht verschont. Am Inventar entstand ein Schaden von rund 100.000 Euro, 20 Büroräume und fünf Fahrzeuge wurden zerstört.
„Das Nationalparktor Gemünd existiert nicht mehr“, so Röös. Bis heute spiele das durch das Hochwasser entstandene Müllproblem im Nationalpark eine Rolle. Ehrenamtliche Helfer aus umliegenden Forstämtern waren schon im Einsatz vor Ort.
Die Inventur
Eigentliche Aufgabe des Nationalparks sind Erhalt und Sicherung der Biodiversität. Die wird ab dem Oktober und bis zum Frühjahr 2023 mit dem zweiten Stichprobeninventur nach 2012 nachgewiesen.
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An 1288 Punkten wird dann gemessen und gezählt. Am Ende wird man wissen, wie „wild“ sich die Natur in den vergangenen zehn Jahren tatsächlich entwickelt hat.