Nach der FlutSchleidens Wiederaufbauplan wird mehr als 200 Millionen Euro schwer
Schleiden – Gut neun Monate sind seit der Flut vergangen. Mit den Folgen der Katastrophe zu leben und den Wiederaufbau zu planen, gehört für die Menschen in der Region zum Alltag. Doch bei denjenigen, die nicht hier leben oder wenig mit der Materie befasst sind, sind die Geschehnisse vom Juli weit weg.
Daher bezeichnet Schleidens Bürgermeister Ingo Pfennings es als wichtig, wenn sich Bundes- und Landespolitiker regelmäßig vor Ort ein Bild machen – wie am Dienstag eine Delegation der Grünen um den aus Heimbach stammenden Bundespolitiker Oliver Krischer. Sie haben erfahren, dass der Wiederaufbau eine vielschichtige und langwierige Angelegenheit ist.
200 Millionen Euro Schäden
Zum Luftholen kommt Pfennings nicht, wenn er die schier endlose Liste der städtischen Gebäude und Einrichtungen herunterrattert, die durch die Flut beschädigt oder zerstört worden sind. Gewässerstrukturen und Wirtschaftswege werden nur pauschal als Stichwort hinzugefügt. Auf mehr als 200 Millionen Euro werden sich die Schäden alleine an städtischem Eigentum laut Pfennings summieren – Schleiden sei damit die größte Schadenslage im Kreis.
Derzeit sind die Gutachter teils noch bei der Arbeit, teils werden die Kostenpläne erstellt. Einige Leitentscheidungen hat der Stadtrat bereits getroffen, etwa im Bereich der Kindergärten oder, dass der Bauhof im Herhahner Gewerbegebiet neu gebaut wird. Einige Entscheidungen stehen noch an, etwa über den Standort des Schleidener Feuerwehrgerätehauses.
Der gesamte Prozess wird laut Pfennings bis zum Herbst dauern, so dass der Stadtrat im Oktober oder November den Beschluss über den Wiederaufbauplan fassen könnte. Binnen fünf Jahren – wie ursprünglich angedacht – werden sich all die Maßnahmen kaum realisieren lassen. Pfennings geht eher von acht bis zehn Jahren aus, bis „alles fertig“ ist.
Die Gewässer
Urft und Olef werden zuerst genannt, wenn über die Flut gesprochen wird. Doch die kleinen Bäche und teils namenlosen Rinnsale haben sich ebenfalls zu reißenden Strömen entwickelt und enorme Schäden verursacht. Die Kommunen Hellenthal, Schleiden, Nettersheim, Kall, Blankenheim und Dahlem gehen mit Kreis und WVER gemeinsam ein Hochwasserschutzkonzept an, das möglicherweise auch den Bau der Platißbachtalsperre beinhaltet.
Derartige Projekte sind langfristig angelegt. Dennoch können die Kommunen bereits eigene Maßnahmen umsetzen, die einem umfassenden Konzept nicht entgegenstehen.
Die Stadt Schleiden hat sechs Maßnahmen ins Auge gefasst, die jeweils zu 80 Prozent gefördert werden können. Im Bereich des ehemaligen Bolzplatzes in Mauel soll durch eine Geländeabsenkung eine Retentionsfläche für die Urft entstehen. Ihr kann auch hinter der ehemaligen Kita Wingertchen in Malsbenden mehr Raum gegeben werden, wenn dort das Gelände zwischen Fluss und Gebäude abgetragen wird.
Kaskadenförmige Deiche oder Schutzmauern sind für den nahe Wolfgarten entspringenden Lompigbach angedacht, der talwärts in eine Verrohrung oberhalb der Jugendherberge fließt. Das Einlaufbauwerk wurde von den Wassermassen zerstört – und die Jugendherberge geflutet.
Grünen-Delegation um Oliver Krischer zu Gast
In der alten Heimat
Vom Wiederaufbau und damit verbundenen Problemen machte sich Oliver Krischer, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, am Dienstag ein Bild in der Stadt Schleiden. Der Grünen-Politiker, der in Heimbach aufgewachsen und in Schleiden zur Schule gegangen ist, besuchte seine alte Heimat gemeinsam mit Landtags-Fraktionschefin Verena Schäffer und den Landtagskandidaten Isabel Elsner und Thomas Keßeler. (rha)
Hoffnung fürs Wasserkraftwerk
Mit Blick auf das Wehr in Gemünd waren auch die Pläne Hubert Verbeeks Thema, der dort ein Wasserkraftwerk mit einer Leistung von 110 Kilowatt bauen möchte. Doch der Gesetzentwurf zu den Sofortmaßnahmen für einen beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien sieht keine Förderung mehr für Anlagen mit weniger als 500 kW vor. Das sieht Krischer jedoch gelassen. In der Ressortabstimmung habe man Tempo machen wollen – und im Umweltministerium sei man eher gegen Wasserkraftwerke. Doch er sei überzeugt, dass dieser Passus im parlamentarischen Prozess gekippt werde und in Zukunft auch kleinere Anlagen weiterhin gefördert werden. (rha)
Die Dimension des 500 Meter langen Rohrs, in dem der Holgenbach unterhalb Schleidens verläuft, bevor er in die Olef mündet, reichte bei der Flut ebenfalls nicht aus. Auch hier sind vor der Bebauung ein Deich oder eine Schutzmauer sowie das Anlegen einer Auenlandschaft angedacht. Oberhalb der Bebauung in Oberhausen ist Ähnliches für den Rinkenbach geplant. Der Ausbau der Verrohrung, durch den ein naturnaher Gewässerlauf entstehen könnte, der die Belastung des Gewässers in Olef entzerrt und Sedimente zurückhält, ist für den Selbach vorgesehen.
Die Wohnsituation
Während in einigen von der Flut beschädigten Häusern und Wohnungen die Sanierung abgeschlossen ist und die Bewohner zurückkehren können, liegt dies für viele noch in weiter Ferne. Zuweilen müssen Übergangsquartiere in Ferienwohnungen geräumt werden, weil die nun anderweitig gebraucht werden.
Abhilfe könnte ein Wohncontainerkomplex bieten, den laut Pfennings die Adra Soteria gGmbH aus Wuppertal angeboten hat. Zehn bis zwölf je 70 Quadratmeter große Wohnungen könnten darin für zwei Jahre zur Verfügung gestellt werden. Als Standort käme der Platz neben der jüngsten Halle der Wäscherei Moog in Mauel in Betracht.
Allerdings ist die Lage für die Stadt laut Pfennings derzeit noch eher diffus. Um einen solchen Bedarf und die Situation der Betroffenen abzufragen, hat die Stadt einen neuen Fragebogen aufgelegt, der im Internet auf der Homepage der Stadt abrufbar ist.
Der Jahrestag
In weniger als drei Monaten jährt sich die Katastrophennacht zum ersten Mal. Während das große Helferfest bereits um ein Jahr verschoben ist und stattdessen Anfang August in deutlich kleinerem Rahmen gefeiert wird, soll der eigentliche Jahrestag ohne große Veranstaltung als „Tag des stillen Erinnerns“, so Pfennings, begangen werden.
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Mit den Kirchen und Betroffenen sei man dazu im Austausch. Geplant ist, in den Kirchen und den Orten Anlaufstellen zu bieten, an denen individuelles Gedenken genau so möglich ist, wie sich zu treffen und gemeinsam an die Ereignisse vom 14/15. Juli 2021 zu erinnern. Denkbar ist laut Pfennings auch, dass die Stadt zu einem bestimmten Zeitpunkt – etwa, als die Evakuierung beschlossen wurde oder als die Sirenen geheult haben – gemeinsam innehält.