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Armut im Kreis EuskirchenKonzerte und Theater sind für Menschen mit wenig Geld nicht drin

Lesezeit 5 Minuten
Das Bild zeigt eine Menge feiernder Fans bei einem Musikkonzert.

Wer schon einmal auf einem Live-Konzert war, kennt das erhebende Gefühl, in der Masse der Fans zu feiern. Menschen mit kleinem Einkommen sind von diesen Erlebnissen in der Regel ausgeschlossen.

Feder hilft: Wie Menschen mit Bürgergeld und/oder Minijob trotzdem Konzerte und Theateraufführungen besuchen können.

Er ist gelernter Maurer und Arzthelfer, hat unter anderem als Fotograf, Mediengestalter, Staubsaugervertreter, bei einem Autoteilezulieferer, im Wachschutz und im Tierpark gearbeitet. Zwischendurch war er als Aufbauhelfer in Äthiopien und Ruanda. Wenn Dietmar Vierus (Name geändert) von seinem Leben erzählt, wird es nicht langweilig. Aufgewachsen ist der heute 57-Jährige in Sachsen-Anhalt.

Nach der Wende habe er einfach alles ausprobiert und sich in jede Arbeit neugierig gestürzt. Sein Slogan seit Lehrlingstagen: „Es gibt nichts, was man nicht kann.“ Vierus ist ein Tausendsassa mit vielen Talenten, nur leider ließ er sich immer über Zeitarbeitsfirmen anstellen. Als die Gesundheit nicht mehr mitspielte, massive Rückenprobleme und eine Diabetes ihn stark einschränkten, erhielt er mehrfach die Kündigung.

Heute muss Dietmar Vierus von 920 Euro im Monat alles bestreiten

„Ich habe dadurch auch nie die Chance bekommen, mich hochzuarbeiten“, sagt er. Könnte Vierus die Zeit zurückdrehen, er würde vieles anders machen: „Einen oder zwei Berufe lernen, mich immer weiterbilden und qualifizieren.“ Heute lebt er von Bürgergeld und einem Minijob. „Um die 920 Euro habe ich im Monat, davon muss ich alles bestreiten.“

„Damals in der DDR wusste ich noch nicht mal, dass es so was wie ein Sozialamt gibt“, so der 57-Jährige, der betont, dass er liebend gerne Vollzeit tätig wäre. Doch seine Gesundheit lasse das nicht mehr zu. Jammern und klagen, das sei nicht seins. Ob er sich selber als Lebenskünstler sieht? „Kann sein. Ich weiß mir jedenfalls zu helfen.“ Wenn „am Ende des Geldes noch zu viel Monat übrig ist“, backt er sein Brot selbst.

Wie oft ich nach der Wende im Kino oder Theater war, das konnte ich lange an fünf Fingern abzählen.
Dietmar Vierus

Nahrungsergänzungsmittel, die bei seinen Erkrankungen helfen, kann er sich nicht leisten: „Also pflücke ich Hagebutten oder sammele Aroniabeeren und mache daraus Saft.“ Auch das Einkochen beherrscht Vierus, und wenn es bei der Tafel Rhabarber gibt, den keiner haben möchte, dann macht er daraus Kompott.

In der ehemaligen DDR sei der Besuch von Kulturveranstaltungen Alltag gewesen. „Dann aber konnte ich mir das nicht mehr leisten. Wie oft ich nach der Wende im Kino oder Theater war, das konnte ich lange an fünf Fingern abzählen“, erzählt er.

Kabarett und Co. dank der Kulturbühne besuchen

Zumindest das hat sich seit letztem Jahr geändert: Bei der Tafel stieß er auf einen Flyer der Kulturbühne, die sich kulturelle Teilhabe unabhängig vom Gewicht des Geldbeutels auf die Fahnen schreibt. Seitdem kann Vierus regelmäßig bei freiem Eintritt Kunst und Kultur genießen. Kein Monat vergehe, ohne dass er nicht einen Anruf von den Mitarbeitern der Kulturbühne bekomme. „Ich nehme das dankend und gerne an und war seither schon bei verschiedenen Kabarettveranstaltungen.“

Zuletzt besuchte Vierus ein Fest auf Burg Satzvey, das ihm sehr gut gefallen habe. Er wisse aber, dass er sich vor einem solchen Besuch satt essen müsse: Bratwurst und Bier könne er sich nicht leisten. Und wenn er beim Duft gebrannter Mandeln beinahe schwach werde, rechne er im Kopf zusammen, wie viel günstiger es wäre, die Köstlichkeit zu Hause herzustellen.

„Ich mache immer Fotos, wenn ich über die Kulturbühne irgendwo hinkomme, und schreibe hinterher ein paar Zeilen, wie es mir gefallen hat“, so Vierus, dem es wichtig ist, den Ehrenamtlichen zumindest ein Feedback zu geben. Da Kulturgenuss am meisten Spaß zu zweit macht, erhalten die Kulturgäste immer Gelegenheit, jemanden mitzunehmen. „Das finde ich großartig“, so Vierus. Er fühle sich als Mensch mit wenig Geld oft am Rande der Gesellschaft stehend, als nicht zugehörig, abgesondert. Dass er wieder teilhaben kann an Kultur unterschiedlichster Art, bedeute ihm viel.


Kulturgast im Projekt Feder werden

Die Kulturbühne ist ein Projekt des Vereins Forum Ehrenamt der Euskirchener Region (Feder) und wurde vor zehn Jahren aus der Taufe gehoben. Die ehrenamtlichen Mitarbeitenden vermitteln freien Eintritt an Menschen, die wegen ihrer wirtschaftlichen Lage keinen Zugang haben zu Kulturveranstaltungen. Theater, Kino, Konzerte, Ausstellungen, Tanz, Sportereignisse oder Familienprogramm – Events, die bei knappem Budget nicht denkbar wären.

Zu sehen sind zwei Eintrittskarten für die Burg Satzvey uind zwei Hände, die sie festhalten.

Die bislang letzten Tickets hat der 57-Jährige für eine Veranstaltung auf Burg Satzvey bekommen.

Die Kulturbühne ermöglicht diese Form der gesellschaftlichen Teilhabe, in dem sie mit unterschiedlichen Kulturpartnern zusammenarbeitet. Vor allem bei nicht ausverkauften Vorstellungen gibt es oftmals Gelegenheit, über die Gästeliste teilzunehmen. „Unsere regionalen Veranstalter unterstützen uns immer, egal wie hoch die Nachfrage im Kartenvorverkauf ist“, lobt Birgit Fuchs von der Kulturbühne. Inhaber des EU-Passes, Empfänger von Bürgergeld, ALG II, Bafög, Grundsicherung oder einer schmalen Rente sowie Alleinerziehende können Kulturgast werden und für Veranstaltungen kostenlosen Eintritt für sich und eine Begleitperson erhalten.

Bei der Anmeldung muss ein Einkommensnachweis vorgelegt werden. Kulturgäste können bei der Anmeldung ihre Interessenschwerpunkte in unterschiedlichsten kulturellen Sparten angeben – von Theater über Kabarett bis hin zu Rock/Pop, Volksmusik und Oper. Zurzeit sind über 150 Menschen als potenzielle Gäste registriert. Infos über die Kulturbühne, die seit 2013 Mitglied in der Bundesvereinigung Kulturelle Teilhabe ist, unter Tel. 01 77/ 48 04 717 oder per E-Mail.


Die Serie: Gesichter der Armut

Einen traurigen Höchststand erreichte laut dem Paritätischen Armutsbericht die Bedürftigkeit in Deutschland 2021 mit einer Quote von 16,6 Prozent. 13,8 Millionen Menschen müssen derzeit zu den Armen gerechnet werden, 600.000 mehr als vor der Pandemie. „Noch nie hat sich die Armut in jüngerer Zeit so rasant ausgebreitet wie während der Corona-Pandemie“, sagt Ulrich Schneider vom Paritätischen Gesamtverband.

In der Serie widmen wir uns den unterschiedlichen Gesichtern und Auswirkungen von Armut im Kreis Euskirchen. Dafür sprechen wir mit Sozialverbänden, Vereinen und Initiativen, vor allem aber mit Betroffenen. Denn sie sind die wahren Experten und können fernab von Statistiken, trockenen Gesetzestexten und politischen Statements über die Herausforderungen berichten, die Armut mit sich bringt. (hn)