Lydia Kassing und Ulrike Kreuer gestalten am Resi-Stemmler-Haus in Euskirchen einen Garten für Demenzkranke und ihre Angehörigen.
Euskirchener AltenheimIn diesem Garten rückt die Krankheit in den Hintergrund
Ulrike Kreuer betritt den Garten am Resi-Stemmler-Haus und läuft zielstrebig auf eine Pflanze im vordersten Beet zu. Lange Stängel, blassgrüne Farbe – die Besonderheit des Wollziest offenbart sich erst auf den zweiten Blick. Die Pflanze hat behaarte Blätter, die sich wie weiches Fell anfühlen.
„Man kann sich ein Blatt nehmen und damit zum Beispiel zu einer bettlägrigen Bewohnerin oder einem Bewohner gehen und sanft über den Arm streicheln“, sagt Kreuer während sie ein Blatt abzupft und sich damit über den Unterarm streicht.
Garten soll Normalität für Demenzkranke in Euskirchen schaffen
Kreuer ist gelernte Garten- und Landschaftsbauerin. Mit Lydia Kassing, Leiterin des Resi-Stemmler-Hauses in Euskirchen, gestaltet sie den Garten der Einrichtung zu einem Therapiegarten um.
Gartenbau in Verbindung mit sozialer Arbeit habe sie immer schon interessiert, berichtet sie. Deshalb habe sie viel in Projekten mit Frauenhäusern oder Obdachlosen gearbeitet. Schließlich machte sie sich 2002 selbstständig und konzentrierte sich in ihrer Arbeit auf alte Menschen.
Als sie Kreuer kennengelernt habe, sei sie sofort begeistert gewesen, berichtet Kassing. Gartentherapie passe gut in das Konzept des Hauses. Das Resi-Stemmler-Haus ist eine geschlossene Einrichtung für Menschen mit fortgeschrittener Demenzerkrankung. Eine Philosophie des Hauses sei es, Normalität in das Thema Demenz zu bringen, sagt Kassing. „Ich kann mit der Erkrankung leben, ich muss es nur begleiten.“
Sinne sollen im Therapiegarten des Resi-Stemmler-Hauses angesprochen werden
Normalität kann ein Garten in Kreuers Augen sehr gut ausstrahlen. Dafür reicht es aber nicht, einfach grüne Büsche und ein paar Blumen zu pflanzen. Die Sinne müssen angesprochen werden. Neben Pflanzen, die sich unterschiedlich anfühlen, stehen im Garten des Resi-Stemmler-Hauses deshalb auch duftende Kräuter, Obststräucher und -bäume zum Naschen und Blumen zum Pflücken. Durch das Sehen, Schmecken, Riechen und Fühlen rücke das ganze Medizinische in den Hintergrund, erklärt Kreuer das Konzept.
Der sichtbare Verlauf der Jahreszeiten im Garten biete zudem Struktur und Orientierung. Außerdem fördere der Garten Neugierde und dadurch Eigeninitiative und Selbstständigkeit. Zum Beispiel durch die Funkie, sagt Kreuer und zeigt auf eine Pflanze mit großen, grünen Blättern auf der anderen Seite des Gartens. Die Blätter wachsen um einen Korbstuhl herum und fallen schnell ins Auge. Das mache neugierig, sagt Kreuer. Ein Bewohner oder eine Bewohnerin werde davon vielleicht nach draußen gelockt, ohne dass eine Pflegekraft dazu auffordere.
Kassing hat noch ein Beispiel. Vor dem Fenster einer Bewohnerin wachsen Hortensien in einem Topf. Die Frau achte nun jeden Tag darauf, dass diese auch gegossen würden. Das sei ihre Motivation, nach draußen zu gehen.
Wege sollen intuitiv durch den Garten leiten
„Was wir noch herausarbeiten wollen, ist, dass der Garten einen Mittelpunkt hat“, sagt Kreuer. Es sei wichtig, dass die Bewohnerinnen und Bewohner ganz intuitiv durch den Garten geführt werden. Alleine die Entscheidung, ob man links oder rechts gehen möchte, könne überfordern.
Mithilfe optischer Fixpunkte, wie einem Mittelpunkt, kleinen Natursteinmauern entlang der Beete oder Torbögen, könne es gelingen, dass diese Überforderung nicht eintrete. Gleichzeitig könne die Bewegung an der frischen Luft beruhigend wirken. „Natur ist einfach das, wo man Hoffnung schöpft“, sagt Kreuer.
Angehörige von Demenzkranken finden im Garten eine Aufgabe
Ruhe und Ablenkung von den Sorgen finden im Garten des Resi-Stemmler-Hauses nicht nur die Bewohnerinnen und Bewohner, sondern auch ihre Angehörigen. „Die Familie zieht bei uns mit ein“, beschreibt Kassing das Verhältnis zwischen Pflegekräften, Angehörigen und Bewohnern. Nicht immer sei es leicht, damit umzugehen, dass die eigenen Eltern oder Großeltern immer mehr vergessen. Im Garten finden die Angehörige eine sinnvolle Aufgabe. Es habe sich schnell eine Gruppe gebildet, die sich um den Garten kümmere, berichtet Kassing.
Anfangs sollten Bewohnerinnen und Bewohner eigentlich nicht mitmachen, doch die hätten von ganz alleine die Gartengeräte in die Hand genommen und hier und da mitgeholfen, so Kassing. Auch wenn der Kopf nicht mehr alles weiß, die Hände erinnern sich noch daran, wie man eine Hacke benutzt.
Mehr Bauerngärten, weniger Hochbeete
Kassing und Kreuer setzen im Therapiegarten ganz bewusst auf große Beete am Boden und nicht etwa auf Hochbeete. Die Erfahrung zeige, dass alte Menschen nicht an die Hochbeete gingen, berichten die beiden Frauen. Viel geeigneter seien Gärten, die die Menschen an die Bauerngärten ihrer Kindheit erinnerten.
Noch ist der Garten am Resi-Stemmler-Haus nicht fertig. Der kleine Wasserlauf in einem der Beete soll neu gestaltet werden, eine Bank unter dem Apfelbaum wäre denkbar, ein Gartenhaus soll her und und und. Beim Rundgang durch den Garten kommen Kassing und Kreuer immer wieder neue Ideen. „Wir entwickeln uns jetzt dahin, dass wir sagen, der Garten ist uns wichtig als Lebensraum“, sagt Kassing.
Irgendwann, so hoffen die beiden, werden die Bewohnerinnen und Bewohner des Hauses den Garten ganz selbstständig nutzen – Johannisbeeren naschen, Blumen pflücken oder einfach im Schatten sitzen und den Wind auf der Haut spüren.
Gartentherapie findet noch zu wenig Anerkennung
Menschen zu stabilisieren, darum gehe es in der Gartentherapie, sagt Ulrike Kreuer. Zielgruppe seien nicht nur Demenzkranke, sondern auch Menschen mit Depressionen, Essstörungen oder anderen psychischen Erkrankungen.
Anerkannt sei diese Therapieform in Deutschland als eigenständige Disziplin nicht. „Hier wird das der Ergotherapie ein bisschen untergejubelt“, sagt Kreuer. In den USA und weiteren Ländern sei das anders. Das Problem: Es gibt kein Geld. Nur die IKK habe diese Therapieform bisher als Kassenleistung aufgenommen, so Kreuer.
Bei der Gestaltung der Gärten gehe sie immer zunächst von sich selbst aus, so Kreuer. „Wo zieht es mich hin?“ sei eine wichtige Frage. Darum herum entwickele sie ihr Konzept. Bei Altenheimen sei ein wichtiger Punkt, dass die Wege breit genug für Rollstühle, Rollatoren und sogar Pflegebetten seien. Damit jeder den Garten erleben könne. Die wichtigste Grundvoraussetzung für Gartentherapie im Altenheim sei allerdings, dass diese ins Hauskonzept mitaufgenommen und von allen Mitarbeitenden mitgetragen werde. Der schönste Therapiegarten nütze nichts, wenn damit nicht gearbeitet werde, so Kreuer.
Die Garten- und Landschaftsbauerin würde gerne auch einmal mit Städten oder Gemeinden zusammenarbeiten. Denn in öffentlichen Grünanlagen mangelt es ihrer Ansicht nach an Konzepten für die ältere Generation, und nebenbei schaffe man mit einem Therapiegarten mehr Biodiversität. Leider gebe es dazu bisher kaum Anfragen. Mehr Informationen zu Kreuer und ihrem Angebot findet man auf ihrer Webseite.