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GewaltopferSchutzhaus für Frauen und Kinder in Euskirchen: Bürokratie erschwert die Hilfe

Lesezeit 6 Minuten
Das Gebäude in den Farben Gelb und Blau besteht aus Holz, eine Holzwand ist davor angebracht.

Das Schutzhaus für Frauen und Kinder des Vereins Frauen helfen Frauen in Euenheim: Auf Grundlage des neuen Gewalthilfegesetzes soll es zukünftig einen Rechtsanspruch auf Beratung und Schutz geben.

Gewaltbetroffene Frauen suchen Hilfe, treffen aber erstmal auf Bürokratie, klagen Mitarbeiterinnen des Euskirchener Schutzhauses.

360 Frauen wurden 2023 in Deutschland getötet, also fast jeden Tag eine (Quelle: Bundesministerium des Inneren und für Heimat). Häufig wurden sie von ihren Partnern oder Ex-Partnern umgebracht. Oftmals waren sie schon lange vorher Opfer von psychischer, körperlicher oder sexueller Gewalt.

Statistisch erleben fast 400 Frauen und Mädchen in Deutschland jeden Tag Gewalt. Und jene, die die Flucht ergreifen, sich und ihre Kinder in ein Frauenhaus retten wollen, werden mangels freier Plätze oder aber der fehlenden Aussicht auf die Finanzierung des Aufenthaltes oftmals abgewiesen.

Das belastet auch die Mitarbeitenden der Einrichtungen, denn ihr Selbstverständnis als Sozialarbeiterinnen in Schutzhäusern ist, den Betroffenen umgehend und unbürokratisch Schutz und Hilfe anzubieten. Davon ist man oftmals weit entfernt – vor allem unbürokratisch ist das Verfahren für eine Schutzsuchende in keiner Weise.

360 Frauen wurden 2023 getötet – in vielen Fällen vom (Ex)-Partner

„Wenn sich hier eine Frau meldet, dann müssen wir schon am Telefon unzählige Fragen stellen, um abzuklären, ob wir für sie überhaupt eine Finanzierung erhalten können“, sagt Silvia Alt, langjährige Mitarbeiterin im Euskirchener Schutzhaus für Frauen und Kinder.

Dies gilt in der Regel bei Bezieherinnen von Arbeitslosengeld II oder SGB-II-Leistungen, andere Schutzsuchende fallen jedoch durchs Raster: Auszubildende und Studierende, Frauen aus anderen EU-Ländern, Frauen mit unsicherem Aufenthaltsstatus oder auch Rentnerinnen.

Alesha Gasior sitzt bei einem Gespräch einer Bewohnerin gegenüber.

Alesha Gasior im Gespräch mit einer Bewohnerin, bei der die Finanzierung ihres Platzes lange Zeit auf der Kippe stand.

Eine der letzten Amtshandlungen der alten Bundesregierung war die Verabschiedung des Gewalthilfegesetzes, dem der Aufbau eines verlässlichen und bedarfsgerechten Hilfesystems bei häuslicher und geschlechtsspezifischer Gewalt folgen soll, auf Grundlage einer verlässlichen Finanzierung.

Mit dem Gesetz kommt der Staat – nach jahrelangen politischen Diskussionen zum Thema – seinen Schutzpflichten aus dem Grundgesetz sowie den Verpflichtungen aus der Istanbul-Konvention nach: Ab dem Jahr 2032 soll es einen bundesweiten Rechtsanspruch auf Schutz und Beratung für betroffene Frauen und deren Kinder geben.

Bürokratie macht die Hilfe sehr schwierig

„Das ist auf jeden Fall ein großer Schritt in die richtige Richtung“, sagt Alesha Gasior, Sozialpädagogin im Schutzhaus Euskirchen. Damit habe man endlich mehr Planungssicherheit: „Und es macht die gesamtgesellschaftliche Verantwortung deutlich, gewaltbetroffenen Frauen die nötige Unterstützung zu bieten.“

In den zurückliegenden Jahren habe die bürokratische Arbeit im Schutzhaus immer weiter zugenommen. Vor allem im Bereich Finanzierung. Denn damit die Einrichtung ihre festgelegte Tagespauschale von 58,60 Euro abrechnen kann, müssen sehr viele Dokumente und Nachweise beigebracht und noch viel mehr Anträge gestellt werden.

„Von Juni 2024 bis heute haben wir hier im Haus 476 Beratungsgespräche geführt. Bei 44 Prozent ging es um die Existenzsicherung der Frau, und damit gleichzeitig auch um die Finanzlage unserer Einrichtung“, sagt Gasior.

Wenn sich hier eine Frau meldet, dann müssen wir schon am Telefon unzählige Fragen stellen, um abzuklären, ob wir für sie überhaupt eine Finanzierung erhalten können.
Silvia Alt, Mitarbeiterin im Euskirchener Schutzhaus für Frauen und Kinder

Der Druck, der auf den Mitarbeiterinnen laste, möglichst wirtschaftlich zu arbeiten, sei gleichermaßen Druck auf die Bewohnerinnen, die eigentlich Ruhe und den Raum zur Stabilisierung finden sollen im Schutzhaus. „Wir verbringen fast die Hälfte der Arbeitszeit damit, bürokratische Prozesse ein- und anzuleiten, bei denen die Frauen auch echt gefordert sind, vieles beschaffen zu müssen“, sagt Silvia Alt.

Kollegin Gasior ergänzt: „Wir würden uns gerne viel mehr Zeit für die Sorgen, Nöte und die Traumata der Frauen und Kinder nehmen oder für die Frage, wie das Leben einer Frau nach dem Auszug weitergehen kann.“ Beide betonen, dass das Schutzhaus in Euenheim vergleichsweise gut dastehe: „Wir haben immerhin eine zuverlässige Leistungsvereinbarung mit dem Kreis Euskirchen für den Finanzierungsanteil.“

Es geht auch um die Finanzierung des Schutzhauses in Euskirchen

Aber wie geht es den Schutzsuchenden, die oftmals bangen müssen, ob ihr Platz im Frauenhaus finanziert werden kann oder nicht? „Das ist sehr belastend für die Frauen, manchmal herrscht Wochen und Monate Unklarheit darüber, ob sie und damit auch wir Geld erhalten“, sagt Silvia Alt.

In solchen Fällen geht das Schutzhaus, in der Trägerschaft des Vereins Frauen helfen Frauen, in Vorleistung. Hier kommt dann Spendengeld zum Einsatz: „Wir geben pro Person ab sechs Jahren 45 Euro pro Woche zum Leben aus. Die Bewohnerinnen müssen sich ja selbst versorgen. Das ist knapp bemessen.“

Neues Gesetz aus Berlin macht den Mitarbeiterinnen Hoffnung

Wenn aber von Anfang an keinerlei Aussicht darauf besteht, dass die Frau kein Geld über Jobcenter oder Sozialamt erhält und den Tagessatz auch nicht aus eigener Tasche zahlen kann, wird sie schweren Herzens weggeschickt.

„Neulich stand eine Frau aus Albanien weinend mit ihren drei Kindern vor unserer Tür. Wir konnten sie nicht aufnehmen, aber wir haben sie immerhin in ein anderes Bundesland vermitteln können, in dem es andere Möglichkeiten der Finanzierung gibt“, erzählt Gasior.

Von den Mitarbeiterinnen und damit auch von den Frauen dürfte mit dem Gewalthilfegesetz viel Druck abfallen, denn die Finanzierung müsste nicht mehr für jede Einzelne geklärt werden.

„Klar, wir werden uns auch weiterhin viel mit Ämtern, Anwälten, Familiengerichten und so weiter befassen müssen, aber dann wären wir nur noch für das Wohl der Frauen und ihrer Kinder im Einsatz und hätten nicht mehr den Fokus auf die Wirtschaftlichkeit unseres Schutzhauses im Hinterkopf“, sagt Alt.

Was auch aufgrund des Gewalthilfegesetzes auf den Kreis Euskirchen zukommen wird: Die Zahl der Schutzplätze muss deutlich erhöht werden, und eventuell müsste sogar ein weiteres Schutzhaus in Betrieb genommen werden.


Euskirchen: 79 Frauen konnten nicht ins Schutzhaus

 Als einen „Meilenstein“ für den Gewaltschutz in Deutschland bezeichnet der Deutsche Frauenrat, Dachverband für mehr als 60 frauenpolitische Organisationen, das neue Gewalthilfegesetz. Das Bundesministerium für Familie,   Senioren, Frauen und Jugend spricht von einem „historischen Schritt im Kampf gegen Gewalt an Frauen“. Das jüngst verabschiedete Gesetz sichert erstmals einen kostenfreien Rechtsanspruch auf Schutz und Beratung für gewaltbetroffene Frauen.

In Kraft tritt das Gesetz erst 2032, bis dahin haben die Bundesländer Zeit, entsprechende Strukturen auf- und auszubauen. Hierfür stellt der Bund 2,6 Milliarden Euro zur Verfügung, gut 64 Millionen davon fließen nach NRW. Dort gibt es zurzeit 70 vom Land geförderte Schutzhäuser für Frauen und Kinder. Nach der Istanbul-Konvention zur Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt, die Deutschland 2018 unterzeichnet hat, ist der Gesamtbedarf von 21.000 Plätzen deutschlandweit nur zu einem Drittel abgedeckt.

Im Jahr 2023 fanden 2000 Schutzsuchende in NRW Platz, mehr als 7000 Frauen mussten aber abgewiesen werden. Im Euskirchener Schutzhaus für Frauen und Kinder konnten im vergangenen Jahr insgesamt 79 Frauen nicht aufgenommen werden: 14 wegen fehlender Finanzierungsoptionen, 30 mangels freier Plätze und 21, weil kein geeignetes Zimmer zur Verfügung stand (z.B. Alleinstehende). Bei 14 Frauen gab es andere Gründe, etwa Wohnungslosigkeit oder aber psychische Erkrankungen.