Für Kinder ist das Miterleben von häuslicher Gewalt nie ohne Folgen. Sie leiden an Schlafstörungen, Ängsten, Schulproblemen und Aggressivität.
Häusliche GewaltIm Euskirchener Schutzhaus lernen Kinder ihre Rechte kennen
Schläge, Schubsereien, Drohungen, Beschimpfungen oder Erniedrigungen: Ein Kind, das in diesem Familienklima aufwächst, hat schlechte Startbedingungen. Dabei muss sich die Gewalt in Worten und Taten nicht einmal gegen die Kinder selbst richten, um seelischen Schaden zu verursachen.
Tagtäglich damit konfrontiert sind die Mitarbeiterinnen des Schutzhauses für Frauen und Kinder in Euenheim des Vereins Frauen helfen Frauen. Hier sollen die Mütter und ihre Kinder zunächst einmal zur Ruhe kommen und durchatmen. Die Gewalterfahrungen schwingen dennoch immer mit. Im Haus gibt es einen separaten Kinderbereich, wo gespielt, gebastelt und gemalt werden kann. Wenn das Thema auf die Väter der Kinder kommt, wird es von den Pädagoginnen aufgegriffen.
Im Euskirchener Schutzhaus wird Transparenz großgeschrieben
„Wir arbeiten hier mit Transparenz, auch im Kinderbereich. Es geht darum, keine Geheimnisse mehr haben zu müssen“, erzählt Paula Nolden. Meist wurden die Kinder in der Familie zu Geheimnisträgern gemacht, denn was zu Hause passierte, sollte nicht an die Öffentlichkeit. „Wir erleben die Kinder oft als stark verunsichert und orientierungslos.“ Und manchmal würden sie sich eine eigene Wahrheit basteln, um Antworten zu haben: „Ein Mädchen erzählte mir einmal, dass ihr guter Vater in einem Ritterkampf erstochen worden sei – von dem bösen Vater.“
Für Mütter wie für Kinder gleichermaßen gehe es im Schutzhaus auch um simple Fragestellungen, die in der Gewaltbeziehung kaum Beachtung fanden: „Was tut mir gut? Was brauche ich?“, nennt Silvia Alt beispielhaft. An der blauen Wand im Kinderbereich hängen Pappteller, auf denen mit Buntstiften die Kinderrechte stehen. Auf einem steht geschrieben: „Kinder haben das Recht, etwas zu sagen.“ Auf einem anderen: „Kinder dürfen nicht geschlagen und beleidigt werden.“
Oft seien die Mädchen und Jungen total überrascht, wenn sie erfahren, dass Schläge verboten seien, sagt Paula Nolden: „Das Wissen darum gibt den Kindern neue Orientierung, und oft entsteht darüber dann auch ein Austausch über das, was sie erlebt haben.“ In der Peergroup, also im Kreise der anderen Kinder, falle das leichter, denn hier haben alle Gewalt erlebt.
Trotz alledem sei es aber so, dass die Kinder an ihren Vätern hängen. Für die Erzieherinnen im Schutzhaus ist es deshalb wichtig, mit verschiedenen Methoden dabei zu helfen, Orientierung zu geben. „Zum Beispiel malen die Kinder ihre Väter zweigeteilt: Auf der einen Seite ist dann das, was sie an ihnen mögen, auf der anderen das, was sie nicht mögen oder ihnen Angst macht“, sagt Paula Nolden. „Kinder identifizieren sich immer über beide Elternteile. Wenn man eine Seite komplett abwertet, fangen die Kinder an, sich selber auch abzuwerten.“
Schutzhaus-Team sieht Kinder- und Opferschutz nicht gewährt
„Die Kinder waren so wie ihr Vater: jähzornig, haben Sachen rumgeschmissen, waren angespannt“, erzählt eine der Mütter aus dem Schutzhaus über die Zeit vor dem Auszug. „Jetzt ist es so, als wäre ein Damm gebrochen. Sie werden lauter, streiten sich, sie testen ihre Grenzen aus. Meine Tochter wurde sogar vorlaut. Sie fühlen sich sicher.“
Was alle Mitarbeiterinnen im Schutzhaus beklagen, ist das meist sehr schnell auferlegte Umgangsrecht. „Allein der Verdacht auf häusliche Gewalt müsste ausreichen, um Kindeswohl und Opferschutz geltend zu machen und den Umgang erst einmal auszusetzen“, sagt Alesha Gasior, die auch Vorsitzende des Opfernetzwerks Kreis Euskirchen ist. „Wir sind nicht grundsätzlich gegen einen Umgang mit dem Vater, wir fordern nur bestimmte Voraussetzungen“, sagt sie. Dazu gehöre der unbedingte Schutz von Mutter und Kind, der erkennbare Kinderwille zum Umgang sowie die Bedingung, dass der Vater Verantwortung für sein gewalttätiges Verhalten übernimmt.
„In den Niederlanden ist es so, dass der gewalttätige Vater erst an sich arbeiten muss, bevor er wieder Zeit mit seinen Kindern verbringen darf“, sagt Silvia Alt. Und auch in Rheinland-Pfalz gebe es ein umfassendes Präventions- und Interventionskonzept, das Opfer und Täter sowie mitbetroffene Kinder miteinbezieht.
Insgesamt acht sogenannte Täterarbeitseinrichtungen wurden in dem Nachbarbundesland gegründet, in denen Gewalttäter beispielsweise lernen, in Konfliktsituationen gewaltfrei zu handeln. Tatsächlich könnten Familiengerichte es zur Auflage machen, dass ein gewalttätiger Vater zunächst ein Anti-Gewalt-Training absolvieren muss. Das aber komme so gut wie nie vor.
Beschluss des neuen Gewalthilfegesetz ist fraglich
„Was wir hier manchmal erleben, das ist so absurd, das glaubt man nicht“, sagt Silvia Alt kopfschüttelnd. „Die Väter haben sich ja nicht mal eben geändert, wenn sie dann den Umgang durchgesetzt haben und ihre Kinder sehen.“ Die langjährige Schutzhaus-Mitarbeiterin fordert eine Null-Toleranz-Haltung, an die sich alle beteiligten Institutionen halten müssten.
Aktuell wird das Gewalthilfegesetz der noch amtierenden Bundesregierung im Parlament diskutiert und abgestimmt. Mit diesem soll der Zugang zu Schutz und Beratung in Fällen von häuslicher Gewalt garantiert werden. Dafür sollen die Länder bis 2030 ihre Frauenhausplätze flächendeckend ausbauen, damit der Rechtsanspruch umgesetzt werden kann. Das Gesetz soll außerdem die Verpflichtung zur Teilnahme an sozialen Trainingskursen für Gewalttäter gesetzlich regeln.
Ob das Gewalthilfegesetz vor den Neuwahlen noch beschlossen werden kann, ist fraglich. Der Bundesrat tagt am 14. Februar das letzte Mal in dieser Legislaturperiode.
Kinder leiden immer
Die jüngste Statistik des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend belegt, dass 256.276 Menschen in Deutschland 2023 Opfer häusliche Gewalt erlebt haben. 70 Prozent davon sind weiblich. Allerdings werden nur wenige dieser Taten angezeigt, so dass die Statistik den tatsächlichen Umfang häuslicher Gewalt nicht aufzeigt.
Für Kinder ist das Miterleben von häuslicher Gewalt nie ohne Folgen. Sie leiden an Schlafstörungen, Ängsten, Schulproblemen, Entwicklungsverzögerungen, Aggressivität und anderen Auswirkungen.
Studien belegen auch, dass betroffene Kinder die Gewalt häufig als Konfliktlösungsmuster akzeptieren und selber anwenden. Gewalt in der Kindheit – direkte oder miterlebte – erhöht zudem das Risiko, als Erwachsene in der eigenen Partnerschaft ebenfalls häusliche Gewalt zu erleben.
Seit 2000 haben Kinder in Deutschland ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Laut Bürgerlichem Gesetzbuch sind körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen oder entwürdigende Maßnahmen seither unzulässig.