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Jahrestag der NovemberpogromeHunderte gedenken in Euskirchen der Opfer des Holocaust

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Schülerinnen an Mikrofonen tragen während der Gedenkfeier Texte vor, während ein auf eine Wand projiziertes Bild im Hintergrund die brennende Euskirchener Synagoge zeigt.

Schülerinnen trugen während der Gedenkfeier Texte vor, während Bilder im Hintergrund die brennende Euskirchener Synagoge zeigten.

Wo 1938 die Euskirchener Synagoge brannte, wurde der ermordeten Jüdinnen und Juden gedacht. Anlass war der Jahrestag des Novemberpogroms.

Während im Hintergrund auf Bildern die Euskirchener Synagoge in Flammen steht, singt Melanie Wooßmann das Lied „S'brent“. Mordechaj Gebirtig hat es während der deutschen Besetzung Polens geschrieben. 1942 wird er im Krakauer Ghetto ermordet.

Wooßmanns Interpretation des jiddischen Widerstandsliedes („Unser Schtetl brennt“) gehörte am Donnerstagabend zu den ergreifenden Momenten der Feier in der Annaturmstraße, wo das jüdische Gebetshaus stand, bis die Nationalsozialisten es 1938 zerstörten. Mehrere Hundert Menschen waren auf Einladung der Stadt zur Gedenkveranstaltung zum 85. Jahrestag des Novemberpogroms gekommen. Das Programm hatte federführend Petra Goerge vom Stadtmuseum zusammengestellt.

Schülerinnen und Schüler aus Euskirchen bildeten einen Chor

Gegen Ende sang ein Chor, bestehend aus Schülern und Schülerinnen der weiterführenden Schulen, das Lied „Dona Dona“, ehe die Anwesenden zum Abschluss gemeinsam John Lennons „Imagine“ anstimmten. Vorher hatten Schülerinnen Texte vorgetragen, unter anderem Auszüge aus den Erinnerungen des Publizisten Michel Friedman („Fremd“) und der Holocaust-Überlebenden Eva Szepesi („Ein Mädchen allein auf der Flucht“) – besonders eindrücklich darin die Szene, in der ihr im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau die obligatorische Häftlingsnummer auf den Arm tätowiert wurde.

Eine Menschenmenge steht bei Dunkelheit in der Annaturmstraße, im Hintergrund Häuser mit erleuchteten Zimmern.

Hunderte Menschen waren zu der Gedenkveranstaltung in die Annaturmstraße gekommen.

Auf eine Gebäudewand wurden nicht nur Fotografien projiziert, die die Synagoge zum einen in ihrer ganzen Pracht zeigten, zum anderen während ihrer Zerstörung 1938. Vielmehr waren dort auch die Namen der Jüdinnen und Juden aus Euskirchen zu lesen, die von den Nazis umgebracht worden sind.

Bürgermeister Reichelt: „Wir verneigen uns vor den Opfern des Holocaust“

„Wir verneigen uns vor den Opfern des Holocaust“, sagte Bürgermeister Sacha Reichelt in seiner Rede zum Gedenktag: „Das Novemberpogrom 1938 markiert das endgültige Ende des Rechtsstaates und den Beginn der nationalsozialistischen Barbarei, der sechs Millionen Juden aus Deutschland und ganz Europa zum Opfer fielen.“

Die Pfarrer Tobias Hopmann (v.l.) und Frank Thönes, Sängerin Melanie Wooßmann und Bürgermeister Sacha Reichelt stehen auf dem Platz der ehemaligen Synagoge in Euskirchen.

Die Pfarrer Tobias Hopmann (v.l.) und Frank Thönes, Sängerin Melanie Wooßmann und Bürgermeister Sacha Reichelt auf dem Platz der ehemaligen Synagoge in Euskirchen.

Die imposante Euskirchener Synagoge sei am Nachmittag des 10. November in Brand gesteckt worden. Während der Martinszug durch die Straßen zog, so Reichelt, „brannte die Synagoge bis auf die Grundmauern ab, jüdische Geschäfte wurden geplündert und ebenfalls in Brand gesetzt“.

Appell des Euskirchener Bürgermeisters gegen Antisemitismus und Rassismus

„Wir werden die Holocaust-Opfer nie vergessen“, sagte der Bürgermeister. „Gleichzeitig verleihen wir unserem unbedingten Willen Ausdruck, solche Verbrechen niemals wieder zuzulassen. Wir alle sind aufgerufen, gemeinsam gegen jedwede Form von Antisemitismus und Rassismus einzutreten.“

Reichelt nahm auch Bezug auf die jüngsten Ereignisse. „Alle, die sich hier in dieser großen Zahl versammelt haben, haben verstanden, dass es eine besondere historische Zeit ist, in der es wichtiger ist als in den Jahrzehnten zuvor, ein Zeichen zu setzen.“ Bilder von Menschen, fügte er hinzu, die auf deutschen Straßen die Ermordung von jüdischen Menschen feierten, seien unerträglich.

Euskirchener gedachten in Stille der ermordeten Jüdinnen und Juden

Der katholische Pfarrer Tobias Hopmann trug Teile des Psalms 74 vor („Gott, warum hast du uns für immer verstoßen?“) und bat die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Gedenkveranstaltung, in einem Moment der Stille der ermordeten jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger zu gedenken.

Sein evangelischer Amtskollege Frank Thönes sagte in seinem Gebet: „Immer wieder erschrecken wir vor der Gewalt der Einen, vor dem Schweigen der Vielen – auch 2023 in Deutschland, wenn es wieder passiert.“ Hass bahne sich seinen Weg auf den Straßen und in den Netzwerken. Von Gott erbat Thönes „Kraft, die uns kämpfen lässt gegen Antisemitismus“.