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Pides-Projekt der AwoSenioren helfen jungen Menschen aus Euskirchen, Hürden zu überwinden

Lesezeit 5 Minuten
Monika Lauer und Khatera Naimi unterhalten sich. Vor ihnen stehen Kekse und eine Kaffeetasse.

Als Schulsozialarbeiterin Monika Lauer (l.) und Khatera Naimi sich kennenlernten, war Naimi verzweifelt, weinte oft, wollte die Schule abbrechen und vielleicht doch Hausfrau bleiben. Und das, obwohl sie eigentlich aus Kabul hergekommen war, um einen Beruf erlernen zu dürfen.

Als Khatera Naimi aus Kabul nach Zülpich kam, war sie überfordert. Doch ihre Mentorin half ihr, die Sprache zu lernen und die Ausbildung zu schaffen.

Ein besseres Leben für seine Tochter, das hat sich Khatera Naimis Vater am meisten gewünscht. Dass dieser Traum sich aber nicht erfüllen würde, solange seine Tochter in Kabul lebt, wusste er. Deswegen hat er seine Tochter nach Deutschland geschickt. Heute lebt sie in Zülpich.

In Afghanistan war Naimi Hausfrau. Sie durfte nicht ohne Verschleierung auf die Straße, sie durfte nichts lernen, sie durfte keinen Beruf ergreifen. Damals, sagt Naimi, sei sie ein ruhiger Mensch und immerzu zuhause gewesen. „Ich habe nie viel geredet, und vor allem habe ich nicht gelacht.“

Als Naimi aus Kabul nach Zülpich kam, war die junge Frau überfordert

Heute lacht Naimi viel. Und dank ihres Führerscheins kann sie heute „überall“ sein, wie sie sagt. Ruhig ist sie auch nicht mehr, sondern quirlig. Und sie hat eine Ausbildung zur Kinderpflegerin absolviert. Gerade macht die zweifache Mutter sogar noch eine weitere Ausbildung zur Erzieherin.

Aber ohne Sigrid Alexandrowitsch, sagt Naimi, hätte sie das alles gar nicht geschafft. Denn eine fachliche Ausbildung in einer Sprache zu machen, die man noch gar nicht spricht, das sei zu Beginn eine große Überforderung gewesen.

Monika Lauer, Evelyn Drach, Khatera Naimi, Gerhard Schratt und André Wilms stehen auf dem Balkon der Awo in Euskirchen.

Das Projekt wird betreut von Monika Lauer (2.v.l.) und Evelyn Drach (r.).

Gerhard Schratt und André Wilms sitzen an einem Laptop.

EDV-Experten unter sich: Gerhard Schratt (l.) unterrichtet André Wilms.

Sigrid Alexandrowitsch ist eine der fünf ehrenamtlichen Mentorinnen des Awo-Projekts Pides. Die Idee: Senioren begleiten ehrenamtlich Jugendliche und junge Erwachsene auf ihrem Weg ins Berufsleben. Dabei unterstützen sie sie im Rahmen einer 1:1-Betreuung bei schulischen Problemen, wenn der familiäre Rückhalt fehlt oder die jungen Menschen gesellschaftlichen Anforderungen nicht gewachsen sind.

„Wir spinnen ein soziales Auffangnetz“, sagt Monika Lauer, die das Projekt, das am Thomas-Eßer-Berufskolleg angesiedelt ist, vor Ort als Schulsozialarbeiterin betreut. Für die ehrenamtlichen Mitarbeiter gehe es darum, auf alle Themen zu reagieren, die kommen. Mal gehe es um Ärger mit Ämtern und Formularen, mal um finanzielle Absicherung, mal um die Überwindung von Sprachhürden wie bei Khatera Naimi.

Manchmal geht es aber auch allein um Fachliches, wie bei dem 22-jährigen André Wilms und seinem Mentor Gerhard Schratt. Wilms hat gerade die Ausbildung zum Informationstechnischen Assistenten erfolgreich abgeschlossen. Ohne seinen Mentor, sagt er, hätte er das sicher nicht geschafft. Gemeinsam haben sich die beiden mehr als ein Jahr lang intensiv mit Betriebssystemen und Datenbanken beschäftigt.

Ehemaliger EDV-Berater hilft Schüler und lernt dabei selbst noch etwas

Gerhard Schratt hat früher als EDV-Berater gearbeitet. Durch die intensive Arbeit mit seinem Schützling hat sich der Rentner auch selbst noch mal auf den neusten Stand der Technik gebracht. „Man vergisst doch einiges mit den Jahren. Und vieles hat sich in den vergangenen 30 Jahren auch weiterentwickelt.“ André Wilms und Gerhard Schratt ähneln sich. Sie sind beide offen und freundlich, aber in der Kommunikation sachorientiert. „Wir haben uns direkt gut verstanden“, sagt Schratt. „Das war alles gar kein Problem, denn wir sprechen die gleiche Sprache.“

Dass Mentor und Mentee gut zueinander passen, das sei eine der beiden wichtigsten Voraussetzungen für eine gute Zusammenarbeit, sagt Lauer. Die andere sei Zuverlässigkeit. Kathera Naimi nickt. Zu Beginn ihrer Ausbildung, erinnert sie sich, habe sie oft geweint. Zum einen wegen der Situation in Afghanistan, die sie in den Nachrichten verfolgte, zum anderen, weil nicht nur das pädagogische Fachvokabular, sondern auch die deutsche Sprache generell sie verwirrte und überforderte. „Ich wusste nicht, wie man die Sätze richtig aufbaut.“

Die Mentoren des Pides-Projekts der Awo müssen zuverlässig sein

Eine Weile hat Naimi sogar überlegt, die Schule wieder zu verlassen und doch Hausfrau zu bleiben. Doch Sigrid Alexandrowitsch war zu jeder Zeit für die heute 39-Jährige da – per Mail und Whatsapp las sie jeden Text Korrektur, übersetzte alles in einfaches Deutsch und beantwortete Fragen. Selbst als Naimi während ihres Praktikums Hilfe bei Korrekturen brauchte und Alexandrowitsch im Urlaub und ohne Computer war, veranlasste die Mentorin Hilfe. Naimi: „Sigrid hat ihre Schwiegertochter angerufen, damit sie meine Texte ganz schnell korrigiert.“ Naimi lacht. „Sigrid hat mir immer Sicherheit gegeben.“ Sie ist dankbar dafür. Und sie ist stolz.

„Ich habe alles geschafft“, sagt sie. Dies beinhaltet, dass sie eine berufliche Laufbahn eingeschlagen hat, dass sie eine neue Sprache gelernt hat, dass sie währenddessen zwei Kinder großgezogen hat und inzwischen auch noch zusätzlich – inspiriert von ihrer Mentorin – ein Ehrenamt übernommen hat. Naimi arbeitet heute auch als Übersetzerin. Für Pashtu – ihre Muttersprache – ist sie gefragte Expertin, doch sie übersetzt auch Persisch, Urdu und Englisch.

Weil sie so viel macht, hat sich ihr heute 16-jähriger Sohn in der Vergangenheit auch schon beschwert. Weil sie immer so viel unterwegs war und so wenig Zeit hatte. Es stimmt, sagt Naimi. „Früher war ich viel zu Hause, heute bin ich überall.“ Sie lacht.

Vor Kurzem hat Naimi mit ihrem Vater gesprochen. Am Telefon hat er gesagt, dass er stolz auf sie sei. „Er hat immer gesagt, dass ich alles schaffen kann, und jetzt habe ich wirklich alles geschafft.“ Naimi strahlt.


In der Pandemie drohte das Pides-Projekt zu scheitern

Seit mehr als 20 Jahren gibt es das Pides-Projekt, erklärt Evelyn Drach. Sie ist Leiterin der Fachgruppe Jugendsozialarbeit und neben Monika Lauer Betreuerin des Projekts.

Am Thomas-Eßer-Berufskolleg (TEB), sagt sie, gab es seit Beginn Schüler, die betreut wurden. Zu Spitzenzeiten waren es sogar mehr als 20 Mentoren. Heute sind es nur noch fünf.

Durch die Corona-Zeit habe das Projekt einen unheimlichen Einbruch erlitten. Aus Sicherheitsgründen mussten viele ältere Menschen während der Pandemie ganz aus dem Projekt aussteigen. Und dann kam die Flut. „Und danach ist es nie mehr so geworden, wie es vorher war“, sagt Drach.

Weil die Mentoren, die geblieben sind, überwiegend am TEB betreuen, wurde das Projekt intern umstrukturiert und an die Schulsozialarbeit angegliedert.