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Huckepack aus der Wohnung getragenWie ein Weilerswister mit Handicap die Flut erlebte

Lesezeit 5 Minuten

Nach seinem Schlaganfall fühlt sich Horst-Martin Schwan mit dem Ausfüllen der Anträge für Flutbetroffene überfordert.

Weilerswist – Auf die Situation von Flutopfern mit Handicap aufmerksam zu machen – ist das Ziel von Horst-Martin Schwan aus Weilerswist, als er sich in einer E-Mail an die Redaktion gewandt hat. „Vielleicht ist das nicht so interessant wie ein Interview mit der Bürgermeisterin“, denkt er. Es brenne ihm aber unter den Nägeln, stellvertretend für viele Betroffene auf seine Situation aufmerksam zu machen. „In all den Berichten kommen die Älteren und Kranken zu wenig vor“, findet er.

Seit einem schweren Schlaganfall im Wanderurlaub 2019 sind kleinste Anstrengungen für den 74-jährigen Rentner eine Herausforderung. Passiert etwas Ungeplantes, streikt seine linke Körperhälfte. Das Gehen mit dem Stock wird noch schwieriger. So wie während der Flutkatastrophe.

Huckepack aus der Wohnung getragen

Als direkt vor dem Mehrfamilienhaus, in dem er seit mehr als 15 Jahren zur Miete wohnt, der Mühlenbach stieg und die Straße überflutete, überkam ihn die Angst. „Ich stand auf dem Balkon und konnte beobachten, wie das Wasser steigt und die Menschen richtigerweise flüchteten. Aber ich kam hier nicht alleine weg und konnte nicht mal mehr jemanden anrufen“, sagt er. Intuitiv habe er Papiere und ein wenig Kleidung zusammengepackt und auf die Feuerwehr gewartet. Durch Rufe habe er schließlich auf sich aufmerksam machen können.

Ein Feuerwehrmann sei gekommen und habe ihn huckepack aus seiner Wohnung in Sicherheit gebracht, so Schwan. Aber was wäre gewesen, wenn er nicht auf den Balkon gekonnt und auf sich aufmerksam hätte machen können? Das fragt er sich. „Wo waren denn die Notfallpläne für Menschen mit Handicap? Wieso ist die Feuerwehr nicht von Wohnung zu Wohnung gezogen und hat nachgeschaut, ob da noch jemand ist?“, will er wissen.

Bürgermeisterin will nach Lösungen suchen

Auf Anfrage dieser Zeitung teilt Bürgermeisterin Anne Horst mit, dass sie prüfen wolle, ob es eine kreisweite Vorgehensweise in diesen Fällen gebe. „Gibt es diese nicht, wird örtlich besprochen werden müssen, inwieweit dies kommunal vor Ort gehandhabt werden kann. Im Einzelfall, zum Beispiel bei einem Brand, kann dies über die Feuerwehr sichergestellt werden. Bei einem Großschadensereignis wie der Flut ist die Feuerwehr vor Ort mit solchen Maßnahmen überfordert“, so Bürgermeisterin Horst weiter. Da müsse nach weiteren, anderen Lösungen gesucht werden.

Hilfe gefunden

Als Mitarbeiterin der DRK-Lotsenstelle „Perspektiven nach der Flut“ möchte Myriam Kemp Horst-Martin Schwan unterstützen. Der Kontakt entstand durch diese Zeitung. In dieser Woche steht ein erstes persönliches Treffen bei Schwan zu Hause an. Der 74-Jährige ist sehr froh darüber.

Kemp hilft Flutbetroffenen dabei, Lösungen für ihre individuellen Bedarfe und Nöte zu finden. So hilft sie zum Beispiel beim Ausfüllen der Anträge und vermittelt psychologische Hilfe und Sachspenden. Ihre Sprechstunden sind montags (9 bis 12 Uhr) und mittwochs (13 bis 16 Uhr) im Mehrgenerationenhaus, Kommerner Straße 39, in Euskirchen. In Härtefällen besucht sie die Betroffenen auch vor Ort. Sie ist telefonisch unter Tel. 0 22 51/79 11 95 09 und per E-Mail zu erreichen. (smh)

hochwasserhilfe@drk-eu.de

Die Tage nach der Flut wurde Schwan im Versorgungsstützpunkt im Forum der Gesamtschule untergebracht, in einem Raum mit anderen Kranken, die auf Hilfe wie zum Beispiel Sauerstoffgeräte angewiesen gewesen seien, sagt er. „Dort ging das Chaos von vorne los.“ Zwar hätten sich die Helfer dort sehr bemüht, behindertengerecht sei vor allem aber die Essensversorgung mit Selbstbedienung außerhalb des Gebäudes nicht gewesen.

In die Gesamtschule gekommen war Schwan durch den Einsatz einer Passantin, die sich nach der Feuerwehr seinem Schicksal annahm. „Die hat mich mit ihrem privaten Auto dorthin gefahren, weil es keine Krankenwagen mehr gab. Ohne sie wäre ich da nie hingekommen. Wenn ich ihren Namen wüsste, würde ich mich so gerne noch bedanken“, sagt er.

Flut hat Trauma hinterlassen

Als die Evakuierung aufgehoben worden sei, sei er froh gewesen, bei Bekannten unterkommen zu können – so wie viele andere Betroffene. Dort wartete er darauf, dass es in seiner Wohnung wieder Strom, Wasser und eine Netzverbindung gibt.

„Wenn ich jetzt wieder am Esszimmertisch sitze und der Regen ans Fenster prasselt, kriege ich Schweißausbrüche“, berichtet er über das Trauma, das die Flut hinterlassen habe. Er ist froh, dass das Wasser doch nicht so hoch kam, dass auch seine Wohnung im ersten Stock überflutet wurde – auch wenn dafür nicht viel gefehlt hätte. Sein Hab und Gut im Keller, wie zum Beispiel Arbeitsmaterial von früher, habe er trotzdem verloren.

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Die Gemeinde Weilerswist habe ihm über die ersten Hürden nach der Flut hinweggeholfen. Mit den Anträgen, die er für die Wiederaufbauhilfe des Landes ausfüllen möchte, fühlt er sich aber überfordert. „Wenn ich nur zehn Minuten vor meinen Unterlagen sitze und mich geistig betätige, blockiert mein ganzer Körper. Ich brauche Unterstützung in diesen Dingen, am besten bei mir zu Hause“, sagt er und glaubt, dass es auch vielen anderen so geht.

Zwar habe er einen guten Freund und liebe Nachbarn, die ihn unterstützen, das sei aber keine Dauerlösung. Auch wenn er dafür sehr dankbar sei. „Man kann uns nicht behandeln wie Gesunde, die mobil sind. Mir bringen Anlaufstellen für Betroffene nichts, zu denen man hinfahren muss. Ich will ja niemandem zu nahe treten, aber Kranke und Menschen mit Handicap sollte man jetzt nicht vergessen“, so Schwans Appell.

Er glaubt, dass sich ein solches Flutereignis wiederholen könne.