In Weilerswist sind Ausschusssitzung und Kindersport nur durch einen Vorhang getrennt gewesen.
In der TurnhalleIn Weilerswist trifft Finanzpolitik auf Völkerball
Auf der einen Seite: Kinderlachen und Völkerball. Auf der anderen Seite: Verhandlungen über Gemeindefinanzen. Dazwischen: ein Trennvorhang aus Polyestergewebe. Mit dieser Situation mussten sich die Politiker des Hauptausschusses arrangieren – ernsthaft Politik zu machen, war da nicht einfach.
In der Aula der Gesamtschule sollte die Sitzung eigentlich stattfinden. Doch infolge einer Terminkollision mussten Politiker und Verwaltung kurzfristig umziehen – und zwar in die Turnhalle der Schule. Das ist grundsätzlich nichts Ungewöhnliches, schließlich fanden dort auch in der Vergangenheit schon Sitzungen statt. Jedoch wurde die Turnhalle in diesen Sitzungen nicht zeitgleich auch in ihrem eigentlichen Sinne genutzt. Während der Ausschuss auf der einen Seite der Halle über den Finanzstatus im zweiten Quartal informiert wurde („stellt sich im Wesentlichen plankonform dar“), klang das muntere Kinderspiel von der anderen Seite herüber.
Die Mikrofone fehlten in der Weilerswister Turnhalle
Obwohl die Ratsmitglieder in einer Hauruck-Aktion Tische und Stühle in einer kuscheligen, fast geschlossenen U-Konstellation eng aneinander bauten, war auf der linken Seite kaum etwas zu verstehen, wenn jemand auf der rechten Seite sprach. Denn: Mikrofone gab es nicht. „Bitte lauter sprechen“, hieß es immer wieder aus den Reihen der Ratsmitglieder. Was als höfliche Bitte begann, wurde bald ein enervierter Zuruf („Lauter!“) und endete als verzweifelte Feststellung („Das hat so keinen Sinn“).
Während die Kinder in der Sporthalle dazu übergegangen waren, sich – der Geräuschkulisse nach zu urteilen – im Mattenweitwurf und Medizinballdribbeln zu üben, gesellte sich zu all den akustischen Herausforderungen auch eine aufmerksamkeitsökonomische: Kleine Gruppen fröhlich gestimmter Menschen betraten die Halle, in der die Politiker zu tagen versuchten. Beschwingt und witzelnd liefen sie in die ernste Veranstaltung hinein und wählten einen Platz in der hinteren Zuschauerreihe – so schnell und betont unauffällig wie jemand, der sich seines Zuspätkommens bewusst ist.
Immer wieder verirrten sich Menschen in die Ausschusssitzung
Was dann passierte, folgte dem immergleichen Schema. Erstens: Angestrengtes Zuhören. Zweitens: Nervöses Rumrutschen auf den Stühlen und ungläubige Blicke auf die Bürgermeisterin. Drittens: Ein dreiminütiges, laut geflüstertes Gespräch. Viertens: Verschämtes Verlassen des Saals. „Wollen Sie zum Haupt- und Finanzausschuss? Da sind Sie nämlich“, fragte Bürgermeisterin Anna-Katharina Horst schließlich eine Gruppe. Sie wollten nicht.
Ein Zuschauer entschloss sich deswegen, die Türen zur öffentlichen Sitzung zu schließen. Ein anderer begann in alternierendem Rhythmus mit seinem Kugelschreiber zu klicken – die Klickfrequenz wurde zum Indikator seiner Verärgerung. „Klick, Pause, Pause, Klick“ machte der Kuli, als es um eine Auflistung der Investitionen in der mittelfristigen Finanzplanung ging.
Fehlende Ausbildungsplätze in der Verwaltung erhitzte die Gemüter
„Klickklick, Pause, Klickklick“, als Myriam Kemp (Die Grünen) vorschlug, das Fluthilfe-Geld, das noch im Topf ist, den Geschädigten zukommen zu lassen. Als diese Diskussion vertagt wurde, stand der Kugelschreiber still. „Klickklickklickklick“ machte das Schreibutensil, als sein Besitzer erfuhr, dass die Verwaltung seit zwei Jahren keine Ausbildungsplätze mehr anbietet. Die Gründe dafür seien die Corona-Pandemie und der demografische Wandel gewesen, so Beigeordneter Alexander Eskes. Der Druckknopf des Kugelschreibers stand nicht mehr still.
Am Ende der öffentlichen Sitzung merkte Michael Freiherr Spies von Büllesheim (CDU) an, die Bedingungen, unter denen die Sitzung stattgefunden habe, seien „suboptimal“ gewesen. Nur 50 Prozent vom Gesagtem habe er verstanden. Er verstehe nicht, warum die Sitzungen nicht wieder im dafür vorgesehenen Ratssaal stattfinden. Schließlich sei Corona vorbei und das Publikum in den allermeisten Sitzungen nicht so zahlreich, dass es eine Turnhalle brauche. Er und Hans-Josef Schumacher (CDU) verließen die Sitzung schließlich noch, bevor das Spiel der Kinder in der benachbarten Turnhalle zu einem Ende gekommen war.