Die Weilerswisterin Anna-Sophia Sahm hört als Regimentstochter der Ehrengarde Köln auf. Stattdessen strebt sie einen ungewöhnlichen Meisterberuf an.
Dach statt BühneRegimentstochter aus Weilerswist trägt nicht mehr die Farben der Kölner Ehrengarde
Elf plus eins – irgendwie lassen sich auch Abschiede jeck rechnen. Und fällt dieser auch noch so schwer. Nach zwölf Jahren hört Anna-Sophia Sahm auf. Nicht einfach so. Mit viel Spaß an d’r Freud. Und mit noch mehr Wehmut.
Die 33-jährige Weilerswisterin ist seit elf plus einem Jahr die Regimentstochter der Kölner Ehrengarde. Regimentstochter ist nichts anderes als das Funkemariechen. Das klingt aber eben nicht nach grün-gelbem Karneval. Den lebt und liebt Sahm nun schon seit mehr als drei Jahrzehnten.
Regimentstochter Wingenfeld die erste große Liebe von Anna-Sophia Sahm
In die Wiege gelegt bekommen hat sie das jecke Gen von ihren Eltern Anita Sahm und Hans Paffrath-Sahm, die nicht nur langjährige Mitglieder in der Weilerswister Karnevalsgesellschaft Blau-Gold waren, sondern im Falle von Papa Hans auch bei den Gelb-Grünen aus Kölle. „Wahrscheinlich war ich drei Jahre alt, als ich meine erste Ehrengarden-Uniform anhatte“, erinnert sich Anna-Sophia Sahm.
Ihr erstes großes Vorbild: Uta Wingenfeld, damalige Regimentstochter der Ehrengarde. „Sie kam sofort hinter dem lieben Gott für mich“, sagt Sahm augenzwinkernd. Da sie damals schon Ballettunterricht bei Doris Neff nahm, die heute ihr Studio nicht mehr in Weilerswist, sondern in Nettersheim hat, war der Weg zum Tanzen nicht mehr weit. „Das Tanzen war meine erste große Liebe“, sagt die Regimentstochter.
Doch wie wird man das eigentlich? In dem man sich in einem Casting über mehrere Runden durchsetzt. Als der Traditionsverein im Jahr 2001 eine neue „Marie“ suchte, war Sahm gar nicht mehr da. Sie tanzte für die Luftflotte durch die Säle und hatte über den jecken Funkenfunk von der Stellenausschreibung gehört.
„Wenn du es mit 21 Jahren nicht machst, wirst du zu alt sein“, habe man ihr damals gesagt. Wenn nicht jetzt, wann dann also. „Es war ein wenig wie bei einer Castingshow. „Ehrengarde’s Next Regimentstochter.“ Und Sahm setzte sich durch.
Ein Casting wie bei Germany`s next Topmodel
Nach mehreren Runden Vortanzen und zahlreichen Gespräche stand im Mai 2001 fest: Anna-Sophia Sahm tritt in die Fußstapfen ihres einst großen Vorbilds Wingenfeld und wird damit die neue Regimentstochter der Ehrengarde mit „dem Spinat und dem Ei“ – angelehnt an die Vereinsfarben.
Jetzt elf plus ein Jahr später kommt mit großen Tanzschritten der Aschermittwoch näher. „Jeder Saal, jede Sitzung, es ist das letzte Mal, und ich genieße das in vollen Zügen. Wenn man dann erleben darf, dass der komplette Gürzenich für einen aufsteht, da kommen mir die Tränen. Ich habe nicht nah am Wasser, sondern mitten im Wasser gebaut. Das möchte ich auch nicht verbergen müssen“, sagt die 33-Jährige, die auch im Gespräch mit dieser Zeitung immer wieder Tränen verdrücken muss.
Vor allem dann, wenn sie über ihren ehemaligen Tanzpartner Nico Kohr spricht. Fünf Jahre tanzten und erlebten sie gemeinsam den Kölner Karneval. „In dieser Zeit ist er mein bester Freund geworden“, sagt Sahm und kämpft mit den Emotionen. Ein Blick habe gereicht, und „jeder wusste, was Phase ist“.
Regimentstochter der Ehrengarde führt mit Tanzpartner eine fast richtige Beziehung
Als Tanzpaar führe man eine „echte Beziehung“, nur ohne das Körperliche. „Man muss sich riechen können, man muss zusammen lachen, weinen, streiten, einfach alles können. Das konnte ich mit Nico“, so Sahm. Als er dann in der Corona-Krieg-Session aus beruflichen Gründen seinen Rücktritt verkündete, platzte es auch aus Sahm heraus: „Dann höre ich auch auf.“
Diesen Entschluss revidierte die Regimentstochter. „Ich wollte mit beiden Füßen von der Bühne abtreten“, sagt sie. Was folgte, waren viele Herausforderungen. Schließlich gab es mit Davide Giangualano einen neuen Tanzoffizier. Und der musste nicht nur den Tanz der Ehrengarde lernen, sondern auch den Neuner-Tanz – ein Tanz mit allen neun Tanzpaaren der Kölner Traditionsvereine.
Und dann war da noch der Vorstandstanz. Ein besonderer Tanz, in dem die gelb-grünen Uniformen einem historischen Outfit weichen. Seit 1967 wird alle drei bis vier Jahre ein neuer Tanz zu einem bestimmten Thema gezeigt. In diesem Jahr fiel die Wahl auf den Musiker und Komponisten Günter Eilemann, der vor 100 Jahren in Köln geboren worden war.
Weilerswisterin freut sich auf den Rosenmontagszug in Köln
Nicht gerade eine leichte Aufgabe vor der letzten Session. Doch Sahm meisterte auch diese und ist nun endgültig auf der Zielgeraden ihres karnevalistischen Daseins angekommen. Der krönende Abschluss: der Rosenmontagszug in Köln. Bei dem wird die Regimentstochter auf dem Pferd mitreiten. „Ich finde das sehr gut. Pferd und Mensch sind bestens darauf vorbereitet“, sagt sie.
Auch der Zoch soll ein Moment werden, den sie aufsaugen will. Wie so viele, die die Session bereitgehalten hat. Und die zwölf Sessionen zuvor. „Wenn ich meine Oma im Publikum gesehen habe, war das immer etwas Besonderes“, sagt die Weilerswisterin, die nach eigenen Angaben etwa 90 Prozent ihrer Freizeit ins Hobby Karneval investiert hat.
Tanz fördert alte Erinnerungen bei Jecken ans Tageslicht
Den einen, alles überstrahlenden Moment gebe es vielleicht, aber neben ihrer Oma ist eine besondere Erinnerung haften geblieben. „Da gab es mal eine Seniorensitzung, wo mich eine alte Dame im Rollstuhl zu sich winkt und sagt: ,Ich habe mich gerade erinnert – ich habe früher auch mal getanzt’. Und dann kommt die Pflegerin zu mir und sagt, die Dame sei dement und wisse eigentlich gar nichts mehr. Das ist dann doch besonders“, so Sahm.
„Genauso, wenn Kinder mit großen Augen vor einem stehen, oder einfach im prunkvollem Gürzenich zu sein und sich dessen bewusst zu werden, dass das ein absolutes Privileg ist, was ich seit zwölf Jahren erleben darf. Und natürlich die Abende, wo man am nächsten Tag denkt: Das letzte Glas war schlecht.“ Doch langweilig wird der in wenigen Tagen Ex-Regimentstochter nicht.
Es gibt ja einen Grund, warum sie die gelb-grüne Uniform an den Nagel hängt. „Ich durfte zwölf Jahre meinen Traum leben. Jetzt ist es an der Zeit, dass die Kadetten ein Mädel in ihrem Alter bekommen. Für 17- oder 18-Jährige könnte ich ja fast die Mutti sein“, sagt Sahm: „Hinzu kommt, dass ich im Oktober hoffentlich meinen Dachdeckermeister in der Tasche habe. Dadurch wird es natürlich auch im Beruf hektischer. Wenn ich auf mein Herz hören würde, stünde ich wahrscheinlich die nächsten 20 Jahre noch auf der Bühne.“
Ein Tanzmariechen mit Höhenangst
„Ein Tanzpaar wäre für mich keine Option gewesen, weil ich Höhenangst habe. Das wäre mit den Hebefiguren schon schwierig geworden“, sagt Larissa Hutflies. Stattdessen war sie in den vergangenen Jahren als Solomariechen der Weyerer Blömche unterwegs.
Mit vier Jahren habe sie erstmals in einer Garde getanzt, zwei Jahre später erstmals als Solomariechen. „Meine Lieblingsauftritte waren immer das Heimspiel in Weyer und die Verbandsmeisterschaften“, sagt Hutflies, die am Ende der Session mit dem Tanzen aufhören wird. Den letzten Auftritt hat Hutflies sogar schon hinter sich: In der Sitzung in Weyer stand sie das letzte Mal als Solomariechen auf der Bühne.
Das Karriereende habe zwei Gründe: Zum einen sei es mittlerweile für sie zeitlich nur noch schwer zu stemmen. Zum anderen habe sie gemerkt, dass die Akrobatik in ihrem Tanz körperliche Spuren hinterlassen habe. „Ich wollte nicht still und leise während Corona aufhören. Mir hätte dann nach all den Jahren der Abschluss gefehlt“, berichtet die Eifelerin.
Jonah Kehren und Alexandra Berg stehen für die Prinzengarde Zülpich auf den Bühnen. „Wir haben einen neuen Tanz mit neuer Musik. Die Planung hat direkt im Frühjahr begonnen“, sagt Kehren. Zwischendrin hätten Corona-Erkrankungen sie zurückgeworfen, aber in ein großes Zeitproblem seien sie nicht gekommen. „Aktuell genießen wir aber jeden Auftritt, auch wenn wir bei den ersten Auftritten erst einmal wieder schauen mussten, wo wir stehen und was wir wie zu beachten haben“, so Kehren.
Bei den Blauen Funken in Zülpich stehen seit dieser Session Louisa Troescher und Tanzpartner Niko Papakostas auf der Bühne.
Bei der Prinzengarde Euskirchen sind es Lea Klose und Basti Guthausen, die in der zweiten richtigen Session zusammentanzen.
Und in Gemünd? Da bilden seit Jahren Anna Diederichs und Ceddie Heinrichs das sogenannte große Tanzpaar. „Corona und Flut haben schon ihre Spuren hinterlassen“, sagt Trainerin Maria Dreßen. Das Vereinsheim der KG wurde von der Flut komplett zerstört. Trainiert worden sei im Nachgang mitunter „in dem einen oder anderen Garten“, so Dreßen. Das große Tanzpaar habe im Bürgerhaus in Wolfgarten trainieren können. (tom)