Der neue Weilerswister Diakon steht auf harte Musik und die Bibel. Er findet, dass man Kontraste aushalten muss.
Kirche heuteWeilerswister Diakon liebt Wacken und die Bibel
Vor ein paar Wochen trank Jan Simons noch Dosenbier auf Wacken, dem berühmten Metal-Festival in Schleswig-Holstein. Heute kocht er Kaffee im Gemeindebüro in Weilerswist. Simons ist 30 Jahre alt und der neue Diakon der evangelischen Kirchengemeinden in Weilerswist und Euskirchen.
„Nach meinem Studium habe ich in der Altenhilfe gearbeitet“, sagt Simons. An vielen Tagen seien da sehr alte, wehmütige Lieder oder Schlager gelaufen. „Die Capri-Fischer kann ich auswendig“, sagt Simons und lacht. Als Kontrastprogramm schaltete er dann auf dem Nachhauseweg im Auto auf härtere Musik um: Mittelalter-Metal, Hardcore oder Melodic Death Metal, aber auch mal fröhliche kölsche Karnevalshits. „Das Harte tut auch ab und zu mal gut – so als Ausgleich“, sagt der Diakon.
Weilerswister Diakon staunte über die Blasphemie in Wacken
In Wacken gab es allerdings beinahe zu viel des Harten. Auf den Konzerten, die Jan Simons besuchte, trugen die Leute T-Shirts mit Aufdrucken wie „Odin statt Jesus“, oder „Jesus ist eine Pussy“. Der Sänger der Band „Behemoth“ habe zu Beginn seines Konzertes „Hail Satan“ gerufen, erzählt er. Da habe der Christ in ihm kurz gestaunt, irgendwie trotzig habe er das gefunden. Die Melodien gefielen ihm dann aber doch.
Der Kontrast zwischen der harten Musik, die er manchmal so gerne hört und seinem eigenen Christ-sein beschäftigt den 30-Jährigen immer wieder. Doch habe er einen Weg gefunden, damit umzugehen: „Ich reflektiere und grenze mich innerlich ab.“ Kontraste, so sagt er, müsse man manchmal aushalten: „Die Welt ist eben nicht schwarz-weiß.“
Kontraste müssen ausgehalten werden, findet Jan Simons
Auf dem Festival habe er, so Simons, mittags mit einem Menschen geredet, der die Bibel als Märchenbuch deklarierte, abends mit einem Gläubigen, der ein Kreuz trug. In der Kirche, wie er sie sehe, seien beide willkommen, der Freund und der Kritiker. Wie in dem Nirvana-Song „Come as you are“, sagt er und lacht. Und „Komm, wie du bist“ soll auch der Leitsatz für das Programm des neuen Weilerswister Diakons sein.
„Als neuer Diakon bin ich zuständig für die mittlere Generation, also die Menschen von etwa 25 bis 45“, sagt er. Das sei eine heterogene Gruppe. „Ich möchte die Leute in diesem Alter in den kommenden Monaten hier kennenlernen. Möchte erfahren, was sie beschäftigt, wie wir als Kirche für sie da sein können und was ihre Themen sind.“ Etwas weiß Simons über die mittlere Generation: Sie arbeitet und sie hat häufig Kinder. Er hat auch schon Ideen: ein Feierabendtreff für Erwachsene mit integrierter Kinderbetreuung. Oder vielleicht ein gemeinsames Vater-Kind-Zelten.
Nach dem Konfirmandenunterricht gehen junge Leute der Kirche verloren
Aber es ist nicht nur die mittlere Generation, um die Simons sich Gedanken macht. Vor allem die „Dazwischen-Gruppe“ wende der Kirche vermehrt den Rücken zu. Die „Dazwischen-Gruppe“, das sind Jugendliche und junge Erwachsene. Nach dem Konfirmandenunterricht gingen sie der Kirche häufig verloren. Zum Studieren oder zum Arbeiten brechen sie irgendwann auf und gehen dann auch der Gemeinde verloren. In Gesprächen erzählten die jungen Menschen ihm immer wieder, die Kirche biete ihnen nicht viel. „Für diese Leute braucht es Angebote“, sagt Simons. Und zwar direkt im Anschluss an den Konfirmandenunterricht. Denn danach seien sie kaum noch zu erreichen.
Simons versucht es trotzdem. Und zwar über die Sozialen Medien. Dafür macht er gerade Online-Kurse. Lernt, wie man ansprechende Newsletter versendet oder wie man einen ansprechenden Instagram-Post gestaltet. An Facebook hat er sich schon ausprobiert. Drei Gefällt-mir-Angaben hatte die Facebook-Seite seiner Gemeinde noch vor kurzem. „Jetzt hat sie zwölf.“ Er lacht. Das sei nicht viel, aber er tue, was er könne.
Diakon: Die Kirche braucht die Menschen ebenso wie die Menschen die Kirche
Denn für ihn steht fest: Die Kirche muss offen sein. Die Räume, die ihr zur Verfügung stehen, sollten genutzt werden. Und das nicht nur im übertragenen Sinne: Den Gemeinschaftsraum etwa – einen schönen, hellen Raum mit reichlich Platz – möchte Simons künftig mit Leben füllen. Dann witzelt er: Man könne Metal-Gottesdienste anbieten. Er lacht, aber man kann sehen, dass es in ihm arbeitet.
Simons glaubt aber nicht nur, dass die Kirche die Menschen dringend braucht. Er glaubt auch, dass die Menschen die Kirche brauchen. Denn die Welt sei kompliziert geworden. Darauf reagierten viele Menschen, indem sie sich die Welt in „gut“ und „böse“ einteilten. Tiefe Gräben und hohe Mauern zögen sich durch die Gesellschaft.
„Das wurde gerade in der Corona-Krise deutlich“, sagt er: „Da gingen die Leute plötzlich aufeinander los, und man wusste überhaupt nicht, wieso.“ Maskengegner seien plötzlich Maskenbefürwortern an die Gurgel gesprungen. „Und dann gipfelte das Ganze in einem Mord in einer Tankstelle in Idar-Oberstein“, sagt der 30-Jährige.
Simons glaubt nicht, dass ein bisschen Stoff im Gesicht das Problem war. Er glaubt, dass es die Wut und Verunsicherung schon vorher gegeben habe: „Deswegen möchte ich als Diakon anbieten, allen Menschen zuzuhören, auch denen, die wütend und verunsichert sind.“
Für ihn solle Kirche ein Forum bieten, in einer Gemeinschaft von Gläubigen über die Welt zu sprechen. Und zwar ganz so wie sie wirklich sei – mit ihren ungerechten Vorverurteilungen (er erzählt eine Anekdote über die Pharisäer), aber auch mit ihrer Vergebung (er erzählt eine Anekdote über Jesus). Und dazu gehöre eben auch, dass auf Konzerten Gläubige und Ungläubige zusammenkämen und der neue Diakon in Weilerswist auf harte Musik steht.