Neues Konzept in ZülpichKollektiv Lila Bunt übernimmt früheres Frauenbildungshaus
Zülpich-Lövenich – Von der Straße aus sieht es ganz unscheinbar aus: Nur eine Klingel und ein Kasten mit Flyern verraten, was sich hinter dem Holztor des ehemaligen Frauenbildungshauses verbirgt. Lila Bunt heißt die Bildungs- und Tagungseinrichtung in Lövenich. 2019 hat ein Kollektiv aus zehn Mitgliedern und weiteren Helfern das Haus übernommen. Es bietet hier nun queerfeministische Bildung an.
Queerfeministisch, das bedeute, sich nicht nur thematisch auf Frauen zu fokussieren, sondern auch auf Mitglieder der Flinta-Gemeinschaft (Frauen, lesbisch, intergeschlechtlich, nicht-binär, transgender, agender), erklärt Mitgründerin Meltem Acartürk. Deshalb heiße das Kollektiv auch Lila Bunt: Lila als Farbe des Feminismus und bunt als Zeichen, dass auch Menschen aus der queeren Gemeinschaft angesprochen werden sollen.
Betreuung bei Problemen mit mentaler Gesundheit
„Feministische Bildung, Praxis und Utopie“ ist das Motto von Lila Bunt. Das Programm umfasse etwa Kommunikationsseminare, feministische Jugendarbeit oder auch Betreuung bei Problemen mit der mentalen Gesundheit. Das Haus bietet zudem Jugendfreizeiten und Bildungsurlaube an und stellt Externen die Räumlichkeiten für deren eigene Seminare zur Verfügung.
Bildung und ganzheitliche Erholung verbinden soll dieser Ansatz, erklärt Acartürk. Das sei wichtig „vor allem für queere Menschen, die im Alltag oft unter Druck stehen, etwa sich outen zu müssen oder sich unangenehmen Nachfragen zu stellen“.
Erholung ohne Druck
So könnten sich die Gäste ohne den Druck struktureller Diskriminierung erholen. Es bedeute auch, dass alle Mitarbeitenden und Gäste für diese Themen sensibilisiert seien oder bei Bedarf von den Betreibern sensibilisiert würden. So möchten manche der Seminarteilnehmerinnen und Seminarteilnehmer oder Mitarbeitenden etwa nur mit bestimmten Pronomen angesprochen werden oder auch nur mit ihrem Vornamen. Das gilt etwa auch für Kerrin, eines der Mitglieder des Kollektivs. Kerrin definiert sich als nicht-binär. Das bedeute, sich mit keinem binären – also entweder männlichem oder weiblichem – Geschlecht zu identifizieren.
Die Idee sei den Gründungsmitgliedern gekommen, weil ihnen intersektionale feministische Inhalte in der Weiterbildung im Sozialsektor gefehlt hätten, erzählt Acartürk. Intersektionalität, das bezeichne die Auffassung, dass sich verschiedene strukturelle Diskriminierungsformen beeinflussten und verstärkten.
Einen Traum verwirklicht
Als sie vom Verkauf des Frauenbildungshauses gehört hätten, hätten sie beschlossen, in Lövenich einen Traum zu verwirklichen – obwohl sie alle aus Frankfurt kämen. Bereits zuvor kannten sich die Gründungsmitglieder, weil sie in ähnlichen Bereichen arbeiteten, wie die Soziologin und Psychologin Acartürk erzählt.
Untergebracht sind Gäste in den umgebauten Stallungen und der Scheune des ehemaligen Bauernhofs. Bilder mit feministischen Botschaften schmücken die Wände, die Räume sind nach Aktivistinnen benannt. Gekocht werde für gewöhnlich vegan, erzählt Acartürk, und in dem weitläufigen naturbelassenen Garten können Besucher am Lagerfeuer sitzen, eine Sauna sowie einen Meditationsraum nutzen.
„Das Gegenteil von chaotisch“
Eigenwillig, mögen manche sagen, doch Acartürk räumt mit Vorurteilen auf: „Wir haben hier ein Konzept, das sich auf die individuellen Bedürfnisse von Gästen und Menschen ausrichtet, die hier arbeiten. Und wir sind sehr, sehr gut organisiert. Wir sind das Gegenteil von chaotisch.“ Enge Absprachen seien Grundstein für die Zusammenarbeit. „Wir haben mehrere Meetings am Tag, um uns abzustimmen“, sagt sie weiter. Und so sagt Acartürk weiter: „Alle haben Verantwortung. Dadurch, dass es nicht die eine verantwortliche Person gibt, tragen alle die Entscheidungen mit.“
Auch die Geschichte des Hauses zu bewahren sei dem Kollektiv wichtig. „Wir wissen um dieses Erbe“, so Acartürk. „Das Frauenbildungshaus ist schon seit über vierzig Jahren hier in Lövenich und wurde von einer Gruppe Frauen gegründet, die dann den Ort als Bildungsort für Frauen eingerichtet haben.“ Neben einigen Renovierungen nach der Flut habe sich wenig an den Gebäuden geändert, berichtet Acartürk. Lediglich das Programm habe das Kollektiv angepasst und aktualisiert.
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Was sich die Beteiligten jetzt wünschen? Noch mehr queere Menschen mit ihrem Programm zu erreichen und die verbliebenen Flutschäden zu beseitigen, sagt Acartürk.