Rettung vor den MähernRehe entgehen in Zülpich qualvollem Tod
Zülpich – Es ist ein mühsamer Weg durch das hohe Gras auf der Fläche vor der Fabrik von Smurfit Kappa in Zülpich. Mehr als 20 Helfer sind gekommen, um nach Rehkitzen zu suchen. Denn in jedem Jahr werden Tausende von Jungtieren von den erbarmungslosen Kreiselmähern erfasst und getötet oder so schwer verletzt, dass sie nur noch erlöst werden können.
Der dichte Bewuchs lässt den Blick auf den Boden nicht zu. Ein Rehkitz könnte neben den Suchern liegen und trotzdem von den Halmen verdeckt werden. Die Spuren des Rehwildes sind schwer zu erkennen. Ein dunkler Streifen in dem Gras markiert den Wechsel, den die Tiere nehmen. Und immer wieder gibt es platt gedrückte Wannen, in denen ein Reh gelegen hat. Oder vielleicht das Kitz, das gesucht wird.
„Mehr als suchen kann man nicht“, sagt Andreas Goldau. Seit rund sechs Jahren ist er Jagdaufseher in dem Revier rund um Zülpich. Die Rehkitze vor dem Tod im Mähwerk zu bewahren, sieht er als einen selbstverständlichen Teil der Hege an. Seit er als Jäger in der Region aktiv ist, sucht er den Kontakt zu den Bauern in der Gegend. Immer wieder bittet er sie, ihm Bescheid zu geben, wenn sie ihre Wiesen mähen wollen, damit er vorher die Fläche mit seinem Hund abgehen kann. Doch da seine Möglichkeiten als Einzelkämpfer begrenzt sind, hat er in diesem Jahr Helfer gesucht.
Über Facebook hat er einen Aufruf gestartet, um Freiwillige zu finden, die ihm bei der Begehung der Wiesen helfen und so die Rehe schützen. Die Resonanz war überzeugend. 22 Personen haben sich an diesem Dienstagnachmittag versammelt, darunter viele Kinder.
„Wo das Gras wackelt, laufen die Kitze“
„Das ist eine Sache, über die man sich keine Gedanken macht“, sagt Anja Riekmeyer aus Nemmenich. Zum ersten Mal ist sie bei so einer Aktion dabei, Bezüge zur Jagd oder zur Landwirtschaft habe sie nicht. Mit der neunjährigen Amélie und der elfjährigen Maja ist sie gekommen. „Wir wollten sofort mitmachen, als wir gefragt wurden“, sagt Maja. „Das gehört mit zur Jagd, dass man darauf achtet, dass den Tieren nichts passiert“, sagt Joshua Haas. Er komme aus einer Jägerfamilie, erzählt er. Bei solchen Aktionen habe er schon mal mitgemacht.
„Wo das Gras wackelt, laufen die Kitze“, weist Goldau die Helfer ein. Wer ein Kitz finde, solle es auf keinen Fall anfassen, da es ansonsten nicht mehr von der Mutter angenommen werde. Es werde in einem Karton gesichert und nach dem Mähen wieder an dieselbe Stelle zurückgesetzt.
Unfallzahl
Belastbare Zahlen für Unfälle mit Rehkitzen bei der Mahd gebe es nicht, sagt Bernhard Rüb, Pressesprecher der Landwirtschaftskammer NRW. Der erste und beste Ansatz, um dies zu verhindern, sei die Zusammenarbeit zwischen Landwirten und Jägern. „Die wissen, wo die Rehe stehen“, so Rüb weiter.
Wildwarner, die an den Maschinen befestigt sind, helfen wenig: „Die Maschinen sind so groß und schnell, dass die Rehe nicht mehr fliehen können“, sagt er. Interessant sei dagegen der Einsatz von Drohnen. Damit könnten die Tiere geortet und durch Menschen aus der Wiese geholt werden. (sev)
Zuvor hat Daniel Wirtz seine Drohne über die Fläche fliegen lassen. Die Aufnahmen der Drohne werden auf das Handy des Helfers übertragen. „Vor 14 Tagen haben wir bei unserer ersten Suche in diesem Jahr mit der Drohne eine trächtige Ricke gefunden. Da war es noch zu früh für Kitze“, erzählt Goldau. Spuren kann Wirtz einige finden, doch Tiere sieht er auch aus der Vogelperspektive keine.
Mit einer Wärmebildkamera hätte er auch jetzt keine Chance, denn die Sonne hat das Gras aufgeheizt, sodass es genauso warm ist wie ein Rehkörper. „Das hat nur am frühen Morgen Sinn“, so Goldau. Rund 3000 Euro müssten für eine gute Drohne mit Wärmebildkamera investiert werden. Und da alle Bauern bei gutem Wetter gleichzeitig mähen wollen, wäre eine Kamera schon wieder zu wenig, sagt er: „Man kann nicht überall sein.“
Auch biete die Suche keine völlige Sicherheit, dass alle Kitze gefunden werden. Goldau berichtet, dass er einmal vor der Mähmaschine hergegangen sei und trotzdem ein Kitz ausgemäht worden sei. „Die Bäuerin war untröstlich“, erinnert er sich.
Lächelnd sieht Landwirt Guido Krudwig aus Sievernich zu, wie die Gruppe durch sein zukünftiges Ziegenfutter marschiert. „Lieber das Gras geknickt als ein totes Kitz“, sagt er pragmatisch. So eine Suche sei die beste Lösung für alle, stellt er fest, bevor er wieder auf seinen Traktor klettert.
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Nach zwei Gängen durch die Wiese sind die Mädchen ein wenig enttäuscht, denn keines der kleinen Wesen mit den riesigen dunklen Augen wurde gefunden. Doch das ist genau das Ergebnis, das Goldau am liebsten ist. „Wenn wir nichts finden, bin ich zufrieden“, sagte er. Dann hätten die Tiere, beunruhigt durch den Auftrieb an der Fläche, schon das Weite gesucht.