Düsseldorf – Während die Politik noch heftig über eine Anschlusslösung für das 9-Euro-Ticket streitet, das Ende des Monats ausläuft, treiben die Verkehrsbetriebe in Nordrhein-Westfalen ganz andere Sorgen um.
Bei einem Krisengipfel in Düsseldorf legten sie am Donnerstag für 2023 alarmierende Zahlen auf den Tisch. Es fehlen kurzfristig zwischen 500 und 600 Millionen Euro, um den öffentlichen Nahverkehr im bisherigen Umfang aufrechtzuerhalten.
Busse könnten auf dem Land noch seltener fahren
Die Verkehrsverbünde in NRW sind sich einig. Allein durch Fahrpreiserhöhungen lässt sich dieses Finanzloch nicht schließen. Deshalb warnen sie davor, dass ab Januar weniger Bahnen und Busse fahren könnten und auf dem Land die Reiseketten reißen. Wenn der Bus dort nur noch alle zwei Stunden fährt, könnten dadurch die wenigen ÖPNV-Nutzer auch noch gezwungen sein, auf das Auto umzusteigen.
Investitionen in neue Fahrzeuge und die Infrastruktur, die zu den langfristigen Ausgaben zählen und zum Teil durch Regionalisierungsmittel des Bundes finanziert werden, sind da noch nicht eingerechnet.
NVR-Chef Vogel: „2023 droht die finanzielle Kernschmelze"
„2023 droht die finanzielle Kernschmelze“, sagt Michael Vogel, Geschäftsführer des Nahverkehr Rheinland (NVR), dem Zusammenschluss des Verkehrsverbunds Rhein-Sieg und des Aachener Verkehrsverbunds. Und das, obwohl Bund und Land die Einnahmeausfälle durch die Corona-Pandemie und das 9-Euro-Ticket vollständig ausgeglichen haben.
Das Problem: Für 2023 ist bisher kein neuer Rettungsschirm in Sicht, doch die Kostenlawine rollt bereits. Die Verkehrsverbünde rechnen damit, dass Bahnen und Busse auch im kommenden Jahr wegen der Pandemie noch nicht wieder so stark genutzt werden wie das im Rekordjahr 2019 der Fall war.
Bis 2030 soll der Nahverkehr um 60 Prozent zunehmen
Hinzu kommen die explodierenden Energiepreise. Die Branche erwartet „erhebliche Steigerungen bei den Personalkosten“ und die Forderungen der Europäischen Union, bei den Bussen von Diesel auf alternative Antriebe wie Elektro oder Wasserstoff umzustellen. „Für diese Umrüstung gibt es zwar Geld vom Bund und Land, aber wir brauchen neue Werkstätten und müssen andere Betriebsabläufe organisieren. Das führt zu höheren Betriebskosten“, sagt Vogel.
Darüber hinaus wolle die neue schwarz-grüne Landesregierung bis 2030 das Angebot im öffentlichen Nahverkehr um 60 Prozent steigern. Der Nahverkehr Rheinland lässt gerade errechnen, was das kostet. „Wir werden für Betrieb und neue Fahrzeuge mindestens in einem niedrigen bis mittleren dreistelligen Millionenbetrag liegen werden“, so der NVR-Chef.
Und wer soll das bezahlen? Den Kommunen fehlt das Geld, die Fahrpreise lassen sich nicht unendlich erhöhen. „Das wird kein Kommunalpolitiker mitmachen, weil das niemand nachvollziehen kann“, sagt José Luis Castrillo, Vorstand des Verkehrsverbunds Rhein-Ruhr (VRR). „Der Bund hat in drei Monaten schließlich rund 2,5 Milliarden Euro für das 9-Euro-Ticket verausgabt.“
Das 9-Euro-Ticket hat aus Sicht der Verkehrsbranche auch eine fatale Wirkung, weil es bei den Menschen „die Tarifwahrnehmung zerstört hat“, sagt NVR-Chef Vogel. Der Umsatz des NVR sei von 60 Millionen Euro um Juni 2019 auf neun Millionen Euro in diesem Jahr eingebrochen. „Ich bin fassungslos über die Diskussion, ob man dieses Angebot weiterführen soll.“
Es fehlten Lösungsvorschläge für eine solide Finanzierung des Nahverkehrs, um ihn dauerhaft zu sichern und in die Modernisierung, den Ausbau der Infrastruktur und neue Fahrzeuge zu investieren, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung der Verkehrsunternehmen in NRW. "Damit in NRW auch weiterhin ein attraktiver Nahverkehr mit einem vollen Verkehrsangebot aufrechterhalten werden kann, benötigen die ÖPNV-Anbieter jetzt Verbindlichkeit", heißt es in einer gemeinsamen Erklärung.
KVB-Chefin: "Rettungsschirm ist nur ein Zwischenschritt"
Die Kölner Verkehrs-Betriebe schließen sich dieser Forderung an. "Wenn der ÖPNV seinen Beitrag zur Verkehrswende und damit zur Erreichung der Klimaziele leisten soll, dann kann seine Finanzierung nicht alleine eine kommunale Aufgabe sein. Denn dann geht es um ein volkswirtschaftliches Ziel. Die Nutzerfinanzierung des ÖPNV ist immer weniger auskömmlich, Bund und Länder müssen daher eine langfristige Finanzierung sicherstellen", sagt KVB-Chefin Stefanie Haaks.
Wenn das Angebot nicht nur erhalten, sondern ausgebaut werden solle - und "zwar nicht nachfrageorientiert, sondern so, dass es angebotsorientiert auf die Klimaziele einzahlt", könne ein Rettungsschirm nur ein Zwischenschritt sein. "Ich bin froh, dass wir hier in Köln die Unterstützung aller Verantwortlichen für eine nachhaltige Verkehrswende haben, aber bei der Finanzierung benötigen wir als Konzern und damit auch als Stadt Köln eine dauerhafte monetäre Unterstützung", so Haaks.