AboAbonnieren

NRW-Verkehrsminister im Interview„Das 9-Euro-Ticket darf keine Sommerparty bleiben“

Lesezeit 6 Minuten
Bahn Verkehr Reisende dpa

Reisende tummeln sich an einem Zug der Deutschen Bahn. (Symbolbild)

  1. Bahnen und Busse in NRW fahren an der Belastungsgrenze, sagt Oliver Krischer.
  2. Der grüne Verkehrsminister will dennoch mehr Menschen zum Umsteigen bewegen.
  3. Er fordert mehr Geld für den ÖPNV und will das Schnellbusnetz ausbauen.

Herr Krischer, alle reden über das 9-Euro-Ticket und die Frage, ob es über August hinaus verlängert oder ein vergleichbares Angebot geschaffen werden soll. Kann man diese Billigtickets bei der schlechten Infrastruktur in den Ballungsgebieten überhaupt guten Gewissens anbieten?

Krischer: Ich fahre regelmäßig mit der Bahn im Regional-Express 1 zwischen Aachen und Düsseldorf und weiß, wovon ich spreche. Es war auf der Schiene auch schon vor dem 9-Euro-Ticket teilweise ziemlich voll. Auf der anderen Seite ist das System aber auch nicht komplett zusammengebrochen, was viele vorhergesagt hatten.

Neuer Inhalt (3)

Oliver Krischer, NRW-Minister für Umwelt und Verkehr

Zu Beginn der Sommerferien wollten sicherlich alle das neue Angebot erstmal ausprobieren. Das hat sich im Laufe der Geltungszeit deutlich gelegt. Keine Frage: Das System ist an seiner Belastungsgrenze angekommen. Aber es funktioniert. Unter dem Strich ist die Bilanz positiv.

Finden Sie?

Ja. Es ist uns gelungen, ein unumstrittenes politisches Ziel der Bundes- und der Landesregierung umzusetzen, nämlich mehr Menschen zum Umsteigen auf den öffentlichen Verkehr zu bewegen. Nicht nur aus Gründen des Klimaschutzes. Da hat die FDP mit Bundesverkehrsminister Volker Wissing mal ein richtiges Konzept vorgeschlagen, von dem ich offen zugebe, dass ich skeptisch war, ob es funktionieren wird.

Ich war damals mit in der Verhandlungskommission - in meiner alten Funktion als parlamentarischer Staatssekretär bei Robert Habeck im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. Es erstaunt mich total, dass das 9-Euro-Ticket jetzt von Christian Lindner mit Begriffen wie „unfair“ und „Gratismentalität“ so herabgewürdigt wird. Diese Debatte finde ich sehr bedauerlich.

Fährt die Bahn also doch nicht auf der letzten Rille?

Richtig ist, dass wir an der Infrastruktur eine ganze Menge tun und die Kapazitäten ausbauen müssen. Das hat mit dem 9-Euro-Ticket gar nichts zu tun. Die Programme laufen, wir fangen zum Glück nicht bei null an. Der Bund hat signalisiert, die Regionalisierungsmittel zu erhöhen. Und wir haben versprochen: Für jeden zusätzlichen Euro des Bundes legt das Land noch einen drauf.

Aber Bundesverkehrsminister Volker Wissing hat doch angekündigt, dass es zunächst nicht mehr Geld gibt. Er wolle sich erstmal die Strukturen bei der Bahn ansehen, bevor er noch mehr Geld verbrennt.

Ich kann das nur mit Kopfschütteln zur Kenntnis nehmen. Im Koalitionsvertrag der Ampel in Berlin ist die Steigerung der Regionalisierungsmittel für den Nahverkehr in den Ländern fest vereinbart. Das entscheiden die Herren Wissing und Lindner nicht allein. Für die Strukturen bei der Deutschen Bahn trägt allein der Bund die Verantwortung. Das kann aber nicht bedeuten, dass man den Regionalverkehr weniger fördert, bis sich diese verbessert haben.

In welchem Zustand haben Sie das Verkehrsministerium bei Ihrer Amtsübernahme vorgefunden?

Wir fangen nicht bei null an. Seit mehreren Legislaturperioden hat NRW eine Priorität auf den öffentlichen Verkehr gelegt. Wir hatten aber auch großen Nachholbedarf. Es ist noch viel Luft nach oben, um mit NRW an die Spitze der Länder zu kommen.

Was heißt das?

Wir müssen in dieser Legislaturperiode das Schnellbusnetz erheblich ausbauen. So steht es im Koalitionsvertrag. Die Kritik der Menschen, die nicht in den großen Städten wohnen, ist ja berechtigt. Sie können nicht auf einen gut ausgebauten ÖPNV zurückgreifen. Auf dem Land sieht das Angebot viel schlechter aus. Gerade deshalb brauchen wir weiterhin ein günstiges Ticket. Es schafft Nachfrage. Das Schlimmste, was jetzt passieren kann, ist, dass gar nichts passiert. Dann hatten wir so eine Art Sommerparty mit dem 9-Euro-Ticket und danach sind die Tickets wegen der finanziellen Lage der Verkehrsunternehmen auf einmal deutlich teurer.

Reden wir über den schlechten Zustand der Straßen und Brücken, also über die Leverkusener Rheinbrücke und die gesperrte Rahmede-Talbrücke im Sauerland.

Die Sache ist eindeutig. Es kann in erster Linie nur um den Erhalt der Infrastruktur gehen. Da bin ich wirklich konservativ. Die Regel Erhalt vor Neubau ist keine Selbstverständlichkeit. Im Koalitionsvertrag der Vorgängerregierung aus CDU und FDP stand das nicht drin. Wir haben Dutzende von solchen Fällen wie Leverkusen und Rahmede. Wir kommen kaum hinterher, die Infrastruktur zu erhalten. Wir werden sicherlich die ein oder andere Straße neu bauen. Aber das wird die Ausnahme bleiben.

Das könnte Sie auch interessieren:

Hat die Tunnellösung für die A 1 in Leverkusen noch eine Chance?

Das entscheidet am Ende der Bund. Meine Wahrnehmung ist bisher, dass es dafür keine Unterstützung geben wird. Diese Lösung erscheint zu teuer. Ich habe mich in der Vergangenheit als Bundestagsabgeordneter mehrfach für den Tunnel eingesetzt, aber auch gemerkt, dass die Reserviertheit im Verkehrsministerium in Berlin groß war.

Und die neue Rheinbrücke im Kölner Süden?

Auch das muss der Bund klären. Über Bundesprojekte haben wir im Koalitionsvertrag mit der CDU im Land keine Aussagen getroffen. Dass die Grünen in Köln und Bonn das Projekt sehr kritisch sehen, ist bekannt. Bis eine neue Autobahnbrücke über den Rhein gebaut ist, sind wir alle 20 Jahre älter. Das wird kein aktuelles Verkehrsproblem lösen. Da sind wir wieder bei dem Punkt Erhalt vor Neubau.

Was hat Sie gereizt, nach nur einem halben Jahr als parlamentarischer Staatssekretär in Berlin wieder nach NRW zurückzukehren?

Das Angebot, im größten Bundesland eine Kombination aus Umwelt und Verkehr als Minister zu verantworten, bekommt man nicht jeden Tag.

Im Wahlprogramm der NRW-Grünen steht die Forderung nach einem Nachtflugverbot für Passagiermaschinen am Flughafen Köln/Bonn.

Die Aussage im Koalitionsvertrag mit der CDU dazu ist gar nicht so verschieden. Bis 2030 ist die aktuelle Nachtflugregelung aber festgeschrieben für Köln/Bonn. Ein Nachtflugverbot könnte bis dahin nur auf freiwilliger Basis umgesetzt werden. Wir werden mit den Flughafenbetreibern über diese Themen reden. Das gilt auch für Düsseldorf. Dort gibt es Wünsche zu Kapazitätserweiterungen. Man wird klären müssen, was eine solche Erweiterung für die Zeit nach der Corona-Pandemie und für den Klimaschutz bedeutet. Welche neuen Aspekte sind seit der Antragstellung hinzugekommen? Ist eine Erweiterung überhaupt noch erforderlich? Das sind aber alles keine Fragen, die heute oder morgen aktuell werden.

Was wollen Sie konkret nach den kommenden fünf Regierungsjahren erreicht haben?

Wenn ich in fünf Jahren 1000 Kilometer Radwege gebaut habe, wie wir es im Koalitionsvertrag vereinbart haben, bin ich glücklich. Es sollte ein günstiges Ticket für alle für NRW und den Bund geben und Züge sollten nur zu 100 Prozent gefüllt sein - und nicht zu 120, wie das heute manchmal der Fall ist. Ich will mehr Angebot schaffen, damit es auf dem Land einen annehmbaren öffentlichen Verkehr gibt und in den Städten keine überfüllten Busse und Bahnen mehr.