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Glücklich gleichberechtigtEine Patchworkfamilie, ein Hausmann und „die Bine“ macht Karriere

Lesezeit 7 Minuten
05.03.2025
Leverkusen:
Gleichstellung in der Beziehung. Wie klappt es bei Familie Neunzig/Drinhausen in Leverkusen? 
Sabine Neunzig und Harald Drinhausen erzählen
Foto: Martina Goyert

Harald Drinhausen hat in den Neunziger Jahren als Mechaniker in einer Werkstatt Teilzeit angemeldet, um sich um die Kinder zu kümmern. Seine Frau Sabine hat derweil ihre Karriere gestartet. „Sie können sich denken, wie man sich da den Mund zerrissen hat.“

Eine Beziehung auf Augenhöhe ist nicht selbstverständlich. Sabine Neunzig und Harald Drinhausen aus Leverkusen erzählen, wie es bei ihnen geklappt hat.

Wenn Harald Drinhausen gegen 13 Uhr seinen Schraubenschlüssel niederlegte, wähnten seine Arbeitskollegen ihn quasi schon beim Sonnenbad. „Viel Spaß am Baggerloch“, riefen sie ihm hinterher. An einen geruhsamen Feierabend verschwendete Drinhausen dabei zu diesem Zeitpunkt noch lange keinen Gedanken. In seinem Kopf stapelten sich diverse Tagespflichten: Kartoffeln schälen, Möhren schnippeln, Tisch decken, Wäsche waschen, Küche aufräumen, Hausaufgaben kontrollieren, aufgeschlagene Knie verarzten, Kindertränen trocknen, den Boden wischen, Ratschläge geben, vorlesen.

Wie Baggerloch fühlte sich das nicht an. Eher wie nervenaufreibendes Mikromanagement. In den schweißtreibenden Arbeitstag schlich sich zusätzlich das schlechte Gewissen. „Im Job habe ich zu rennen angefangen. Ich habe versucht, die Aufgaben, die ich vorher in acht Stunden erledigte, in fünfeinhalb zu schaffen“, sagt Drinhausen. Teilzeit-Mütter kennen diesen Druck seit jeher, viele Männer heutzutage auch. Aber Drinhausen erzählt von den 1990er Jahren. Er arbeitete in einer Werkstatt. Und er ist ein Mann. „Sie können sich denken, wie man sich da den Mund zerrissen hat.“

Der Start in die Beziehung war ein Desaster

Harald Drinhausen, 67, und Sabine Neunzig, 57, sitzen in ihrem Haus in Leverkusen. Durchs Fenster sieht man die ersten Krokusse aus dem Rasen sprießen, an der Scheibe klebt eine gebastelte Papierspinne – „vom Enkelkind“. Die riesige Musikbox im Wohnzimmer bietet Joe Cocker an, Bob Marleys „No woman, no cry“, aber auch Alexandra mit „Mein Freund der Baum“. Dass die beiden hier sitzen und von ihrem gleichberechtigten Liebesleben erzählen, ist keine Selbstverständlichkeit.

Dem ganz klassischen Pfad jedenfalls konnten sie nicht folgen, als sie sich vor dreißig Jahren kennenlernten. Sabine Neunzig war damals Chemielaborantin, 27, Harald Drinhausen Mechaniker, 37, – und verheiratet sowie Vater zweier kleiner Kinder. Der Start ein Desaster, man kann sich das denken. Selbstkasteiung, Trennung, Scheidung, das ganze Programm. Harald Drinhausen hatte sich schon in der Rolle des Wochenend-Vaters gesehen, aber es kam dann doch ganz anders. Die Kinder, damals sechs und acht, blieben letztlich bei Drinhausen und Neunzig. „Unsere Kinder“, sagt Sabine heute, wenn sie von Maike und Marius spricht, die mittlerweile jeweils selbst Eltern und längst ausgezogen sind.

Im Job habe ich zu rennen angefangen. Ich habe versucht, die Aufgaben, die ich vorher in acht Stunden erledigte, in fünfeinhalb zu schaffen
Harald Drinhausen

Aber zurück ins vergangene Jahrtausend: Zwei Trennungskinder, ein Vater mit einem riesigen schlechten Gewissen und „die Bine“, wie sie sich selbst den Kindern vorstellte, wollten also eine heile Familie aufbauen. „Es war sofort klar, dass ich mich um die Kinder kümmern werde“, sagt Drinhausen. „Wir haben keine Sekunde überlegt“, sagt Neunzig.

Die beiden ernten wenig Verständnis

Sie geht also weiter arbeiten, zahlt mit ihm das Haus ab. Er reduziert seine Stunden und schmeißt all das, was zu so einem Familienleben eben dazugehört. Verständnis ernten die beiden wenig. „Die Familie, die Freunde, da waren schon viele sehr skeptisch. Einige haben gar nicht mehr mit uns gesprochen. Andere zeigten sich hämisch, wenn wir zwischendurch verzweifelten. Wieder andere sagten, Harald würde mich arbeiten lassen und sich auf meine Kosten ein schönes Leben machen“, sagt Sabine Neunzig. „Das hat mich schon auch verletzt“, sagt Harald Drinhausen.

Ein Paar umarmt sich.

Sabine Neunzig und Harald Drinhausen in jungen Jahren.

Auch Sabine ist nicht immer begeistert, manchmal fegt er ihr nicht gründlich genug und „auch beim Thema Toilettenputzen sind wir uns nicht immer einig“, sagt sie und lacht. Das Mädchen und der Junge sind dankbar für das Nest, auch für den exotischen Vater, der so viel mehr Zeit hat als die Väter aller anderen Klassenkameraden. „Ich dachte immer: Was für ein Glück, dass ich sie so eng begleiten kann“, sagt Drinhausen.

Einerseits. Ein Spaziergang ist so ein Großziehen andererseits natürlich dennoch nicht. Und Drinhausen und Neunzig sind auch keine, die es sich leicht machen: „Wir haben immer Wert darauf gelegt, dass die Kinder mit uns über ihr Befinden sprechen. Wir haben dauernd nachgefragt. Wir haben immer zusammen an diesem Tisch gesessen. Und das war nicht immer schön“, sagt Sabine Neunzig. Aber der Weg geht natürlich dennoch weiter. Trotzige Schritte ins Dickicht, hinter dem, wie man allerdings erst heute weiß, sowas wie Glück verborgen liegt. Irgendwann kommt ihre Zeit. Neunzig drückt das heute so aus: „Wir bleiben übrig. Dieser Satz hat uns so viele Jahre zum Durchhalten bewogen.“

Anfangs verdient das Paar noch ähnlich viel Geld, obwohl Harald Drinhausen seine Stunden reduziert hat. „Aber irgendwann habe ich dann tatsächlich Karriere gemacht und richtig viel verdient“, sagt Neunzig und streicht sich lachend die dicken Locken aus dem Gesicht. Ihrem Harald war sie immer dankbar für die Stabilität. „Ich habe sie immer unterstützt in ihrem Weg weiterzukommen. Mach das doch! Das hab‘ ich immer gesagt“, sagt Drinhausen.

Sie reist, er hält ihr den Rücken frei

„Es heißt immer, hinter jedem erfolgreichen Mann steht eine starke Frau, die ihm den Rücken frei hält. Bei uns war das tatsächlich so. Nur eben umgekehrt“, sagt Neunzig. Viele Stufen nach oben, viele Reisen um die ganze Welt, viele Vorträge. „Als ich meine erste Rede auf Englisch halten musste, bin ich tagelang hinter dir und unseren Kindern hergerannt und habe euch gezwungen, mir beim Proben zuzuhören“, sagt Neunzig. Ihren Teil der Familien- und Hausarbeit hat Neunzig dennoch immer übernommen. „Ich hab am Feierabend auch Wäsche gewaschen. Wir haben so viele Ausflüge zusammen unternommen, ich hab mit den Kindern Hausaufgaben gemacht, ich stand unglaublich viel neben ihren Betten und hab vorgelesen. Ich habe das sehr genossen“, sagt Neunzig.

Alles Geld fließt auf ein gemeinsames Konto, überhaupt ist zunächst eh zu wenig davon da, um es auch noch durch zwei zu teilen. Die Ex-Frau muss ausbezahlt, der Kredit abbezahlt, das Dach neu gedeckt werden. Streit ums Geld habe es dennoch nie gegeben. Neid schon gar nicht. „Wenn sich heute jemand etwas kauft, das ihm Freude macht, dann freut sich der andere mit ihm“, sagt Neunzig. „Was soll ich da hin und her rechnen. Das ist doch mühsam“, sagt Drinhausen. So einfach ist das manchmal.

Kann ja sein, dass es manche lächerlich fanden, dass mein Mann quasi Hausmann war. Für mich war er immer auf Augenhöhe. Er war immer mein Fels in der Brandung
Sabine Neunzig

Und doch so schwer. „Schließlich“, sagt Drinhausen, „hat meine Frau für unser Modell auf eigene Kinder verzichtet. Das kann ich ihr gar nicht hoch genug anrechnen.“ Natürlich hätten sie dem Vierergespann noch ein weiteres kleines Rad hinzufügen können. Aber irgendwie spürten die beiden, dass sie dem komplexen Konstrukt dadurch vielleicht zu viel Risiko aufgebürdet hätten. „Was wäre gewesen? Ich hätte sicher ein oder zwei Jahre zu Hause bleiben wollen. Aber ich war ja mittlerweile die Hauptverdienerin. Wir haben das viel diskutiert. Aber am Ende erschien es uns richtig so“, sagt Neunzig. „Diese Entscheidung bereuen wir auch heute nicht.“

„Man sollte nicht gleich aufgeben, wenn es mal knirscht“

Kindersorgen, aber auch viel Lachen, eigene Verletzungen, die Sehnsucht nach dem Glück – all das sitzt hier in Leverkusen unsichtbar mit am Tisch. Materielles hat bei der Platzverteilung im Hause Drinhausen-Neunzig dagegen keinen zentralen Stuhl zugewiesen bekommen. Auch als die Kinder auszogen, hat Drinhausen seine Stundenzahl nicht wieder aufgestockt. „Warum auch? Damit wir abends beide erschöpft in der Ecke hängen?“, fragt Neunzig. Außerdem: Als die Kinder aus dem Gröbsten raus sind, erkrankt seine Mutter an Demenz. Und auch beim Kümmern um sie übernimmt Drinhausen eine große Rolle.

Wenn sich die beiden etwas wünschen könnten für kommende Generationen, dann wäre es dies: Eine Gesellschaft, die auch ihr Modell der vertauschten Rollen endlich als normal ansieht. Außerdem „gleiches Geld für gleiche Arbeit“ und grundsätzlich Vertrauen und respektvolles Miteinander. „Man sollte nicht gleich aufgeben, wenn es mal knirscht“, rät Neunzig. In Partnerschaften, aber auch in der Politik. „Wir wollen eine Gesellschaft, in der man sich wieder auf die sozialen Werte besinnt“, sagt Drinhausen. 

Für ihr eigenes Leben haben sich Drinhausen und Neunzig mit dem Wünschen meist gar nicht erst aufgehalten. Schon gar nicht mit Warten auf Veränderungen von außen. „Wir haben viel Glück gehabt. Aber wir haben immer auch einfach gemacht. Egal, was andere gesagt haben. Wir waren einfach mutig“, sagt Sabine Neunzig.

Und vielleicht hatte in all den Stunden des Ringens um die Gerechtigkeit in diesem Fall ja auch ganz banal die Liebe ihre Finger im Spiel. „Maus“ nennt Sabine ihren Ehemann noch heute, Harald lächelt warm, wenn sie spricht. Immer wieder finden sich ihre Hände. „Wir sind füreinander bestimmt, es war Schicksal“, sagt er. Und sie sagt: „Kann ja sein, dass es manche lächerlich fanden, dass mein Mann quasi Hausmann war. Für mich war er immer auf Augenhöhe. Er war immer mein Fels in der Brandung.“