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42. Leverkusener JazztageEin Abend zwischen Jazzrausch und Bowie-Bass-Apokalypse

Lesezeit 4 Minuten

Musikalischer Wahnsinn und Güte auf vielen Beinen: Die Jazzrausch Bigband zeigte dem Erholungshaus die Grenzen auf.

Leverkusen – Dass Beethoven, wie Bandleader Roman Sladek mit dem Trombone in der Hand sagt, zu seiner Zeit schon ein Freund von Techno-Jazz gewesen sei und sehr darunter gelitten habe, dass es noch keine Bands gegeben habe, die dieser absonderlichen Art von Musik frönten, ist natürlich eine haarsträubende Mär. Fast so haarsträubend wie die Idee anmutet, Techno und Jazz miteinander zu kombinieren.

Aber beides sagt schon alles aus über diese 15 Musiker und Musikerinnen, die die nächste Jazztage-Woche 2021 im Erholungshaus einläuten. Denn die Jazzrausch Bigband, angereist aus München, ist genau das: irgendwie haarsträubend. Und absonderlich. Und dabei umwerfend gut. Weil nämlich endlich einmal der – schöne – Wahnsinn Einzug hält in der Stadt und bei diesem Konzertreigen und imaginäre Schilder malt, auf denen steht: „Alles kann, nix muss. Und geht nicht? Gibt’s nicht!“

Soundteppich aus Beats

Der Soundteppich aus Boller-Beats wird ausgerollt, wird zum fliegenden Teppich und kracht beim Schweben überall so dermaßen gewaltig an, dass es so stark wackelt und vibriert wie wohl noch nie zuvor in diesem alten, ehrwürdigen Haus. Wäre Carl Duisberg nicht schon lange tot und an diesem Abend zugegen – er würde augenblicklich entweder ein zehn Jahre dauerndes Konzertverbot für die gute Stube der Bayer-Kultur aussprechen. Oder sich, angetrieben von diesen in üppige Electromusik gebetteten, noch üppigeren Bigband-Arrangements, in ein Paralleluniversum des Musik-Erlebens befördern lassen.

Aberwitzige Mixtur

Das, was die Jazzrausch Bigband auf der für sie im Grunde genommen viel zu klein bemessenen Bühne veranstaltet, gehört normalerweise in enge Clubs, aus denen man nach einer langen, durchtanzen Nacht wie in Trance völlig verschwitzt heraustorkelt. Oder auf große Technofestivalbühnen, vor denen um zwei in der Früh die Menschen zappelnd dem „Uffzuffzuffz“ huldigen.

Eine aberwitzige Mixtur aus Tomorrowland-Open-Air und Prime-Time-TV-Show-Intro. In ihren Songs geht es um das Rezitieren von Gedichten, um Künstliche Intelligenz – Kraftwerk lassen dezent grüßen – oder um das Streichquartett No. 14 von, eben, Beethoven, das plötzlich in die Zukunft gebeamt wird und einen in dieser gewagt-genialen Bearbeitung tatsächlich für den Bruchteil einer Sekunde die Mär des vor 251 Jahren geborenen, dem Techno-Jazz verfallenen Großmeisters glauben lässt.

Die Show gestohlen

Selbstredend, dass der wild tanzende Roman Sladek den Mund gleich noch voller nimmt und ankündigt, in Zukunft immer wieder und wieder herzukommen. Wer solch eine Musik spielt – mehrfach ausgezeichnet übrigens und von einer beeindruckenden Güte –, der hat Selbstbewusstsein bis zum Anschlag im Köcher. Und der schafft es mit der Leichtigkeit eines rein auf Physis ausgelegten Wucht-Beats, der Gehörgrenzen sprengt, gar Größen wie denen, die an diesem Jazztage-Abend folgen, so ein bisschen die Show zu stehlen.

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Was aber zweifelsohne auch daran liegt, dass es dieses Quartett aus Pianist Michael Wollny, Saxofonist Émile Parisien, Schlagzeuger Christian Lillinger und Bassist Tim Lefebvre dem Publikum im Saal nicht so leicht macht. Natürlich sind diese V ier Granden der Musik. Aber ihr gemeinsames Programm, das sie nur an ausgewählten Orten live präsentieren, ist schwere Kost und harter Tobak. Eine gut 80 Minuten lange, ununterbrochene Melange aus wenig greifbarer Musik und viel Sound-Experiment. Oftmals brutal arrangiert.

Lefebvre kratzt am Bass

Zunächst flirren Electro-Klänge aus den Lautsprechern. Langsam gesellt sich Parisiens Saxofon dazu. Lefebvre kratzt am Bass. Aber: Danach bricht sich die lautstarke Lust auf die völlige Improvisation Bahn. Keine Chance auf Songstrukturen, die zumindest rudimentär eine Melodie enthalten. Eher ein – wenn auch hoch ästhetischer – Helikopterabsturz mitten hinein in die Apokalypse.

Die Folge ist ein Hin- und Hergerissensein zwischen Verwirrung und Bewunderung. Denn dass mit dem heimlichen Chef der Band, Lefebvre, dort jener Mann steht, der unter anderem David Bowies geradezu außerirdisches Letztwerk „Black Star“ einspielte, spürt man jederzeit: Die Bühnenpräsenz ist enorm. Lefebvre ist ein menschlicher Monolith der düsteren Klänge, die zweifelsohne aufrütteln. Aber sie berühren nicht.Das ist Jazz. Aber eben kein: Jazzrausch.