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Autofreie Sonntage in LeverkusenDie Ölkrise machte 1973 die Isetta zur Pferdekutsche

Lesezeit 4 Minuten
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Die Ölkrise machte es möglich: Ein BMW mit einem PS. 

Leverkusen – Unsere Energieversorgung mit Gas und Öl ist nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine unsicherer denn je. Es werden wieder ein Tempolimit auf Autobahnen und autofreie Sonntage ins Spiel gebracht. 1973 fackelte die Politik nicht lange, zeigt ein Blick in Leverkusener Archiv.

In Leverkusen blieben die Autos stehen

Als 1973 das Öl so knapp wurde, dass es an Tankstellen nicht sicher unbeschränkte Mengen Kraftstoffe zu kaufen gab, dauerte es nicht lange, bis sich die Bundesregierung für autofreie Sonntage entschloss. Kanzler Willy Brandt und Wirtschaftsminister Hans Friderichs diskutierten mit dem Kabinett nur kurz und verfügten am 19. November 1973, dass es vier autofreie Sonntage geben werde. Der erste Tag ohne Autos kam keine Woche danach. Auch in Leverkusen ließ man die Autos stehen.

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Ein Spaziergang auf der Autobahn war natürlich trotz alledem verboten. 

Der „Leverkusener Anzeiger“ berichtete am Montag danach ganzseitig über den besonderen Tag: Die Taxis seien pausenlos im Einsatz gewesen, Busse am Sonntag voll, das Bild zeigt Pferde und viele Radfahrer auf der Straße.

Die Leverkusener hielten sich ans Verbot. Es drohten Strafen von 400 D-Mark. Das war mehr als Kleingeld. Weil nur wenige Autos unterwegs waren, wurde jeder kontrolliert, Der Autor schreibt: Der Fotograf Holger Schmitt vom „Leverkusener Anzeiger“ wurde dreimal angehalten und musste die Sondergenehmigung vorzeigen.

Nur sieben „Illegale“ erwischt

Nur ein einziger unberechtigter Autofahrer wurde in den ersten acht Stunden ertappt, am Ende des Tages waren sieben Illegale erwischt. Anscheinend genossen die Leverkusener den entschleunigten Tag. Viel mehr Leute als an normalen Sonntagen seien spazieren gegangen. Wegen der Ausstattung mit den roten Bayer-Werksrädern sei Leverkusen in Jahren vor und nach dem Krieg eine Stadt der Radfahrer gewesen, schreiben die Autoren in der Rückschau.

Am 25. November 1973 war es noch einmal so: Es gab freie Straßen und es kamen die Radler in Massen. Wo doch noch Platz war, da schlenderten Fußgänger über die Straßen. Offenbar hatten die Radhändler vorher gut verkauft: Bei ihnen gab es einen Boom, viele der Räder sollen auffällig neu ausgesehen haben. Glaubt man den Bildern, war eine beliebte Sonntagsbeschäftigung das Gucken auf die leere Autobahn von der Brücke.

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Leverkusener Anzeiger vom 26.11.1973: Pferde, Busse und Fahrräder waren die Verkehrsmittel der Wahl. 

Lediglich die „Wupper-Sieg“, Vorläuferin des heutigen Verkehrsunternehmens Wupsi, hatte die Zeichen der Zeit am ersten von vier autofreien Sonntagen noch nicht erkannt. Ihre Busse fuhren, doch in viel zu geringer Zahl, um dem Ansturm gerecht zu werden. Eine Woche später sollte es Zusatzwagen geben.

Mit dem Pferd zur Kneipe geritten

Gibt es Einschränkungen, kommen Ideen: Ein Burscheider Gastwirt ließ seine Gäste mit der Pferdekutsche von und zur Kneipe fahren, berichtete Redakteur Matthias Bauschen. Überhaupt Pferde: Der wilde Westen ließ grüßen. Vier Rheindorfer sollen nach Manfort zur Kneipe geritten sein, um dort Bier zu trinken.

Der Hingucker in Burscheid war eine BMW-Isetta ohne Frontscheibe, gezogen von einem Kaltblut, auf dem Kofferträger am Heck ein Ballen Heu.

„Herrlich ruhiger Sonntag“

Im Leverkusener Artikel wird folgendes Fazit gezogen: „Es war ein herrlich ruhiger Sonntag“. Eine Woche später, am 1. Dezember 1973, lag Schnee, laut „Leverkusener Anzeiger“ war es noch ruhiger, auch die „Kraftdroschken“ konnten wegen der Glätte nicht so schnell rasen wie beim ersten autofreien Sonntag.

Ölpreisschock 1973

Weil der Öl-Nachschub von der OPEC gedrosselt wurde, verhängte man 1973 bundesweit kurzerhand für vier Sonntage ein Fahrverbot für alle privaten kraftstoffbetriebenen Fahr- und Flugzeuge, auch Mopeds. Bei Zuwiderhandlung drohte 400 D-Mark Strafe. Sondergenehmigungen gab es: Bayer hatte 900 bis 1000 der Papiere für Werksangehörige ausgegeben, die nur mit dem Auto zur Arbeit kommen konnten. Viele nutzten die aber nicht und kamen anders zum Werk, wer Auto fuhr, wurde mit bösen Blicken bestraft. In Notsituationen war das Autofahren erlaubt, man musste das aber gut begründen können. Zusätzlich galt – auch in der Woche – ein zeitlich limitiertes Tempolimit von 100 auf Autobahnen und 80 auf Landstraßen. (rar)

An diesem Tag schaltete die Verwaltung sogar die Ampeln aus, das sollte zusätzlich Energie sparen. Allerdings erwies sich die Idee als teuer. Die Ampeln waren natürlich noch nicht zentral gesteuert; städtische Bedienstete mussten herumfahren und die Anlagen an jeder Kreuzung einzeln aus- und wieder anschalten. Fazit: Der Erste Advent 1973 war ein weiterer ruhiger Sonntag ohne besondere Vorkommnisse.

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Der nächste, der 8. Dezember, war der Zeitung schon kaum noch eine Erwähnung wert, außer eine Meldung: Am dritten autofreien Tag überprüfte die Polizei 561 Autofahrer in Leverkusen, davon neun ohne Genehmigung.

Übrigens durften auch Sportflieger am Kurtekotten nicht abheben. Selbst die Segelflieger blieben unten, denn die Seilwinde zum Starten benötigte Benzin. Als Fazit bleibt: Wenn es um das Auto geht, war man 1973 noch gelassener. Damals gab es zwar auch Diskussionen und Bedenken im Vorfeld, die vier Sonntage verliefen in der Rückschau aber sehr entspannt.