Persönliche Bilanz der ChefinEin Rundgang mit Vera Rottes durch die Bahnstadt Opladen
- Die Geschäftsführerin der Neuen Bahnstadt Opladen geht Ende des Monats in den Ruhestand.
- Zwölf Jahre lang hat sie an der Umgestaltung des Quartiers gearbeitet.
- Bei einem Spaziergang durch die Bahnstadt zieht sie Bilanz: Was ist gut gelaufen, was hätte sie sich anders gewünscht?
- Und was muss in der Bahnstadt in Zukunft noch passieren?
- Lesen Sie hier vom Rundgang mit Vera Rottes.
Leverkusen – Natürlich hätte sie manches gern anders gemacht. Aber im Leben geht es halt eher um das Machbare als das Wünschenswerte. Und das Ergebnis kann sich gleichwohl sehen lassen. Zwölf Jahre ihres Berufsleben hat Vera Rottes in dieses Projekt investiert, in die Neue Bahnstadt Opladen, das aktuell größte Städtebauprojekt Nordrhein-Westfalens. In diesen zwölf Jahren galt es, manches Problem zu lösen, Konflikte auszugleichen, Machbares auch zu tun. Die Geschäftsführerin der Neue Bahnstadt Opladen GmbH geht zum Monatsende in den Ruhestand.
Ihren Abschied begeht sie bereits seit dem Sommer, mal hier, mal dort und unter einhelligem Lob der Politik von allen Seiten.
Neues Leben und Arbeiten in alten Mauern – ein Sinnbild der Bahnstadt
Wir treffen uns an diesem Morgen zu einem Abschiedsspaziergang durch ihr Werk, das einmal als 2003 stillgelegtes Ausbesserungswerk der Bundesbahn Industriebrache war, das inzwischen ein Wohnviertel, ein Gewerbe- und Bürostandort ist, im kommenden Jahr Leverkusen zum Hochschulstandort werden lässt und Opladen umkrempelt. Im ehemaligen Magazin hat ihre Gesellschaft, die nbso, ihre Büros in einem Teil des Erdgeschosses. Ein modernisierter alter Funktionsbau – neues Leben und Arbeiten in alten Mauern, ein Sinnbild der Bahnstadt schon. Wie der Funkenturm nebenan, einst Wasserturm, heute Vereinsheim der Altstadtfunken, aber mit seinem kleinen Saalanbau und der Bar in Nicht-Corona-Zeit auch ein Partyraum fürs Viertel, die meiste Zeit ausgebucht. Und darüber hinaus die Landmarke der Bahnstadt schlechthin.
Der Regen macht gerade einmal Pause, Glück gehabt. Wir spazieren zum Kulturausbesserungswerk. Das alternative Kulturzentrum (KAW) gehört wie das benachbarte Haus der Jugend an der Kolberger Straße mit zur Bahnstadt und bekam Mittel aus der Städtebauförderung des Landes ab. Konflikte mit der Nachbarschaft in Sachen Lärmbelästigung wurden gelöst, inzwischen sei die Lage entspannt, berichtet Rottes. Der Ort strahle eine große Selbstbestimmtheit aus. Der große asphaltierte Platz zu der mit grell farbigen Bildern besprayten Wand ist eine einzige Asphaltfläche. Musste so sein, erklärt Rottes. So viele Stellplätze mussten für die Baugenehmigung des KAW nachgewiesen werden.
Das alte Bahndach des Opladender Bahnhof ist bewusst offen gelassen
Das Leben im Viertel spielt sich nicht nur auf der Straße ab, sondern auch schon mal im Hinterhof. Vera Rottes führt uns in den Innenhof des Wohnprojektes der Nutzergenossenschaft, die hier eine ganz eigene Wohn- und Eigentumsform begründet hat. Der begrünte Innenhof mit Spielplatz ist eine Art Freiluft-Wohnzimmer geworden. Ins Café „Hereinspaziert“ der Genossenschaft kommen auch gern die Nachbarn, ein Veedelstreff.
„Das werden wir noch umstellen“, deutet Vera Rottes auf eines der Schotterbeete um die Bäume in der Adam-Riese-Straße. Künftig gibt es Wildblumen statt Steinen, ein Umdenken hat eingesetzt. Es anders machen würde sie auch bei der Gestaltung des Spielplatzes im Grünen Kreuz mit den bunt bemalten Waggons der Spiel-Eisenbahn. Die werden in Abendstunden gern von nicht mehr so kleinen Kindern als Treffpunkt benutzt; zurückgelassenes Leergut belegt es. Hier, neben der Baustelle Hochschule, mangelt es eben noch an sozialer Kontrolle. Ein paar Hundert Meter entfernt unterm alten Bahnsteig-Dach des Opladener Bahnhofs ist das anders. Die Wohnhäuser sind näher, die Dachkonstruktion ist nach oben offen – bewusst kein trockenes Plätzchen. „Das habe ich den Nachbarn so versprechen müssen“, schmunzelt Rottes. Sie weiß, es funktioniert so.
„Ich hätte andere Wohnformen stärker berücksichtigt“
Anders gestaltet aus Sicht des Städtebaus hätte sie auch das große Gebiet mit Eigenheimen, die Bauträger Gernot Paeschke im nördlichen Teil der Bahnstadt errichtet hat. „Ich hätte andere Wohnformen stärker berücksichtigt, eine stärkere Durchmischung mit Mehrfamilienhäusern.“ Aber die Stadt selbst war in Geldnot und traute sich nicht, das Gebiet selbst zu erwerben, Paeschke war der einzige Interessent und zog die Sache durch. „Und das ist auch gut so, wir hätten sonst viele Jahre lang eine hässliche Industriebrache mit verseuchtem Boden dort gehabt.“ So wurde der Boden saniert, die Siedlung hochgezogen und schnell verkauft, eine Sache von Angebot und Nachfrage.
Im benachbarten, inzwischen entkernten Kesselhaus sollen die Hochbauarbeiten zum Jahreswechsel beginnen, die riesige Baugrube der Cube Factory ist ausgehoben. Corona hat zu ein paar Monaten Zeitverlust bei den meisten größeren Projekten geführt. Die Technische Hochschule soll zum Wintersemester 2021/22 den Betrieb aufnehmen, sie übernimmt die Gebäude Anfang 2021. „Leverkusen muss sich noch darauf einstellen, Hochschulstandort zu sein. Das ist nicht mit ein paar Gebäuden getan, auch das soziale Umfeld muss erschlossen werden, damit die Studierenden sich hier wohlfühlen.“ Sie denkt an Wohnungen, Jobs, Freizeitangebote sowie Willkommenskultur. Die Bahnstadtmanagerin mag am 31. Oktober ihren Job verlassen, weiter zu planen hat sie aber nicht aufgehört.
Das Sängerheim war Rottes Herzensangelegenheit
Sie lobt den Umbau des Ledigenwohnheims und die Bürobauten an der Werkstättenstraße. Dass das Sängerheim neben dem Plasser-Werk erhalten werden konnte, war ihr eine Herzensangelegenheit, „einfach um das Gelände als Treffpunkt für die Freizeit zu sichern“. Wichtig sei auch, das alsbald die Mehrfach-Sporthalle nahe der Bahngleise gebaut werde, damit auch die Vereine, der Stadthalle Opladen beraubt, wieder einen Treffpunkt mitten in der Stadt haben.
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Bedauerlich findet sie, dass nicht die komplette Bahnstadt als Tempo-30-Zone ausgewiesen worden ist. Die Straßenverkehrsbehörde verweist auf die Rechtslage: Das gehe nur, wenn es da einen Kindergarten, eine Schule oder Gefahrenstellen gebe. Also kein Tempo 30. „Ich hätte das ja einfach mal gemacht“, sagt Vera Rottes und zwinkert.
Vandalismus als Dauerproblem – „Eine Schande ist das!“
Richtig ärgerlich wird sie beim Anblick der Campusbrücke. An deren östlicher Rampe haben sich – wie an so vielen Stellen in der Stadt und der Region – die Bayer-04-Fans mit ihren unsäglichen Sprühaktionen in Rot-Schwarz verewigt. Auf einer „wirklich hochwertigen“ Naturstein-Wand. „Auf der Westseite haben sie an der Lärmschutzwand 38 frisch gesetzte Weinpflanzen herausgerissen, um sich mit Farbspray auszutoben. „Eine Schande ist das!“
Wie überhaupt der Vandalismus ein Dauerproblem sei, vor allem am Bahnhof, mit eingeschlagenen Scheiben und mutwilligen Beschädigungen an Aufzug und Rolltreppen. Sie hofft, dass sich dies einmal ändere, wenn erst das Bahnhofsquartier gebaut sei, mit zwei Rolltreppen und breiter Freitreppe von der Bahnhofsbrücke hinab zum Bruno-Wiefel-Platz. Aber auch das Vorhaben werde sich pandemie-bedingt verzögern.
Vera Rottes bleiben nur noch wenige Tage, ehe sie die Geschäftsführung an ihre erfahrenen Kollegen Alfonso Lopez de Quintana und Andreas Schönfeld abgibt. Aber der Terminkalender ist immer noch knallvoll. Vor allem um die Verlängerung des Tunnels von den Bahnsteigen des Bahnhofs zur Werkstättenstraße will sie noch kämpfen, der so wichtig ist, damit Studierende, die mit der Bahn kommen, einen schnelleren Weg zum Campus finden. Den will die Bahn nicht bauen, eine andere Finanzierung muss her. Ein Fall für ihre Nachfolger.