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Beschwerdechor LeverkusenAnklagen und Bekritteln in der City

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Ansingen gegen das Schlechte dieser Welt: Der Beschwerdechor beim Platzkonzert in der City.

Leverkusen – „Wir leben in Zeiten, in denen sich das Negative so unglaublich verdichtet“, findet Ulrike Schallenberg, „da ist es nur ein menschliches Bedürfnis, das alles irgendwie nach außen zu tragen.“

Dass aus alltäglichen Ärgernissen, politischen Unzulänglichkeiten oder Gesellschaftskritik Ohrwürmer werden können, habe sie auch nicht gedacht. Dann schloss sie sich dem 2013 gegründeten „Beschwerdechor Leverkusen“ an.

Eigene Texte und Kompositionen

Ob (Macht-)missbrauch der Kirche, europäische Migrationspolitik oder die Entwicklung der Medien – unter der Leitung von Michael Meierjohann knöpfen sich die rund 25 Sängerinnen und Sänger regelmäßig alle aktuell relevanten Themen vor. Getextet und komponiert wird selbst. „Da wirft jeder was von sich rein, jeder hat was zu beanstanden“, sagt Meierjohann.

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Die Musik sei wie ein Megafon für die meckernde Gruppe, mit dem sie sich all diese Themen von der Seele singen könne. Schallenberg verdeutlicht: „Die Menschen reden nicht so richtig miteinander über all das Unheil. Darüber gemeinsam zu singen, ist einfacher.“

Vorübergehende schmunzeln

Mit Paukenschlägen und einem aufs Pflaster geschmetterten Becken zieht der Chor am Samstagvormittag in der Wiesdorfer Fußgängerzone die Aufmerksamkeit vieler vorübergehenden Menschen auf sich. Die Passantinnen und Passanten bleiben stehen, um ein paar Zeilen zu lauschen, ehe sie schmunzelnd mit ihren Einkaufstüten weiterziehen – scheinbar können sich viele mit dem allgemeinen Unmut identifizieren, der hier auf die Straßen gemurrt wird.

Im neusten Stück „Couplet von der Erblast“ geht es um die Kirche. Die Beschwerdechor-Truppe steht also vielleicht gar nicht so zufällig direkt gegenüber des Herz-Jesu-Gotteshauses. „Spätantike Männerkreise konnten ohne Strafe töten; Zeugen und missbrauchte Frauen ihre Neigungen ausbauen; Missbrauch blieb so unentdeckt und Mädchen, Knaben sind verreckt“, hallt es. Die Tonalität dieses Couplets, eines scherzhaften Strophengedichtes also, ähnelt dabei ironischerweise etwas der eines klassischen Kirchenchores.

Anklagen anstatt Lösungen aufzeigen

Konstruktiv ist das ganze dabei nicht. Es wird vor allem reklamiert, angeklagt und herumgekrittelt. Lösungsvorschläge sind nicht zu vernehmen. Für den kürzlich aus der Kirche ausgetretenen Chorleiter ist das aber genau richtig so: „Die Kirche muss ihre Probleme schon selbst lösen. Wir können nur sagen, was wir Scheiße finden“, sagt er lapidar.

Obwohl in dem Chor Menschen mit ganz unterschiedlichen Kenntnissen zusammen singen, ist das Ergebnis musikalisch hochanspruchsvoll. Meierjohann gelingt es aus dem ganzen Tadel ein regelrechtes musikalisches Gesamtkunstwerk zu kreieren – eine komplett eigene, etwas ausgefallene, Klangwelt.

Der Chor probt jeden Montag um 19:30 Uhr im Kulturausbesserungswerk (KAW) und lädt immer herzlich dazu ein, auch ohne Vorkenntnisse bei der Probe mitzusingen.