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Chemie in LeverkusenGewaltige Mengen Industriewasser fließen täglich in den Rhein

Lesezeit 5 Minuten
Chempark Leverkusen Luftbild (1)

Luftbild des Chemparks in Leverkusen

Leverkusen – Im kollektiven Langzeitgedächtnis der Leverkusener stecken viele Geschichten, die von Umweltverschmutzung und dem meist achselzuckenden Umgang damit handeln: Von zerfressenen Nylonstrümpfen der Frauen ist die Rede, von schillernden Seen auf der Altlast, die noch Kippe genannt wurde, und von Flecken im Autolack, die vielleicht immer noch das größte Aufsehen verursachten.

Rohre, die aus dem Bayerwerk in den Rhein münden und aus denen grüne und rote Chemie-Brühe läuft, gehören ebenso dazu. Erst 1954 sei ein Abwasserlabor eingerichtet worden, schreibt der Lokalhistoriker Adolf Horst, der auch diesen Leverkusener Leitsatz überliefert: „So lange es beim Bayer stinkt, so lange wird auch noch Geld verdient.“

Heute stinkt es seltener

Es stinkt heute seltener und weniger stark, aber Rohrleitungen zwischen Chempark und Rhein gibt es nach wie vor, nur sieht man wenig bis nichts davon. Mehrere große Abwasserleitungen von Industrieanlagen münden unsichtbar im Rhein.

Von einer dieser Leitungen ist seit der verheerenden Explosion in der Sondermüllverbrennungsanlage von Currenta im Juli viel die Rede gewesen. Es ist der Auslass der Zentralen Kläranlage im so genannten „Entsorgungszentrum Bürrig“. Nach der Explosion am 27. Juli sind große Mengen Löschwasser über die Kläranlage im Entsorgungszentrum in den Rhein abgelassen worden. Darin enthalten waren enorm große Mengen des Insektengifts Clothianidin, im Abwasserstrom maß man das 100-fache der üblicherweise abgelassenen Mengen.

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Nur bei Niedrigwasser sichtbar: Ein Abflussrohr verschwindet im Rhein.

Für niederländische Wasserwerke war das ein Grund zur Sorge, das Landesumweltministerium, will „die Ursache und Herkunft weiter untersuchen“. Ein Currenta-Sprecher bewertet das in einer E-Mail so: „Sämtliche Überwachungswerte (im Rheinwasser) wurden verlässlich unterschritten.“ Currenta ist zudem inzwischen sicher, dass der Stoff aus dem havarierten Tank 6 stammt, er sei eine Nebenkomponente eines Flüssigabfalls „TI 435 Triazan“.

Man stünde staunend am Ufer des Rheins

Das besagte Rohr endet in einer Konstruktion irgendwo zwischen Autobahnbrücke und Wupper in der Strommitte. Könnte man es sehen, stünde man wahrscheinlich staunend am Ufer angesichts der Wassermassen, die da in den Rhein abgelassen werden: Das größte abgelassene Wasservolumen in diesem Jahr waren am 5. Januar 8920 Kubikmeter jede Stunde. Ein Vergleich: Mit dem Wasser, das da abläuft, könnte man stündlich mehr als drei 50-Meter lange Wettkampf-Schwimmbecken oder 100 Eisenbahn-Kesselwagen füllen. Laut Genehmigung geht aber noch mehr: maximal dürfen 12.000 Kubikmeter je Stunde abgelassen werden, das ist ein Viertel der Wassermenge, die die Wupper bei normalem Wasserstand führt.

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Das hohe Volumen kommt zustande, weil im Gemeinschaftsklärwerk nicht nur die hochgiftigen Industrieabwässer aus dem Chempark behandelt werden, sondern auch das kommunale Abwasser aus Leverkusen, Leichlingen und Burscheid, teilweise auch aus Solingen und Bergisch Gladbach.

Klar ist: Je mehr es regnet, je mehr chemisch unbelastetes Wasser also beigemischt wird, desto stärker wird auch das Abwasser von Currenta verdünnt. Denn die Höchstmengen der Giftstoffe im Abwasser werden nicht in absoluten Zahlen genehmigt, also etwa in Gramm pro Tag, sondern sie werden pro Liter genehmigt.

Die Zahlen sind öffentlich abrufbar

Diese Zahlen sind öffentlich. Volumen, Temperatur, die zulässigen und die tatsächlich gemessenen Schadstoffe je Liter werden für jede Einleitungsstelle auf einer Webseite des Landes NRW (www.elwasweb.nrw.de) in Tabellen aufgelistet – es ist eine Datenbank für Fachleute, die Bedienung ist für Neulinge kompliziert.

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Das Luftbild entstand vor der Explosion: Der Sondermüllofen (links) und die Kläranlage im Entsorgungszentrum.

Das Abwasser aus den Städten mache mit gut zwei Drittel den Hauptteil des im Entsorgungszentrums behandelten Abwassers aus, heißt es vom Wupperverband. Der Chempark-Anteil von 30 Prozent fließt durch ein 1,40 Meter dickes Rohr aus glasfaserverstärktem Kunststoff durch den Stollen „Gisela“ quer durch Wiesdorf in die Becken und die großen blauen Reaktionsbehälter. Bis zu 15.000 Kubikmeter meist sehr saures Abwasser können dort in der Stunde fließen.

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Die Kläranlage von Currenta.

Für die Analysen der Konzentrationen von über 300 Stoffen, Metallspuren und Chemikalien ist das Landesamt für Natur und Umweltschutz verantwortlich, das laut Bezirksregierung unangekündigt zu Currenta kommt und Proben nimmt. Nicht täglich und auch nicht zwingend in jedem Monat: Für 2020 listet das Portal „Elwas-Web" 14 Besuche der Prüfer bei Currenta auf. 2021 waren sie 35 Mal zu Besuch – ein Effekt der Explosion.

Das Niedrigwasser 2018 ermöglichte ein Foto des Rohrs

Bezahlt werden die Analysen über Abwassergebühren, die jeder entrichten muss, der sein Abwasser direkt in Flüsse leitet, also auch der Wupperverband und Currenta.

Von einem anderen Abwasserrohr am Rhein gäbe es kein Foto, wenn es nicht das extreme Niedrigwasser 2018 gegeben hätte. Es mündet zwischen der Wacht am Rhein und dem Wiesdorfer Yachthafen in den Strom. Das Wasser kommt aus Manfort, in einer Leitung von Dynamit Nobel.

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Ein Abflussrohr in der Aue am südlichen Rand des Chemparks.

Der Chemie-Spezialist pumpt laut Elwas-Web jede Stunde ungefähr 300 Kubikmeter Kühl-, Grund- und Regenwasser aus seinem Werk in Manfort quer durch Wiesdorf in den Rhein. Es wird etwa einmal im Monat chemisch geprüft. 2006 wurde das Rohr restauriert, damals sagte ein Sprecher, die Leitung sei alt, um die Wende zum 20. Jahrhundert von den Firmen Carbonit und Dynamit gelegt worden.

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Der Auslass von Dynamit Nobel war bei Niedrigwasser zu sehen.

Weiter südlich bestimmt der Chempark das Bild: Dort gibt es nur noch Abflüsse von Currenta. Der Wasserbedarf im ehemaligen Bayerwerk ist enorm. Laut Currenta-Webseite fördert das Unternehmen 20.000 Kubikmeter Wasser in der Minute aus Brunnen in Hitdorf und Flittard und direkt aus dem Rhein. Die genauen Zahlen gibt ein Sprecher bekannt: 2021 pumpte man jede Stunde13.200 Kubikmeter Frischwasser (2020: 13.800). Das ist mehr Wasser als etwa in der Dhünn bei normalem Wasserstand abfließt. Und fast alles muss zurück in den Rhein.

Kontrollen im Durchschnitt alle drei Monate

Aus drei Stollen und Rohren läuft das Wasser, nachdem es im Werk durch die Leitung zirkulierte, zwischen Flittard und Tor 8 am Chempark-Ufer in den Rhein, zum Teil fließen dort sogar noch größere Mengen als an der Kläranlage. Currenta schreibt: „Drei Auslässe sind zum Beispiel für Niederschlagswasser oder Kühlwasser vorgesehen, sogenanntes nicht behandlungsbedürftiges Wasser. Einer wird nicht dauerhaft, sondern nur zum Beispiel bei Starkregenereignissen oder Hochwasser, um in kurzer Zeit zusätzliches Wasser abführen zu können.“

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Im Durchschnitt fänden Kontrollen alle sechs Wochen statt, schreibt der Sprecher. Elwas-Web dokumentiert dagegen für einige Einleitungsstellen seltenere Kontrollen, zum Beispiel im Drei-Monats-Rhythmus.

»Was da fließt, weiß nur der liebe Gott«, titelte der Spiegel 1987, als ein Industrietaucher für Greenpeace am Leverkusener Abfluss Proben aus der braunen Brühe holte. Damals wie heute liegt die Verantwortung für Kontrollen bei den Behörden. Sie haben es in der Hand, dass auch nur das in den Rhein fließt, was reinfließen darf.