Nach Explosion in LeverkusenUmweltverband will Currenta verklagen
Leverkusen – Der eine oder andere Besucher harrte zwei Stunden stehend im Türrahmen aus: Als Experten vom BUND und von Greenpeace am Mittwochabend auf Einladung und mit Unterstützung der Klimaliste im nicht besonders großen Vortragssaal des Forums versuchten, ein bisschen Licht ins Dunkel der Vorgänge zu bringen, die am 27. Juli zur Bürriger Katastrophe geführt hatten, war das Interesse überaus groß.
Rund 70 Bürger hörten erst Angelika Horster, der Störfall-Expertin beim Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland, sowie dem im Widerstand gegen die Kohlenmonoxid-Pipeline von Bayer (heute Covestro) gestählten Dieter Donner und dem Greenpeace-Chemiker Manfred Santen zu. Danach beteiligten viele sich rege an der Diskussion und gaben auch ein paar der von Frank Pathe erwünschten „Handlungsanweisungen“. Der in der Klimaliste engagierte Umweltwissenschaftler wohnt nicht weit von Currentas Giftmüll-Verbrennungsanlage, hat also auch ein persönliches Interesse daran, die Ursachen, vor allem aber die Folgen der Havarie zu ergründen. Dabei gehe es ihm selbstverständlich nicht nur um ein aktuelles Garten-Problem: „Ich frage mich, ob ich meine Berlepsch essen möchte.“
Pathe beklagte, dass Currenta immer noch keine Aussagen zu entscheidenden Fragen mache. Transparenz werde in wichtigen Bereichen nur vorgetäuscht. So gebe es noch immer keine belastbaren Angaben zu den Stoffen, die vor mehr als sieben Wochen explodiert oder abgebrannt sind. Ebenso unklar sei in der Folge, welchen Stoffen die Bürger durch die Rußwolke und weiteren Fallout ausgesetzt waren.
Das könnte Sie auch interessieren:
Nicht eben vertrauensbildend seien in diesem Zusammenhang die unterschiedlichen Analyse-Ergebnisse von Greenpeace und dem Landesamt für Umweltschutz, Natur und Verbraucher. Manfred Santen, Chemiker bei den Umweltschutz-Aktivisten, betonte, dass „wir in der Hälfte unserer Proben Seveso-Gift gefunden haben“. Das Prüfungsprogramm des Lanuv nach der Chemiemüll-Explosion halte er für nicht ausreichend, die Behörde habe „insgesamt zu wenige Proben“ genommen. Den Ruß, der nach dem Brand in weitem Umkreis um die Bürriger Anlage auf den Boden regnete, „muss man absammeln“ , das steht für den Greenpeace-Mann fest, der sich seit drei Jahrzehnten mit Schadstoffen befasst.
Extrem beunruhigend findet Frank Pathe, dass Currenta aus seiner Sicht fest entschlossen ist, die in Teilen zerstörte Anlage – in ihr werden zu 70 Prozent Abfälle aus den Chemparks verbrannt und 30 Prozent fremder Giftmüll, der derzeit als ursächlich für die Katastrophe angesehen wird – in gleicher Weise wieder aufzubauen. Die ehemalige Bayer-Tochter setze offenkundig auf den Bestandsschutz und gehe davon aus, dass der Chemiemüll-Ofen ohne neues Genehmigungsverfahren wiederhergestellt werden kann.
Zu nah an Wohnhäusern
Das müsse man verhindern, so Dieter Donner vom BUND. Das sei möglich, indem man eine Klage gegen Currenta einreiche. Dann ständen die Chancen, ein Genehmigungsverfahren nach den heute geltenden Regeln zu erreichen, ziemlich gut. Das sieht auch Donners Mitstreiterin Horster so: „Unsere Erfahrung ist, dass eine neue Genehmigung her muss.“ Erst recht in diesem Fall: Schon bei der letzten Änderung der Betriebsgenehmigung sei aufgefallen, dass die Anlage zu nah an den Bürriger Wohnhäusern steht.
Und dann ist da ja auch noch die Sache mit der Hochspannungsleitung über dem Gelände: Sie war nach der Explosion zu Boden gefallen und hat die Löscharbeiten der beiden Feuerwehren rund zwei Stunden stark behindert. Der Techniker des Netzbetreibers, so Pathe, sei nach der Explosion nicht nach Bürrig durchgekommen: Nachdem die Polizei die Autobahnen gesperrt hatte, „stand der im Stau“. Auch das Stromkabel sei schon 2012 diskutiert worden. Weil es keine belastbaren Angaben über die Stoffe, ihre Zusammensetzung sowie deren Eigenschaften gibt, lasse sich über den Hergang nichts Genaues sagen.
Der Chemiker Walter Enßlin wagte am Mittwochabend dennoch eine „Fernanalyse“, in der zum Beispiel erklärt wird, wie der Tankwagen mit Heizöl direkt neben den Explosionsherd gekommen ist: Mit dem Öl sollte das Dimethyl-Thiophosphonat gekühlt werden, von dem sich rund sieben Kubikmeter in Tank 3 befanden. Ob das die richtige Methode war, den seit Stunden registrierten Anstieg von Druck und Temperatur in dem 50-Kubikmeter-Behälter zu bekämpfen, sei doch sehr zweifelhaft. Überhaupt, die Mengen mit denen Currenta in seiner Anlage hantiert: „Ich kenne das so, dass man Sondermüll in 30-Liter-Fässern verbrennt“, so Manfred Santen. Und zwar ganz sauber getrennt.