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Leverkusener Amtsarzt„Wir müssen jetzt mit der Durchseuchung der Bevölkerung rechnen“

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Leverkusen Amtsarzt Martin Oehler

Martin Oehler, Leverkusener Amtsarzt

Leverkusen – Die Leverkusener Corona-Zahlen lassen aufschrecken: 334 neue Covid-19-Fälle im Stadtgebiet flossen am Freitag in die Statistik ein, die Inzidenz schnellt auf 697, zweithöchster Wert in NRW. „Die angekündigte fünfte Welle ist Realität geworden“, sagt Amtsarzt Dr. Martin Oehler angesichts dieser Leverkusener Rekordwerte: „Es ist eine ganz enorme Dynamik drin, die daraus resultiert, dass Omikron bis zu fünfmal infektiöser ist als Delta.“

Ein Lichtblick in schwieriger Zeit

Und doch – trotz dieser erschreckend steilen Kurve, die als Mauer in der Statistik aufragt – verbreitet der Amtsarzt am Freitag Optimismus: „Bis Mitte, Ende des Jahres haben wir die Chance, dass es trotz der fünften Welle ein besseres Jahr wird.“ Omikron sei zwar viel ansteckender, die sogenannte Pathogenität aber gleichfalls deutlich niedriger. Die Wahrscheinlichkeit also, dass sich Infektionen zu schweren Verläufen entwickeln, Intensivstationen überschwemmt und das Gesundheitssystem überlastet wird, ist erheblich geringer als bei Delta. Letztere Variante ist aktuell noch bestimmend in Leverkusen, laut Oehler waren in dieser Woche 39 Prozent der Infektionen auf Omikron zurückzuführen

Bei allem Optimismus ist diese Feststellung Oehlers, die sich mit globalem Expertenwissen deckt, bloß ein Lichtblick in schwieriger Zeit. Denn mit steigenden Zahlen – die dem Amtsarzt zufolge klar aus dem Privaten rund um die Feiertage kommen – müssen sich auch deutlich mehr Menschen in Quarantäne begeben, steigt die gesamtgesellschaftliche Belastung dieser Pandemie weiter an, sind Labore so stark überbelastet, dass die Ermittlung tagesaktueller Zahlen immer schlechter gelingt.

Die Instrumente fehlen

Um die Entwicklung zu stoppen oder immerhin zu bremsen, ist es wohl zu spät, sagt Oehler in anderen Worten: „Wir könnten das Geschehen ein Stück weit wieder einfangen, wenn wir noch wirksame Instrumente zur Verfügung hätten. Aber die haben wir nicht mehr.“ Damit meint der Mediziner vor allem strengere Quarantäneregeln, auch für Geimpfte, und eine für die Beendigung von Isolation verpflichtende PCR-Testung Covid-Erkrankter.

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Das alles bestehe nun nicht mehr und wäre wohl auch nicht umsetzbar, gibt sich Oehler zerknirscht. Insbesondere, dass sich Infizierte nun aber mit Schnelltests aus der Isolation entlassen können, macht Oehler zu schaffen: „Damit verlieren wir eine ungemein wichtige Barriere. Die Antigen-basierten Tests haben durch die Bank eine schlechte Sensitivität“, sagt Oehler: „So entlassen wir etliche Menschen in infektiösem Zustand wieder in die Gesellschaft.“

Impfkampagne gewinnt an Bedeutung

Aus all dem schließt Oehler drei Dinge: Erstens gewinnt die Impfkampagne weiter an Bedeutung. 50 Prozent der Leverkusenerinnen und Leverkusener seien inzwischen geboostert. „Das ist gut, aber immer noch nicht genug“, sagt Oehler. Zweitens: Die Eigenverantwortung der Menschen sei von zentraler Bedeutung für einen erfolgreichen Kampf gegen die fünfte Welle.

Drittens, und dieser Punkt wird selten so deutlich ausgesprochen wie am Freitag von Oehler: „Wir müssen jetzt mit einer beträchtlichen Durchseuchung der Bevölkerung rechnen.“ Keinen anderen Schluss lasse die geringe Impfquote in Verbindung mit der ansteckenden Omikron-Variante derzeit zu. Oehler nennt das die „natürliche Adaption an das Schweden-Modell“. Das Land hatte lange versucht, ohne strikte Regeln durch die Pandemie zu kommen, und setzte stattdessen auf natürliche Immunität nach Ansteckung des Großteils der Bevölkerung.

Luftfilter für Schulen sollen endlich geliefert werden

Nach bald zweijährigem Kampf gegen das Virus wiegt eine solche Aussage schwer. Positiv ist deshalb auch, dass die Schulen endlich Luftfilter-Anlagen erhalten sollen, wie Dezernent Marc Adomat nun ankündigte: Nach Lieferproblemen sollen in der kommenden Woche die ersten 60 von 644 Geräten in Leverkusen eintreffen. Die gleiche Zahl wöchentlicher Lieferungen soll es bis Mitte Februar geben, dann wird das Volumen verdoppelt, bis im Idealfall bis Mitte März alle Luftfilter in den Klassenräumen stehen.

Adomat berichtete auch von Infektionen in Leverkusener Schulen in der ersten Woche nach den Ferien: Stand Freitagmittag wurden 59 Kinder an Grundschulen positiv auf Covid-19 getestet, 52 in Gymnasien, 38 an Gesamtschulen und der Sekundarschule, 26 an Realschulen, 21 an Berufskollegs, zwölf an Hauptschulen und drei an Förderschulen. Insgesamt 75 dieser Fälle wurden bereits per PCR-Test bestätigt.

Viele Antikörper bei fehlerhaft Geimpften

Die am Montag bekannt gewordene Impfung bei 199 Personen mit zwei und vier Tage abgelaufenem Moderna-Impfstoff in den Luminaden nannte Amtsarzt Oehler derweil „ein bedauerliches Maleur“. Eine Fehleranalyse sei unternommen worden, klar sei allerdings auch: „Das sind alles nur Menschen. Kein Mensch ist fehlerfrei. Und die Wahrscheinlichkeit, dass solche Fehler wieder auftreten, soll minimiert werden.“

Zudem brachte Oehler positive Nachrichten in dieser Sache mit. Zehn Prozent der Betroffenen hätten bereits ermitteln lassen, wie hoch der Schutz vor dem Coronavirus ausgeprägt ist. Das Ergebnis, so Oehler: „Die Auswertungen zeigen bei allen Maximalwerte der Antikörperbildung.“