Alle Bilder in dem Buch sind aus Abdrücken von Kinderhänden gestaltet. Auch eine digitale Version ist vorhanden.
Inklusives MärchenbuchLeverkusenerin gewinnt Deutschen Lesepreis für inklusives Buch
Dass dieses Buch kein gewöhnliches ist, sieht man auf den ersten Blick. Der Hintergrund schwarz, die Schrift weiß, die Bilder aus Handabdrücken liebevoll gestaltet.
Wie besonders „einfach märchenhaft“ ist, zeigt sich auf den zweiten Blick. Im Buch verstecken sich QR-Codes. Wer diese über ein Smartphone aufruft, bekommt die Märchen nicht nur in einem Video von Anke Heitmann und Pfarrer Jürgen Dreyer vorgelesen. Sie werden auch in Gebärdensprache gezeigt – ebenfalls von einer jungen Frau aus den eigenen Reihen. „Ganz erstaunlich war, dass die Kinder irgendwann die Texte so gut konnten, dass sie sogar Fehler in der Gebärdesprache bemerkt haben“, berichtet Heitmann. Einmal habe ein Junge gerufen: „Sie hat sich versprochen!“ Da hatte die Gebärdendolmetscherin das Zeichen für Frau gemacht, anstatt für Fee.
Gemacht von Menschen mit und ohne Behinderungen, für Menschen mit und ohne Behinderungen – die Besonderheit dieses Buches hat jetzt auch die Stiftung Lesen gewürdigt und die Leverkusenerin Anke Heitmann und „einfach märchenhaft“ mit dem deutschen Lesepreis ausgezeichnet. „Kunst und Lesen verbindet Menschen. Das beweist das inklusive Märchenbuch „einfach märchenhaft“ mit Hörversion und Gebärdensprache. Erstellt von jungen Menschen mit und ohne Behinderung ermöglicht das Buch allen Kindern und Jugendlichen einen barrierefreien Zugang zu märchenhaften Geschichten“, heißt es in der Begründung der Jury.
Angefangen hat alles mit einer der Kreativ-Aktionen der Leverkusener Elterninitiative „Inklusion Hier & Jetzt“ . Im Jahr 2019 nahm der Verein sich das Thema Märchen vor, um es künstlerisch mit Handabdrücken umzusetzen. „Da haben wir gemerkt, dass man alle Märchen irgendwie kennt, aber oft nicht so richtig“, erzählt Anke Heitmeier. Als die Bilder fertig waren, fingen sie in ihrer zehn bis 15 Kinder und Jugendliche umfassenden Gruppe also an, die Geschichten umzuschreiben. In einfachere Sprache, ohne Nebensätze.
„Wir sind zuerst von den Bildern ausgegangen. Wir wollten die Geschichten nicht verändern, aber haben teilweise ein paar Anpassungen gemacht“, erklärt Heitmann. So spielt die Prinzessin im Froschkönig mit einem Ball, nicht mit einer Kugel. Und Aschenputtel erklärt dem Leser, dass der Prinz immer mit dem Pferd kommt, weil es damals noch keine Autos gab. Fragen, die Kinder sich stellen, ob nun mit oder ohne Beeinträchtigung. „Die Geschichten sollten aber genauso witzig und spannend bleiben.“ Und das sind sie.
Der gemeinnützige Verein „Inklusion hier und jetzt!“ ist 2016 aus einem Zusammenschluss von Eltern, Freunden und Verwandten von Kindern und Jugendlichen mit und ohne Behinderung entstanden. „Uns ist wichtig, die Kinder vor Ort zusammenzubringen und zu fördern, für ein selbstverständliches Miteinander“, sagt Heitmann. Neben regelmäßigen Aktionen und Spaziergängen steht die Kunst immer wieder im Mittelpunkt der Arbeit. „Die Kinder lieben es, mit Fingerabdrücken auf den ganz großen Pappen und Leinwänden Bilder entstehen zu lassen.“ Und das mit wunderbaren Details: So wird ein rot-weiß gestreifter Zeigefinger zur Zuckerstange, die sich um das Haus der Hexe in Hänsel und Gretel rankt.
Das Buch, das zum Preis von 34 Euro direkt über den Verein zu kaufen ist, wurde bereits zuvor mit dem WDR-Kinderrechtspreis ausgezeichnet. Aber der deutsche Lesepreis, „das ist schon etwas richtig Besonderes, weil es eine bundesweite Auszeichnung mit sehr viel starker Konkurrenz ist“, sagt Heitmann. Zur Preisverleihung nach Berlin ist sie persönlich angereist. „Das war ein tolles Erlebnis!“