„Entsetzliche Taten“Neun Jahre Haft für Täter im Leverkusener Missbrauchskomplex
Leverkusen – Es war ein ruhiges, sachliches Verfahren – mit einem emotionalen Ende. Der Leverkusener Roland W. wurde am Dienstagmittag am Landgericht Köln wegen mehrfachen schweren sexuellen Kindesmissbrauchs zu insgesamt neun Jahren Haft verurteilt. Der Vorsitzende Richter Christoph Kaufmann legte seine Urteilsbegründung für die Fälle und die verheerenden Folgen für die Opfer in einer aufwühlenden Ansprache an den Täter dar.
Roland W. verging sich an Mädchen aus der Nachbarschaft
2015 war Roland W. gemeinsam mit seiner Familie in das Wohnumfeld der Käthe-Kollwitz-Straße in Leverkusen-Steinbüchel gezogen. „Dort sind Sie als freundlicher und hilfsbereiter Nachbar in Erscheinung getreten“, so Kaufmann. Der Rheinländer war beliebt – auch bei den Kindern im Wohnblock. Ab etwa 2016 habe er diese Kontakte dazu genutzt, sich an jungen Mädchen zu vergehen. Nach einigen „Grooming“-Taten, in denen der Angeklagte ausprobierte, wie weit er mit den Kindern gehen kann, kam es in Folge zu zahlreichen Fällen von erzwungenem Oral- und auch Geschlechtsverkehr an sechs Mädchen im Alter zwischen sieben und 14 Jahren.
Richter regten weitere Ermittlungen an - „ein Alltag des Missbrauchs“
Anklage war zunächst „nur“ auf Grundlage der Aussagen zweier Opfer, Lisa und Mala (alle Namen geändert) erhoben worden. „Wir haben aber schnell gemerkt, dass da noch mehr ist“, sagte der Richter. Es wurden neue Ermittlungen angeregt – und vier weitere Opfer kamen zu Tage. Die Taten an ihnen wurden in Form einer Nachtragsanklage an das Verfahren angehängt. Richter Christoph Kaufmann schilderte die Geschehnisse als „fürchterliche sexuelle Übergriffe“ und „entsetzliche Taten“. Im Wohnumfeld in Steinbüchel habe „ein Alltag des Missbrauchs“ geherrscht. Eine Nebenkläger-Vertreterin gab gar an, in ihrer 30-jährigen Karriere noch nie einen so schlimmen Fall mitverfolgt zu haben. Laut Kaufmann machte Roland W. sich die prekären Verhältnisse der Opfer zunutze, einige der Mädchen sind körperlich beeinträchtigt, leiden unter ADHS oder einer Intelligenzminderung. „Die Verwundbarkeit der Opfer macht die Taten besonders verwerflich“, äußerte Kaufmann.
Folgen für die Opfer sind massiv
Der Richter nahm sich viel Zeit, um die verheerenden Wirkungen auf die Opfer zu schildern. Die Kinder seien „massiv traumatisiert“ und würden erst jetzt verstehen, was überhaupt mit ihnen gemacht worden sei. Dass der Angeklagte sich im Laufe des Verfahrens teils in lapidarem Ton über die Mädchen geäußert habe, sei für ihn „schwer zu ertragen gewesen“, so Kaufmann. Aber auch auf die Familie von Roland W. hätten die Taten einen großen Einfluss genommen: Seine jüngste Tochter musste stationär behandelt werden, seine Tochter aus erster Ehe wendete sich in ihrer Verzweiflung an den „Leverkusener Anzeiger“ (wir berichteten).
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„Wir wissen, dass es für Sie vielleicht schwierig ist, Reue zu zeigen“, sagte der Richter. Emotional angefasst habe sich der Angeklagte jedoch immer nur dann gezeigt, wenn es um seine eigene Situation oder die seiner Familie ging. Lediglich bei der Aussage des sichtlich erschütterten Vaters von Mala habe der Angeklagte durchblicken lassen, die Auswirkungen auf das Umfeld der Mädchen erkannt zu haben.
Geständnis sorgt für mildere Haftstrafe
Letztlich bewahrten sein fortgeschrittenes Alter von 64 Jahren, seine gesundheitlichen Einschränkungen und die damit einhergehende geminderte Lebenserwartung sowie die umfassenden Geständnisse Roland W. vor einer Haftstrafe in zweistelliger Höhe, wie die Staatsanwaltschaft sie gefordert hatte. „Die Beweislage war nicht einfach“, erklärte Kaufmann. „Ich weiß nicht, wo wir ohne Ihr Geständnis hingekommen wären.“ Zwar habe W. seine Taten anfänglich bestritten, sei dann letztlich aber weit über das hinaus gegangen, was in der Anklage stand. Damit wurde das oberste Ziel der Verhandlung erreicht: den betroffenen Mädchen einen Termin vor Gericht zu ersparen.
Christoph Kaufmann machte aber deutlich, dass das Strafmaß angesichts des Tatbildes „milde“ sei. Die Übergriffe auf das älteste Opfer, das zur Tatzeit 13 und schließlich 14 Jahre alt war, gelten als sexueller Missbrauch von Jugendlichen - das vorgesehene Strafmaß für solche Taten kritisierte der Richter und nannte es „zu niedrig“. Es sei dem Gericht also schlicht nicht möglich gewesen, dort eine höhere Strafe zu verhängen.
Pädophilie nicht eindeutig feststellbar
Eine Sicherungsverwahrung, für die der Bundesgerichtshof hohe Anforderungen stellt, wurde nicht angeordnet. Ein Gutachter hatte für Roland W. die Hypothese aufgestellt, dass er in seiner Kindheit womöglich selbst missbraucht worden sei. Eine eindeutige pädophile Neigung sei allerdings nicht zu erkennen. Vielmehr könnte es sein, dass der Angeklagte sich nach schwieriger gewordenen Lebensverhältnissen und einer nachlassenden Qualität im Sexualleben durch die Taten ein positives Selbstwertgefühl verschaffen wollte.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.