Explosion in LeverkusenÜber 34.000 Kubikmeter Löschwasser-Cocktail sind im Rhein
Leverkusen – Nach wie vor lässt Currenta „Ereigniswasser“ vom 27. Juli in den Rhein ab. Es sind Reste aus Tanks, in denen noch rund 1500 Kubikmeter eines Gemisches aus Lösch- und normalem Chempark-Abwasser gebunkert sind. Die Einleitung wurde am 1. Oktober genehmigt, schreibt die Bezirksregierung in ihrem jüngsten Bericht zur Havarie des Sondermüllofens in Bürrig. Bis jetzt seien 1120 Kubikmeter zunächst durch Aktivkohle-Filter in die Kläranlage und danach in den Rhein abgelassen worden.
Die Einleitung von „Ereigniswasser“ hat in Bürrig Besorgnis ausgelöst – weil sie erst durch die Medien bekannt wurde. Und das auch erst kurz vor Weihnachten, obwohl schon am Tag nach der Explosion und dem Großbrand rund 9500 Kubikmeter Wasser durch die Kläranlage in den Rhein abgelassen worden waren.
Currenta sah eine Notlage
Entschieden hat das auch nicht die Bezirksregierung, sondern Currenta. Diese Präzisierung macht die Aufsichtsbehörde in ihrem neuen Bericht, der am Mittwochabend Anlass zu vielen Nachfragen gab: Im Umweltausschuss des Landtags wurde nicht nur Umweltministerin Ursula Heinen-Esser rund eineinhalb Stunden lang „gegrillt“, sondern auch die Kölner Regierungspräsidenten Gisela Walsken und der Mann, der sich in der Aufsichtsbehörde am besten auskennt mit der Currenta-Anlage: Horst Büther, Leiter der Abteilung Umwelt und Arbeitsschutz an der Zeughausstraße.
Was mit dem „Ereigniswasser“ geschah
9500 Kubikmeter eines Gemisches aus Lösch- und normalen Industrieabwasser aus dem Chempark werden zwischen dem 28. und 30. Juli aus einem Stapeltank über das Klärwerk und eine Aktivkohle-Filterung in den Rhein abgelassen. Begründet wird das am Tag nach der Explosion mit einer Notlage: Um das Wasser abzufahren, hätte man mehr als 500 Tankwagen gebraucht. Currenta sieht die Einleitung angesichts eigener Wasserproben als unproblematisch an. Die Bezirksregierung erteilt die Erlaubnis. Das Lanuv kontrolliert auf Veranlassung der Bezirksregierung vom 28. Juli bis zum 6. August in Bürrig und an der Messstation Flehe. Vor allem Clothianidin wird in hohen, aber im Rhein dann nicht mehr problematischen Konzentrationen festgestellt: kein Rheinalarm.
Rund 7000 Kubikmeter aus der Spülung des unmittelbar nach der Explosion entleerten Stapeltanks 3 werden zwischen dem 20. und 22. August wiederum über die Kläranlage und nach Aktivkohle-Behandlung in den Rhein abgelassen.
15.000 Kubikmeter „Ereigniswasser“ werden zwischen 30. November und 22. Dezember gefiltert, von Currenta untersucht und über das Klärwerk in den Rhein geleitet.
1500 Kubikmeter aus weiteren Containern werden durch ein zweistufiges Aktivkohle-System geleitet und seit 1. Oktober abgelassen. Diese Aktion ist noch nicht beendet.
1300 Kubikmeter sind durch das fünf Monate unbemerkte Leck in einem Denitrifizierungstank des Klärwerks ohne Filterung in die Anlage und dann in den Rhein gelaufen. Am 23. Dezember wurde das bemerkt, am 27. Dezember sei das restliche Wasser umgepumpt worden, so die Bezirksregierung. Seit dem 28. Dezember sei der Ablauf des Klärwerks wieder täglich beprobt worden.
105 Tonnen Löschwasser konnten nicht durch Aktivkohle unschädlich gemacht werden. Sie wurden nach Angaben der Bezirksregierung in Currentas Dormagener Anlage für Chemiemüll verbrannt.
260 Tonnen Schrott wurden bisher aus der Bürriger Anlage gebracht. Sie wurden laut Bezirksregierung dekontaminiert und entsorgt. (tk)
Die Behörde ist unter Druck – der BUND hat sie wegen der Einleitungen des kontaminierten Wassers genauso angezeigt wie den Betreiber Currenta. Walsken ist darüber nicht amüsiert – das wird deutlich zu später Stunde in Düsseldorf. Und Büther wundert sich vernehmlich, dass die Löschwasser-Frage von den Anrainern auf einmal so wichtig genommen wird. Es sei doch gar nichts passiert, die Messwerte komplett unproblematisch.
Messwerte liegen auf dem Tisch
Die liegen seit Mittwoch erstmals barrierefrei vor: Die Behörde war so freundlich, sie aus dem Labyrinth der Gewässer-Datenbank Elwas herauszufiltern. Sie zeigen zwar vergleichsweise enorme Mengen des Insektengifts Clothianidin an: Im Jahresmittel werden 0,13 Mikrogramm pro Liter gefunden, in den Tagen nach der Explosion summiert sich das auf gut 780 Mikrogramm. Die Substanz ist nicht komplett verboten, im Freiland darf das Gift allerdings nicht mehr ausgebracht werden.
Die hohen, am Rhein-Auslauf des Klärwerks ermittelten Werte seien aber kein Problem: Das Landesamt für Agrar, Umwelt und Verbraucher jedenfalls fand an der Messstation Flehe, die in dem Düsseldorfer Stadtteil auf der rechten Rheinseite liegt, zwar noch Clothianidin. Aber nur 0,5 Mikrogramm pro Liter. Das liege unter der „Bestimmungsgrenze“, heißt es. Wo das Gift herkommt, ist allerdings auch ein halbes Jahr nach dem Unglück noch nicht klar. Aus dem Chempark wohl nicht; dort werde so etwas nicht produziert, schreibt die Bezirksregierung.
„Zaubermittel“ Aktivkohle
Büther erklärt die natürlich auch nicht von Currenta mitgeteilte erste Rhein-Einleitung zwischen dem 28. und 30. Juli als Mittel der „Gefahrenabwehr“. Er erinnert an das katastrophale Hochwasser keine zwei Wochen vor der Explosion, an den Regen. Deshalb habe Curentas Werkfeuerwehr Bedenken gehabt, dass vergiftetes Löschwasser ins benachbarte Klärwerk gerät und die Biologie dort kippen lässt. Da sei es besser gewesen, einen Tank kontrolliert ablaufen zu lassen: Aktivkohlefilter sollten gewährleisten, dass nichts passiert. Von dieser Art der Entgiftung ist im Umweltausschuss so oft die Rede, dass der Sprecher der Grünen, Norwich Rüße, die Behördenleute fragt: „Ist das für Sie eine Art Zaubermittel?“
Beinahe – so lassen sich die Antworten verstehen. Jedenfalls ist es die fehlende Filterung, die von der Bezirksregierung ihrerseits zum Anlass genommen wird, die Staatsanwaltschaft einzuschalten: Als Currenta ebenfalls kurz vor Weihnachten einräumt, dass 1300 Kubikmeter Löschwasser durch ein Leck – und damit unbemerkt und ohne Aktivkohle-Behandlung – erst ins Klärwerk und dann in den Rhein geflossen sind, ist es mit der Gelassenheit in der Aufsichtsbehörde erstmals vorbei.
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Sonderlich gelassen gibt sich die Umweltministerin nun auch nicht mehr. Sie muss im Ausschuss zugeben, dass sie bis kurz vor Weihnachten einem „Missverständnis“ aufgesessen ist und nicht wusste, dass sehr wohl „Ereigniswasser“ in den Rhein abgelassen wurde, und das mit dem Segen einer Behörde, von der sie immer wieder Berichte zur Lage am Katastrophen-Ofen bekommt. Ursula Heinen-Esser: „Ich ärgere mich schwarz.“