Die Verhandlung musste unterbrochen werden: Ein Zeuge erbrach sich vor Stress, als er im Gericht auf seinen Feind traf.
Gerichtsprozess im Clan-MilieuK.O.-Schlag auf Leverkusens Willy-Brandt-Ring
Die Geschichte schwelt anscheinend schon länger. Und Familienclans vom Balkan, die in Wiesdorf meist vereinfachend „albanische Mafia“ genannt werden, spielen darin offenbar eine Rolle, wie der Angeklagte im Opladener Amtsgericht sagt. Offenbar – weil die Protagonisten aus dem Milieu am Freitag wohl nicht alle Fakten auf den Tisch legen.
Angeklagt ist allerdings nicht der Smart-Fahrer, der bekommt bald sein eigenes Verfahren wegen eines gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr. Beide Autos stehen jetzt. Weil der Smart die Fahrertür des Passat versperrt, hastet Sedat S. über die Beifahrerseite nach draußen und trifft vor den Autos auf seinen Unfallgegner. Unmittelbar nach einem kurzen Wortwechsel schlägt Sedat S. den Smart-Fahrer Adrijan Z. (alle Namen geändert) mit einem einzigen Faustschlag auf dem Willy-Brandt-Ring K.O.
So gesehen könnte das fast Notwehr sein. Juristisch könnte für ihn allerdings teuer werden, dass mehrere Zeugen bestätigen, dass er im wahrsten Sinne nachgetreten haben soll. Er habe den am Boden liegenden Mann am Schlafittchen gepackt, dem kampfunfähigen Mann weitere Faustschläge verpasst – und Fußtritte. Ein Zeuge, der sich in unmittelbarer Nähe befand, will gesehen haben, dass der Angeklagte dem Smart-Fahrer gegen den Hals getreten haben soll. Der K.O.-Schläger streitet das vor Gericht ab: „Weil man sowas doch nicht macht!“
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Auf Höhe der Wiesdorfer Aral-Tankstelle wird er mit einem Smart gerammt
Aber für den Überfall und einen anschließenden kurzen Faustkampf, der sich am 26. März 2023 auf dem Willy-Brandt-Ring abgespielt hat, gibt es unabhängige Zeugen: Ein VW-Passat fährt in Richtung Autobahn. Darin sitzt der Angeklagte Sedat S. Er kommt aus Wiesdorf, ist Freigänger, muss zurück nach Attendorn ins Gefängnis, wo er noch eine Strafe absitzen muss. Schon auf der Carl-Duisberg-Straße sei ihm ein alter Feind in einem Smart aufgefallen, der ihm entgegenkam, sagt der Angeklagte. Er fügt hinzu, dass zwei der erwähnten Clans mit ihm noch eine Rechnung offen hätten. Auf Höhe der Aral-Tankstelle befindet sich der Smart neben ihm, in dem sitzt Adrijan Z. Der rammt den kleinen Wagen absichtlich in die Fahrertür. „Der ist extra reingefahren, hat massiv das Lenkrad rumgerissen“, sagt ein Zeuge, der im Auto dahinter gefahren war.
Auch der Smart-Fahrer ist als Zeuge geladen. Er taumelt schon beim Betreten des Saals. Ihm geht es nicht gut: In der ersten Minute seiner Aussage beginnt er zu würgen. Der Staatsanwalt reicht ihm eilig einen Papierkorb. Kurz fängt er sich, muss sich aber bald noch einmal erbrechen. Betroffenheit macht sich im Saal breit, angesichts dieser deutlichen Zeichen bei dem 40-jährigen Mann. Sein Anwalt sagt, das sei eine posttraumatische Belastungsstörung. Richter Dietmar Adam unterbricht für ein paar Tage. Dann sollen Wachleute für ein besseres Sicherheitsgefühl sorgen.
Dass sich der Angeklagte Sedat S. möglicherweise zu Recht verfolgt fühlt, erklärt er so: Er sei 2019 wegen der alten Rechnung Opfer eines Angriffs mit einer Machete in einem Schnellimbiss an der Breidenbachstraße in Wiesdorf geworden. Damals hatte es einen großen Polizeieinsatz gegeben. Sedat S. wurde von dem Macheten-Mann schwer verletzt, Sehnen der Hand wurden durchtrennt.
Schon damals habe man ihm nach dem Leben getrachtet. Bis heute solle er umgebracht werden, sagt er. Das lässt sich nicht überprüfen, aber man ahnt: Ein Leben im Milieu war und ist gefährlich. Der Prozess wird fortgesetzt.