Geschichte der WaldsiedlungKeine Wohngegend für „überempfindliche Großstadtmenschen“
- 1935 wurden die ersten Häuser gebaut, schnell mauserte sich das Viertel zu einer beliebten Wohngegend.
- Zu nationalsozialistischen Zeiten wurde mit einem „ganz anderen, positiven Verhältnis zum Boden, zur Heimat und schließlich zu Volk und Vaterland“ geworben.
- Auch nach dem Krieg galten die „Waldsiedler“ als etwas eigenbrötlerisch. Erfahren Sie bei uns mehr zur Historie der Waldsiedlung.
Leverkusen – Zum 85-jährigen Bestehen ist es einfach Zeit, findet Stadtführerin Angela Breitrück. Zeit, die Schlebuscher Waldsiedlung noch einmal neu kennenzulernen. Ab Herbst möchte die Waldsiedlerin daher die Leverkusener und ihre Gäste mitnehmen auf eine historische Spurensuche durch ihr Veedel. Denn dessen Geschichte ist durchaus spannend – ja, geradezu „gefährlich“. Zumindest wenn man der „Kölnischen Rundschau“ vom 4. Januar 1954 glaubt.
Entstanden ist die Waldsiedlung nämlich auf dem ehemaligen Gelände einer Sprengstofffabrik: Von 1887 an produzierte die Firma „Schmidt & Bichel“, ab 1890 als „Sprengstoff-AG Carbonit“, vor allem Wettersprengstoffe für den Untertagebau. Keine ganz ungefährliche Produktion: Wiederholt kam es zu teils schweren Explosionen, die immer wieder auch Menschenleben kosteten und weiträumig Schäden verursachten – und 1926 auch das Ende der Carbonit AG besiegelten.
Die starken Zerstörungen in Folge einer besonders schweren Detonation führten zu der Entscheidung, die Produktion in der ohnehin kaum noch rentablen Fabrik einzustellen. Im Stadtbild der Waldsiedlung hat die Carbonitfabrik kaum Spuren hinterlassen: Lediglich das alte Direktionsgebäude hat – mittlerweile unter Denkmalschutz stehend – an der Ecke Saarstraße/Mülheimer Straße die Zeiten überdauert und beherbergt heute das Dom Brauhaus.
Rund acht Jahre lag das Gelände brach, bis 1934 die „Allgemeine Häuserbau AG“ aus Berlin das Gelände erwarb, um für die stetig wachsende Stadt Leverkusen eine Wohnsiedlung zu errichten. Bei der es sich allerdings nie um eine klassische Arbeitersiedlung gehandelt habe, betont Angela Breitrück.
Zwar hieß es in einem Artikel im nationalsozialistischen Propagandablatt „Volksparole“ aus dem Januar 1935, dass die Siedlung für „Arbeiter und kleinere sowie mittlere Angestellte“ geplant worden sei. Die für die Häuser aufgerufenen Preise sprachen freilich schon damals eine andere Sprache: Zwischen 11 000 und 18 000 Reichsmark mussten für ein Eigenheim in der Waldsiedlung bezahlt werden. „Das war sicherlich noch erschwinglich – aber eben nicht für jeden,“ schmunzelt Angela Breitrück.
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Und so zogen vor allem leitende Angestellte, Beamte, aber auch der ein oder andere betuchte Kölner Pensionär in die Waldsiedlung. Die bekamen für ihr Geld durchaus etwas geboten: Drei bis fünf Zimmer, ein modernes Badezimmer mit Badewanne, eine vollständig eingerichtete Waschküche mit Kohlebefeuerung – und vor allem Grundstücke von bis zu 1200 Quadratmetern.Die regionale (Partei-)Presse zeigte sich begeistert und nutzte das Siedlungsprojekt propagandistisch, pries etwa den Effekt, den das Wohnen „in herrlicher Natur“ auf den Menschen habe – und dass dieser hier ein „ganz anderes, positives Verhältnis zum Boden, zur Heimat und schließlich zu Volk und Vaterland“ entwickeln könne. Keine „überempfindlichen“ Großstadtmenschen finde man hier, sondern „Volksgenossen […] mit festem Willen“ (Volksparole vom 22. Januar 1935).
Propaganda in der Waldsiedlung
Auch die Namen der ersten Straßenzüge transportierten propagandistische Inhalte: Die nationalsozialistischen Stadtoberen wählten Namen mit Bezug zum Saarland, welches 1935, dem Jahr der Erstbezüge, dem Deutschen Reich wieder angegliedert worden war. Noch bis 1942 wurde der Ausbau der tatsächlich stark nachgefragten Waldsiedlung vorangetrieben, es entstanden 600 Häuser. Dann beendete der Krieg die Planungen.1949 wurde der Ausbau der Waldsiedlung wieder aufgenommen – allerdings unter veränderten Vorzeichen. Statt nur auf Einfamilienhäuser zu setzen, öffnete man sich nun auch für eine dichtere Besiedlung: Häuser für bis zu vier Familien entstanden, gleichzeitig wurde die Infrastruktur aufgewertet.Neben einer katholischen und einer evangelischen Kirche erhielt die Siedlung, die ursprünglich als reines Wohnviertel geplant war, nun auch eine eigene Schule – die heutige GGS Waldschule -, verschiedene Nahversorger und auch das gastronomische Angebot weitete sich zunehmend aus.
Die „Kölnische Rundschau“ urteilte 1950, dass die Waldsiedlung nun endgültig auf „dem Wege zum eigenen Stadtteil“ sei. Und konstatierte: „Es sind keine »Schlebuscher« - hier wohnt ein besonderes Völkchen, das sich in dieser im Westen wohl einmaligen Gartenstadt für sich hält.“ Ein Vorwurf, den sich „die waldsiedlerischen Eigenbrötler“ – so der „Leverkusener Anzeiger“1977 – noch öfter gefallen lassen mussten. Und an dem vielleicht etwa dran ist, schmunzelt Angela Breitrück – zumindest unter den Alteingesessenen.
Die werden freilich weniger, nach einem ersten großen Umbruch um 1992 beobachtete die Stadtführerin in den vergangenen Jahren eine zunehmende Bewohnerfluktuation. Die will sie gar nicht negativ sehen, immerhin kommen auch viele junge Familien mit Kindern – und die bringen neues Leben. Wie viel Veränderung aber verträgt das Stadtbild der Waldsiedlung? Eine Frage, die bereits seit den 50er Jahren regelmäßig und lebhaft diskutiert wird.So riefen Bewohner etwa bereits 1956 in Leserbriefen und Rundschreiben dazu auf, für den Erhalt des traditionellen Baumbestandes Sorge zu tragen; später erhitzten die Fragen nach Mehrgeschossern, der Beseitigung von Altlasten im Boden oder der Fassadengestaltung die Gemüter. Wirklich „gefährlich“ ist das aber nicht mehr.