Der Stadtelternrat hat die Ergebnisse seiner Online-Befragung präsentiert: Einige Zahlen sind erschreckend.
Kitakrise in LeverkusenElternbefragung zeigt bedrückende Zahlen – viele Kinder leiden
Kein Kita-Platz, eingeschränkte Öffnungszeiten, häufige Schließtage – sind die Hilferufe von verzweifelten Eltern Einzelfälle, oder ist ganz Leverkusen betroffen? Das wollte der Stadtelternrat als Interessenvertretung aller Familien mit Kindern unter sechs Jahren wissen. „Leider haben die Träger und die Stadt das nicht erhoben“, sagt die Vorsitzende Anja Brandl. Deswegen hat der Stadtelternrat eigenständig Eltern zur Online-Umfrage aufgerufen. Die Erkenntnisse im Überblick.
Ist das Ergebnis aussagekräftig?
Rund 1300 Eltern haben den Online-Fragebogen beantwortet. Bei rund 6000 Kindern, die aktuell eine Kita besuchen – und deutlich mehr, die aktuell oder in naher Zukunft einen Platz suchen, ist die Zahl natürlich nicht im wissenschaftlichen Sinne repräsentativ. Außerdem ist davon auszugehen, dass an einer solchen freiwilligen Umfrage eher jene Eltern teilnehmen, die unzufrieden mit der Situation sind als jene, die keine Probleme mit der Betreuung haben. Allerdings ist die Stichprobe sehr ausgewogen: Es haben Eltern aus allen Stadtteilen, von allen in der Stadt vertretenden Kita-Trägern und mit Kindern aus allen Altersklassen von null bis sechs Jahre teilgenommen.
Wie ist die Stimmung bei Eltern, die einen Kita-Platz suchen?
Schlecht. Zum einen hat sich herumgesprochen, wie schwierig die Aufgabe ist: 49 Prozent der Eltern suchen ein Jahr langer oder länger nach einem Kita-Platz, obwohl sie im Planer registriert sind. 62 Prozent der Eltern, die bislang keinen Platz bekommen haben und die Möglichkeit hätten, einen Rechtsanspruch zu stellen, glauben nicht mehr daran, dass sie rechtzeitig einen Betreuungsplatz bekommen. Nur 14 Prozent davon haben überhaupt einen Rechtsanspruch gestellt. „Das hatten wir ein bisschen befürchtet, dass die allermeisten Eltern gar keinen Rechtsanspruch stellen“, resümiert Brandl. Entweder, weil sie über die Möglichkeit nicht ausreichend informiert sind, oder, weil sie ohnehin nicht an den Erfolg auf diesem Wege glauben. „Hier gibt es eine große Wissenslücke und viel Nachholbedarf“, sagt Brandl.
Und bei denen, die in einer Kita sind?
Gibt es mehrheitlich weiterhin Probleme mit der Kinderbetreuung: Von den bestehenden Kitakindern waren fast Zweidrittel in den drei Monaten vor der Umfrage von Schließungen oder eingeschränkten Betreuungszeiten betroffen. Mehr als ein Drittel davon gaben an, dass die Kita innerhalb der drei Monate sogar an mehr als sechs Tagen geschlossen war. „Das sind mindestens zwei Urlaubstage pro Monat, die Eltern aufbringen müssen, um die Kinder zu Hause zu betreuen“, rechnet Brandl vor. So kann der Jahresurlaub schnell aufgebraucht sein – ohne Ferien gemacht zu haben.
Ergeben sich Ansatzpunkt, um die Situation zu verbessern?
Abgesehen vom wichtigsten, aber schwierigen Wunsch, die Personalsituation zu entschärfen, hat der Stadtelternrat zwei wichtige Ansatzpunkte ausgemacht: Zum einen die Betreuungszeiten. Dreiviertel der befragten Eltern haben für ihr Kind einen Vollzeit-Betreuungsplatz von 45 Stunden, 16 Prozent haben einen 35-Stunden-Platz. Jedes Dritte der Kinder mit einem 45-Stunden-Platz geht aber nur für etwa 35 Stunden die Woche in die Kita. Auch die 35-Stunden-Plätze werden nur von Dreiviertel aller Kinder voll genutzt, der Rest gibt an, deutlich weniger Stunden in der Kita zu verbringen.
Woran liegt das?
Zum einen gibt es aktuell mehrheitlich 45-Stunden-Plätze und Eltern wählen diese, weil so ihre Chance auf einen Platz höher ist. Zum anderen wird die Stundenanzahl grundsätzlich für fünf Tage die Woche ab morgens um 7.30 Uhr gerechnet, ein 35-Stunden-Platz endet damit täglich um 14.30 Uhr. Eine flexiblere Aufteilung ist nicht möglich.
Stadtelternratsmitglied Johanna Kucza erklärt an ihrem persönlichen Beispiel, was das bedeutet: Sie hat zwei Kinder mit 45-Stunden-Verträgen in der Kita. „Ich blockiere 90 Betreuungsstunden, die eine Erzieherin für meine Kinder bereitstehen muss. Mir würden aber 35 Stunden pro Kind reichen. Aber ich kann sie an einem normalen Arbeitstag nicht um 14.30 Uhr abholen. Dienstags und freitags habe ich früher frei, da ginge das, aber das sieht das System nicht vor.“
Das System sei zu starr, wenn Eltern individueller die Betreuungszeiten planen könnten, würden viel mehr Kapazitäten frei werden. Das könne man natürlich keiner Kita-Leitung zumuten, das zu koordinieren. Aber eine gezieltere Bedarfsabfrage, Vertragsvergabe und moderne Technik in Form von Apps und Planungstools könnten hier eine deutliche Erleichterung verschaffen.
Und der zweite Ansatzpunkt?
Die Kommunikation. Auf die Frage: „Welche Schritte wurden von der Kita oder dem Träger unternommen, um die Reduzierung der Betreuungszeit zu vermeiden?“, antworteten fast die Hälfte der Betroffenen mit: Ich weiß es nicht. „Wir werden nicht mitgenommen“, resümiert Anja Brandl. Sie fragt sich, woran das liegt: „Sind die Leitungen so überlastet, können wir es irgendwie einfacher machen?“ Man könne den Eltern nicht vorwerfen, dass sie sich unsolidarisch verhalten, wenn man nicht mit ihnen spreche. „Es muss mehr Transparenz her, um auch nachvollziehen zu können, was der Träger unternimmt und woran es gerade scheitert“, fordert Brandl. Dann sei auch mit mehr Hilfsbereitschaft und Verständnis von Seiten der Eltern zu rechnen.
Und die Kinder?
Das ist vielleicht das traurigste Ergebnis der Umfrage: 42 Prozent aller Eltern von betroffenen Kindern geben an, dass ihre Kinder überhaupt nicht mit den ständigen Kürzungen und der wechselnden Betreuungssituation zurechtkommen. „Das ist ein fatales Ergebnis“, sagt Brandl. „Den größten Verzicht bringen unsere Kinder, die keine normale Betreuung kennen, erst Corona, jetzt der Personalmangel. Wenn frühkindliche Bildung fehlt und die Kitazeit von ständigen Beziehungsabbrüchen geprägt ist, haben wir ein riesiges Problem, wenn diese Kinder in die Schule kommen.“
Was sagt die Stadt dazu?
Der Stadtelternrat hat der Stadtverwaltung die Ergebnisse vergangenen Woche präsentiert. „Die Verwaltung hat die Ergebnisse der Online-Befragung des Stadtelternrates mit großem Interesse zur Kenntnis genommen“, sagt eine Stadtsprecherin auf Nachfrage. Um ein repräsentatives Meinungsbild zu konkreten Betreuungsbedarfen zu erhalten, werde das Dezernat für Bildung, Jugend und Sport nach den Sommerferien in Zusammenarbeit mit externen Fachbüros eine wissenschaftlich begleitete Befragung starten. „Das ist auch schon mal ein Erfolg, dass die Stadt jetzt selbst eine eigene Umfrage machen will“, sagt Johanna Kucza vom Stadtelternrat.