Über 2000 Menschen haben die katholische und evangelische Kirche in der Stadt verlassen. Ein evangelischer Pfarrer spricht über Rezepte gegen den Trend.
Neue Zahlen des AmtsgerichtsNie zuvor gab es so viele Kirchenaustritte in Leverkusen
Nie haben mehr Leverkusenerinnen und Leverkusener ihren Austritt aus der Kirche erklärt als 2022: 2047 Menschen verließen sie – 1321 die römisch-katholische, 726 die evangelische.
Der Anstieg ist bei der evangelischen Kirche besonders stark
Die Kirchen unterliegen in Leverkusen dem gleichen Trend wie in Köln, wo auch ein historischer Rekord erreicht wurde. Während es dort insgesamt knapp fünf Prozent mehr Austritte gab, steigen die Zahlen in Leverkusen stärker an. Gegenüber 2021, als 1745 Menschen die beiden großen Kirchen verlassen hatten, wuchs ihre Zahl um 17 Prozent. 1321 Ex-Katholiken im Jahr 2022 bedeuten ein Plus von elf Prozent gegenüber dem Vorjahr, 726 ehemalige Protestanten gar einen Anstieg um knapp 31 Prozent.
Angesprochen auf die Zahlen, sagt Siegfried Eckert, er spüre zweierlei: Eine Traurigkeit über das Schwächerwerden der Institution Kirche, „aber auch ein Verständnis für Menschen, die sagen, das bringt mir nichts“. Siegfried Eckert ist evangelischer Pfarrer und predigt seit Anfang Dezember in der Wiesdorfer Christuskirche. Gefragt nach einem Rezept gegen den Mitgliederschwund, bekennt er, gute Arbeit sei zumindest keines: „Mit engagierter Gemeindearbeit kann ich die Rutschbahn nicht aufhalten“, sagt Eckert.
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„Wir brauchen eine institutionelle Stärkung“, sagt der evangelische Pfarrer. Jeder Kindergarten, jedes Gemeindehaus, die geschlossen würden, seien Flurschäden für die Kirche, Berührungspunkte mit den Menschen gingen verloren. Aber genau das passiere. Zu viel Geld werde in die Organisation gesteckt, die Gemeindearbeit vor Ort leide hingegen. „Das Geld kam schon vor Jahren nicht mehr in den Gemeinden an“, ist Eckert überzeugt.
Pfarrer Siegfried Eckert: Für die Sache Jesu brennen
Die Landessynode habe beschlossen, in der rheinischen Kirche die Zahl der Pfarrstellen bis zum Jahr 2030 von 1850 auf 1000 zu reduzieren. Ein Fehler, findet der Geistliche: „Wenn ich Kirche platt mache, verunsichere ich die Menschen vor Ort. Sie fühlen sich heimatloser in dieser Welt.“ Das Wesentliche sei die Sache Jesu, „nahe bei den Menschen zu sein“, sagt Eckert. Sich selbst, den Nächsten und selbst den Feind zu lieben, werde heute dringender denn je gebraucht, das sei im wahrsten Sinne des Wortes – und er spricht den Bindestrich mit: „Not-wendig“. Für dieses Wesentliche müsse es Geld geben, nicht für die Organisation Kirche, diese müsse so schlank wie möglich gestaltet werden.
Was außerdem wichtig sei, um die Menschen zu begeistern: Glaubwürdigkeit und Spiritualität, zu brennen für die Sache Jesu, wann immer Menschen mit Kirche zu tun bekommen, bei Gottesdiensten, Beerdigungen, Taufen, im Konfirmationsunterricht.
Den höchst umstrittenen katholischen Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki – andere nennen ihn als erstes, wenn es um Kirchenaustritte geht – nennt Eckert erst auf Nachfrage. Demut und Glaubwürdigkeit seien für viele Menschen entscheidend bei der Frage, „will man in dem Verein dabei sein“, drückt er es aus. Die katholische Kirche habe viel zu lange versucht, die Institution Kirche zu schützen, anstatt für die Menschen da zu sein. Und leider sei es nun so, dass evangelisch und katholisch von vielen dann bei der Frage nach dem Austritt gar nicht mehr unterschieden werde. „Wenn Kirche in Glaubwürdigkeit beschädigt und erschüttert ist, ist sie gefährdet.“
Der neue Pfarrer in der Christuskirche, Siegfried Eckert, war schon als Pfarrer in Bonn bekannt für Jazz-Gottesdienste. Daran will er in Wiesdorf anknüpfen. Am Sonntag, 26. März, gibt es um 18 Uhr die erste Jazz-Vesper in der Christuskirche, Dönhoffstraße 2. Dazu hat Eckert das Marcus Schinkel Trio eingeladen – Jazzmusiker der „allerersten Liga“, sagt er. Marcus Schinkel hat zuletzt mit einem Crossover-Projekt für Aufmerksamkeit gesorgt, bei dem er die Musik Beethovens verjazzt hat. (hge)