Viele Jugendliche haben ein Drogenproblem mit Psychopharmaka, sagt eine Mutter, die ihren Sohn deshalb verloren hat.
Tod auf der A3Leverkusenerin glaubt nicht an Suizid ihres 21-jährigen Sohnes
„Junger Mann auf der A3 überfahren“, war die Überschrift über einer kleinen Meldung im „Leverkusener Anzeiger“ vom 27. März in diesem Frühling. Der Unfall geschah auf der A3 in Opladen zwischen der Brücke Reuschenberger Straße, wo es zum Tierheim geht, und der Brücke über der Wupper. Die Polizei hatte gemeldet, dass das Kriminalkommissariat elf (zuständig für Mord) die Ermittlungen in dem Fall aufgenommen habe – und dass man Hinweise auf einen Suizid prüfe.
Der junge Mann sei vom Betonschrammbord, dem Mittelstreifen, auf die Überholspur gesprungen und dann in einen Kleintransporter auf der mittleren Spur gelaufen, der mit Tempo 130 in Richtung Düsseldorf fuhr. Gibt die Polizei einen so deutlichen Hinweis, halten sich Zeitungen für gewöhnlich zurück, um Gefährdete nicht zu einer Nachahmung anzuregen. Der junge Mann, Luca Oggianu, war nur 21 Jahre alt.
Ganz genau weiß Nadine Oggianu auch nicht, was ihren Sohn dazu verleitet hat, am 24. März, Freitagabend, um kurz vor 23 Uhr über die Autobahn zu laufen. Aber sie ist sich sicher: „Ich weiß, dass er sich nicht umgebracht hat!“
Alles zum Thema Bundesautobahn 3
- A3 stundenlang gesperrt Schnee und Eis in NRW sorgen für Unfälle
- Schweinetransporte Mängel bei Kontrollen von Tiertransporten auf der A3 bei Lohmar festgestellt
- Unfall Cabrio kracht am Rastplatz Sülztal in Sattelschlepper – A3 Richtung Köln wieder frei
- Verkehr in NRW Vorsicht auf der Autobahn: Mehrere Unfallstellen rund um Köln
- 170 Personen überprüft Kölner Zoll kontrolliert Lkw-Fahrer auf Autobahnen
- Wahrzeichen Leverkusener Leuchtmasten leben länger
- Leverkusen Autobahn 1 und 3 zu Wochenbeginn im Kreuz gesperrt
Die Frau steht auf der Reuschenberger Straße und über ihr rauschen die Autos auf der Autobahn. Nadine Oggianu sagt, ihr Sohn sei wegen seiner Drogensucht gestorben: „Ich hasse die verdammten Dealer, die ihn zerstört haben.“ Und sie sagt: „Leverkusen hat ein übles Problem mit Jugendlichen, die Tabletten als Drogen nehmen.“
Ihr Junge, der wegen seines ADHS-Problems auf einer Förderschule war, hatte früh mit dem Kiffen begonnen, das unterscheidet sie nicht von vielen anderen Eltern. Dann, sagt sie, sei Luca an zwei Typen vom Gymnasium geraten, die ihn mit dem Medikament „Xanax“ in Kontakt brachten. Das wird gegen Angststörungen und Panikattacken verschrieben. Es wird unter verschiedenen Namen verkauft, man fühle sich sicher und wohl, wie in Watte, habe ihr ein Arzt gesagt. Die Pillen sind vergleichsweise billig und verschreibungspflichtig.
Nadine Oggianu hat sich tief in die Materie eingearbeitet. Xanax, das als Droge auch in Rap-Songs eine Rolle spielt, kann sehr schnell eine starke Sucht erzeugen. Luca sei in Bezug auf Drogen verführbar gewesen, sagt die Mutter. Von der ersten Tablette, sagt Frau Oggianu, habe es nur elf Monate gedauert, bis Luca in eine Entgiftung musste – einen Monat vor seinem Tod. Kaum war er da wieder raus, lungerte wieder ein Tabletten-Kumpel bei ihm in der Wohnung, das war an seinem letzten Nachmittag.
Dass Luca selbst auch dealte und deshalb mit der Polizei Probleme hatte, verschweigt sie nicht. Sie weiß, dass er auch am Todestag Drogen im Blut hatte. Unter anderem Ketamin, ein Mittel, das Not- und Tierärzte zum Betäuben nutzen. Und lila Sprite, „Lean“, eine sedierende Droge, hatte er für später in den Rucksack gepackt.
Leverkusen: Illegaler Rave unter der Autobahnbrücke
In der späten Nacht am 24. März sei unter der Autobahnbrücke an der Wupper in der Nähe des Tierheims ein illegaler Rave veranstaltet worden, hat Frau Oggianu herausgefunden. Ähnliche Veranstaltungen scheint es dort öfter zu geben, jedenfalls deuten Aufkleber in der Nähe darauf hin: „Enigmarave – Rave until Death“ steht darauf, ein anderer: „Demon raves 666“.
Irgendwie sei ihr Junge über die Autobahn in Richtung Burger King gelaufen, um sich mit einem Bekannten zu treffen. Von ihm erfuhr die Mutter, was seine letzten Worte waren: „Ich bin gleich am Burger-King.“ Dann der Knall. Frau Oggianu hatte einen Aufruf im Netz gestartet, um etwas über die Todesumstände zu erfahren. Der Unfall sei ganz bestimmt kein Selbstmord gewesen, habe der Mann gesagt.
Viel sicherer und einfacher hätte sich der Sohn mit einer Überdosis umbringen können, wenn er das gewollt hätte. Der Unfall könnte im Rausch unter den angstlösenden Drogen geschehen sein: Risiken, Abstände, Geschwindigkeiten, all das wird ja schon von Kiffern und Trinkern falsch eingeschätzt. Erst recht unter „Xanax“. Das toxikologische Gutachten unterstützt das.
Es gibt noch eine andere Ungereimtheit: An der Tür des „Burger King“ hängt ein Fahndungsplakat. Keine 100 Meter von der Unfallstelle im Wald wurden zwei Tage nach dem Unfall drei Koffer mit 60 Kilogramm Haschisch gefunden, die dort wohl eine Zeitlang gelegen haben. Möglicherweise wurden sie an dem Unfalltag da abgelegt und nicht abgeholt. Zufall? Die Polizei ermittelt.
Wie kommt es also zu der Suizid-Aussage der Kripo? Das soll der Fahrer des Kleintransporters kurz nach dem Unfall vermutet haben. Bei einer späteren Vernehmung soll er gesagt haben, dass er erst nicht gewusst habe, was ihm da vors Auto geknallt war: ein Tier, ein Koffer eines vor ihm fahrenden Autos, hat der Fahrer zu Protokoll gegeben.
Selbst wenn – es würde auch nichts ändern, der Sohn ist tot. Als die Polizisten am Morgen des 25. März im Beisein von zwei Notfallseelsorgern an ihrer Tür schellten, habe sie sofort gewusst, dass ihr ältester Sohn tot sei. „Das waren die Drogen“, habe sie spontan gesagt, erinnert sie sich. Ein Polizist habe später einmal gesagt, er sei tot, weil er diese Drogen konsumiert habe.
Nadine Oggianu steht in Opladen hinter der Lärmschutzwand und blickt auf die Autobahn 3. Hier fühle sie sich ihm nah, sagt Frau Oggianu: „Hier ist er seinen letzten Weg gegangen.“