Porträts und VideosAlle Leverkusener OB-Kandidaten im Überblick
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Wer will Oberbürgermeister oder Oberbürgermeisterin in Leverkusen werden?
In unserer Interviewreihe fühlen wir jedem Kandidaten und jeder Kandidatin auf den Zahn.
Alle Porträts und alle Videos finden Sie gebündelt in dieser Übersicht.
Leverkusen – Nur noch wenige Tage bis zum 13. September, an dem ein neuer Oberbürgermeister oder eine neue Oberbürgermeisterin gewählt wird. In unserer Interviewreihe fühlen wir jedem Kandidaten und jeder Kandidatin auf den Zahn. Finden Sie hier in einem Artikel alle Porträts der acht Kandidaten plus die dazugehörenden Videos.
Uwe Richrath
Der Anfang ist nicht leicht gewesen für den Seiteneinsteiger in die öffentliche Verwaltung. „Aber ich habe Ausdauer und ich bin sehr lernfähig“, sagt Uwe Richrath. Seit fünf Jahren ist der selbstständige Kaufmann, der zuvor in drei Geschäften in Remscheid und Wuppertal Oberbekleidung verkauft hat, Oberbürgermeister von Leverkusen. Und das heißt eben auch: Chef des Konzerns Stadt Leverkusen mit seinen 2700 Mitarbeitern.
„Ich verstehe Verwaltung heute besser“, sagt Richrath, der sich reingeschafft hat in die Rolle des Kommunalmanagers. Und der sich unversehens als Krisenmanager wiederfand.
Anfangs noch bei der Unterbringung von Flüchtlingen, zuletzt im Krisenstab zur Bewältigung der Corona-Pandemie, die Leverkusen mit forschem Vorangehen bisher gut hinbekommen hat.
Mit der Rückkehr aus den Ferien und dem Schulstart kommen neue Risiken hinzu. „Es geht hier nicht um Verbote – damit allein ist das nicht hinzubekommen“, ist sich Richrath sicher. „Es geht um Einsicht und um Selbstkontrolle.“ Gegenseitiger Respekt und Rücksichtnahme sind ihm wichtig. Richrath ist kein Poltergeist wie sein Vorgänger im Amt, er ist selten aus der Ruhe zu bringen. Lieber moderiert er und sucht den Ausgleich als mit dem Kopf durch die Wand zu wollen.
Dabei ist er ständig gefordert. Die Doppelrolle als Repräsentant einer Großstadt und deren Verwaltungschef ist mehr als ein Fulltime-Job. „Das Amt frisst einen auf“, bekennt Richrath, der auf seine Fitness achtet, regelmäßig läuft und mit dem Rad unterwegs ist, um die Sieben-Tage-Woche zu überstehen, die das Wort Feierabend nicht kennt.
Weil ein Oberbürgermeister immer und überall für alle da sein muss. Und der für alles verantwortlich gemacht wird, was so geschehen kann auf der Welt. Über das, was im Netz so zu lesen ist, will er sich lieber nicht aufregen. Das wäre Energieverschwendung.
Lieber sucht er das persönliche Gespräch. Das gilt für seine Kontakte in die Politik, besonders in die Nachbarstädte der Region, in die örtliche Wirtschaft und überhaupt – eine Lieblingsvokabel von ihm – in die „Stadtgesellschaft“. Es zieht ihn in die Stadtteile, in die Wohnquartiere, und wenn er jetzt mit seinem Lasten-E-Bike zu Wahlkampfständen in die Stadtteile fährt, bekommt er den direkten Bürgerkontakt, der ihm wichtig ist.
Da erfährt der Rathauschef, was die Bürgerinnen und Bürger wirklich bewegt. Nein, es sind nicht Autobahnbau oder City-Sanierung, weder die Gewerbesteuerpolitik noch das Schloss Morsbroich, die dann angesprochen werden. „Es geht vor allem immer wieder um Sauberkeit und Sicherheit, um Grünschnitt und Geschwindigkeitskontrollen. Und um Parkplätze, die sind inzwischen überall Mangelware.“
Das mache ihm auch deutlich, wie dringend es sei, eine Mobilitätswende hinzubekommen. „Wir ersticken in dieser Stadt an unseren Autos.“ Dass dies immer mehr Menschen bewusst werde, gebe aber auch Anlass zu Hoffnung.
Frank Schönberger
In Leverkusen kennt er sich wirklich aus, da macht ihm keiner was vor. Sein ganzes Leben hat er in dieser Stadt gewohnt, sich immer sozial engagiert. Doch erst 2002 ist Frank Schönberger in die Politik gegangen und in die CDU eingetreten.
„Ehrenamtliche Arbeit ist wichtig, man kann in dieser Gesellschaft nicht jeden Handgriff bezahlen. Aber ich habe auch gemerkt, dass das Ehrenamt seine Grenzen hat, dass man in der Politik vernetzt sein muss, um manche Dinge zu bewegen.“ Das hat ihm dann als Stadtbeauftragter des Malteser Hilfsdienstes geholfen und hat ihn schnell dazu gebracht, weiter nach Verantwortung zu streben.
Wie die Rechtswissenschaft, so hat Schönberger sich auch die Politik von Grund auf erarbeitet, im Stadtrat und der Bezirksvertretung I zunächst, später dann als Bezirksvorsteher im Bezirk III. In der City ist er als Sprecher der Werbegemeinschaft bis ins Detail im Wiesdorfer Stoff, in Schlebusch ist er inzwischen ebenso bestens verdrahtet.
Das Amt des Oberbürgermeisters reizt ihn, seit er es als Berater an der Seite von Reinhard Buchhorn genauer kennengelernt hat. Und er hat sich abgeschaut, was er anders machen will. Anders als Buchhorn – nämlich verbindlicher im Ton – und anders als Uwe Richrath – nämlich verbindlicher im Ergebnis.
Denn Ergebnisse fehlen ihm an zu vielen Stellen im Augenblick. Zum Beispiel bei der Revitalisierung der City, die „in einem verheerenden Zustand ist und bei der große Flächen nicht mehr für den Handel verwertbar sind“. Hier wünscht er sich an Stelle des City Centers mehr barrierefreie Wohnungen im Zentrum. Altersgerecht in der Stadtmitte wohnen, den Ärzteturm mit seinen Angeboten gleich nebenan – das hat doch was. Nach der Wahl sollen dafür zügig Strukturen geschaffen und Konzepte erstellt werden.
Ergebnisse wünscht Schönberger sich auch beim Schloss Morsbroich, für dessen Parkplatzbau er in der jüngsten Ratssitzung eine Mehrheit zusammenbekam. Das Schloss sei ein wichtiger Identifikationspunkt für Leverkusen und müsse wieder voll funktionstüchtig werden. Dafür müsse das schlüssige Konzept des Museumsvereins in Gänze umgesetzt werden. Auch das gehört zu seiner Kampagne „#Lev lieben“, in der Schönberger die Liebe zu seiner Heimatstadt als seinen Hauptantrieb herausstellt.
Ergebnisse soll auch die Wirtschaftsförderung Leverkusen bei der Ansiedlung von Unternehmen vorweisen können. Doch sei diese Stadttochter „personell erodiert“, und der Stadtdirektor und Kämmerer könne den Betrieb nicht auf Dauer nebenbei mit betreiben.
„Wir geben den Bürgern die Stadt zurück“ hat Schönbergers CDU ihr Wahlprogramm betitelt. Womit er vor allem eine modernere und effektivere Verwaltung meint, die als sich als Dienstleister für die Bürgerschaft versteht. „Oberbürgermeister und Dezernenten müssen Hand in Hand arbeiten und an einem Strang ziehen“, sagt Schönberger. Nicht allein im Fall der Baudezernentin, mit der er privat liiert ist, soll dies vertrauensvoll geschehen. „Eine funktionierende und zügig arbeitende Verwaltung, die Ideen professionell und zielorientiert umsetzt“, schwebt ihm vor. Eine umfassende und schnelle Digitalisierung ist dafür in jedem Fall die Voraussetzung.
Stefan Baake
Einen Lernerfolg hatte er schon. „Wahlkampf ist heute Werbung“, hat Stefan Baake festgestellt. Und sich darauf eingerichtet, als Kandidat für das Amt des OB auch einfach mal auf dem Plakat gut rüberzukommen, sich um Soziale Medien zu kümmern. Facebook, Instagram, alles von Bedeutung, gerade auch unter den Corona-Beschränkungen für die Wahlkämpfer von 2020.
Wer den 63 Jahre alten Grünen seit längerem beobachtet, stellt eine gewisse Verwandlung fest. Der Mann formuliert zupackend, seine Ziele sind klar – und für aussichtslos hält Baake seine Kandidatur keineswegs, denn: „Ich halte es für ausgeschlossen, dass es nur einen Wahlgang gibt.“ Acht Bewerber, von denen viele Außenseiter sind, dürften die beiden Kontrahenten von SPD und CDU zunächst so viele Stimmen kosten, dass ein Durchmarsch in Uwe Richrath oder Frank Schönberger für nicht wahrscheinlich gehalten wird. Daraus folgt die Ansage: „Mein Ziel ist es, in die Stichwahl zu kommen.“ Das hält Baake für umso realistischer, als „der Trend weiter für uns ist“.
Das gelte unabhängig von der Kritik, mit denen Leverkusens Grüne seit langem konfrontiert sind: dass sie zu pragmatisch Kommunalpolitik machen und das ökologische Profil dabei weitgehend verloren geht. Dass es ein „Grünes Bürgerforum“ gibt, das sich am Ende nicht einstimmig gegen Kandidaturen bei der Kommunalwahl am 13. September entschieden hat, nimmt Baake eher achselzuckend zur Kenntnis. „In der Kommune geht es nicht um Ideologie.“ Diesen Schluss er aus knapp einem Vierteljahrhundert im Stadtrat und 33 Jahren Mitgliedschaft bei den Grünen. Dazu passt, dass er mit dem seine Partei viele Jahre stressenden Streit zwischen Realos und Fundis „nie etwas anfangen konnte“.
Insofern fällt es Baake leicht, einerseits ohne Öko-Folklore seine politischen Ziele für die Stadt zu formulieren. Andererseits muss er mit Blick auf die umstrittene Öko-Siedlung am Bohofsweg, die einer klimatisch wichtigen Kaltluft-Schneise im Weg wäre und zur Verwunderung vieler von den Grünen im Bauausschuss gefeiert wurde, Voreiligkeit einräumen: „Das muss man sich noch einmal ganz genau anschauen.“
Ökologische Sensibilität hat Baakes Kernforderung nicht – sie betrifft den Wohnungsbau. „Da muss noch deutlich mehr passieren“, wenngleich Amtsinhaber Uwe Richrath sein Ziel 1000 neue Wohnungen sogar übererfüllt hat. Aus Sicht des Grünen droht auch Leverkusen ein für viele nicht mehr bezahlbares Mietniveau, weil Theorie und Praxis auseinander fallen: „Wenn mir zwei große private Vermieter sagen, dass der Mietspiegel sie nicht interessiert, dann muss etwas passieren.“
Was? „30 Prozent Sozialwohnungen bei allen Projekten, die angepackt werden.“ Es gehe nur noch mit einer festen Quote, weil sonst bei jedem Bauprojekt darüber diskutiert werde, wie viel sozialer Wohnungsbau denn möglich und verträglich sei. Den Einfluss der WGL und der Bauvereine auf den Gesamtmarkt dürfe man eben auch nicht überschätzen, sagt Baake, der auch im Aufsichtsrat der WGL sitzt. Wohnen werde dominiert von den kleineren Vermietern. Und dass jemand unter Hinweis auf den Mietspiegel klagt und dann Gefahr läuft, seine Bleibe zu verlieren, „ist ja nicht sehr wahrscheinlich“.
Es geht ihr einfach nicht schnell genug. „Es gibt so viele Baustellen in der Stadt“, sagt Monika Ballin-Meyer-Ahrens und zeigt aus dem Fenster der Redaktion am Friedrich-Ebert-Platz. „Auf eine haben Sie hier ja eine wunderbare Sicht.“ Gemeint ist die größtenteils leerstehende City C. „Ich glaube nicht, dass bisher mit vollem Herzen Investoren gesucht wurden.“ Auch wenn das Hickhack um die Parkplätze am Schloss zur Sprache kommt, Platz Ballin-Meyer-Ahrens der Kragen. „Man kann nicht für ein Gesamtkonzept stimmen und dann nimmt sich jeder das Puzzleteil raus, das ihm nicht passt, so geht es nicht. Da muss ein Oberbürgermeister auch mal auf den Tisch hauen und sagen: Ich will das oder ich will das nicht.“
Deswegen hat ihre Partei entschlossen, nicht erneut den CDU-Kandidaten zu unterstützen, sondern selbst eine Kandidatin zu nominieren.
„Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, dass wir selbst etwas tun müssen“, sagt Ballin-Meyer-Ahrens. Dass sie die einzige Frau im Rennen ist, werde in der Bevölkerung wahrgenommen, sei aber für sie nicht bedeutend: „Ich kandidiere nicht, weil ich eine Frau bin, sondern weil ich überzeugt bin, dass ich mit der FDP das bessere Konzept habe.“
Sich selbst bescheinigt die gebürtige Wilhelmshavenerin eine gehörige Portion Ungeduld. Vor allem, wenn Dinge nicht voran gehen: „Dann werde ich noch ruheloser.“ Dass die Uhren im Rheinland anders ticken, hat sie nach ihrem Umzug 1989 von Kiel nach Leverkusen bald bemerkt. „Der Norddeutsche lamentiert nicht lange rum, der sagt: Das war nicht toll. Hier heißt es eher: Da ist noch Optimierungsbedarf, überlegt euch was.“
Monika Ballin-Meyer-Ahrens gibt gerne selbst das Tempo vor. Als Mutter von zwei Söhnen, als selbstständige politische Beraterin für Entwicklungsländer, in der Kommunalpolitik, für die sie sich seit ihrem 14. Lebensjahr engagiert. „Ich habe immer gedacht: Politik ist wichtig, wenn man was verändern will, muss man sich einbringen.“ Ambitionen auf Landes- oder Bundesebene aktiv zu werden, habe sie nie gehabt. „Kommunalpolitik ist direkt und nah an den Menschen“, sagt die Ratsfrau, die in auch mehrere Jahre in den USA gelebt hat.
Für ihre Kandidatur hat sich Ballin-Meyer-Ahrens drei Schwerpunkte gesetzt:
1. Verwaltung neu aufstellen. „Wir wünschen uns die Verwaltung mehr als Dienstleister für den Bürger“, sagt die FDP-Ratsfrau. Mehr Service, bessere Digitalisierung etwa bei Terminvergaben, freundlichere Ansprache. „Bei den Zuständen in der KFZ-Zulassungsstelle ist es kein Wunder, dass es einen Ordnungsdienst braucht.“
2. Digitalisierung – auch hier geht es Ballin-Meyer-Ahrens zu langsam: „Wir haben 16 Millionen Euro zur Digitalisierung von Schulen bewilligt bekommen. Nach vier Jahren waren 600 000 Euro davon abgerufen. Wären wir da weiter gewesen, hätten wir viele Probleme, die wir jetzt mit dem Homeschooling hatten, besser regeln können.“
3. Wirtschaft ankurbeln. „Wir sollen als Verwaltung nicht immer sagen: Nee, aus baurechtlichen-, lärmschutz-, abstands-, öko- oder sonstigen Gründen geht das nicht. Wir sollten sagen: Wie machen wir es möglich, unter welchen Bedingungen?“ Das gelte für die Neuansiedlung von Unternehmen wie für die Interessen von Bestehenden. Die Gewerbesteuersenkung begrüßt sie: „Ich glaube, ich habe keine Haushaltsrede gehalten, in der ich das nicht gefordert habe.“
Karl Schweiger
Es gibt viele Themen, die Karl Schweiger so richtig in Rage bringen. Sich aufregen, ärgern, poltern, das kann der 69-jährige Hitdorfer und Oberbürgermeisterkandidat der Bürgerliste sehr gut. Ein Thema liegt ihm aber besonders am Herzen, und das ist der Ausbau der Autobahn 1.
Falls die auf einer großen Stelze durch die Stadt geführt wird (von Straßen NRW aufgrund der geringen Kosten favorisiert), wäre es „das größte Desaster, was auf die Leverkusener zukommt, die größte Katastrophe, die man den Leverkusenern antun kann“ – mehr Superlativ geht selbst für Karl Schweiger nicht.
Rigoros seien von allen Parteien und auch vom amtierenden OB Richrath die Pläne für die so genannte Kombilösung (mit langem Rheintunnel, Anm. d. Red.) abgelehnt worden, echauffiert sich Schweiger. Eine deutliche niedrigere Umweltbelastung und deutlich mehr Platz zur Verfügung: Schweiger spricht von ungefähr 23 Hektar Fläche, die jetzt die Stelze einnimmt, die bei einem Tunnel (letztendlich egal, ob es ein kurzer oder lange würde), den Bürgern als „Central Park“ zugute kommen könnte.
Die anderen Parteien hätten sich „mit der Sache nicht befasst und haben keine Ahnung“, verteilt Schweiger Seitenhiebe auf die politische Konkurrenz.
Der Ausbau der A1 ist ja nicht das einzige Verkehrsproblem, vor dem Leverkusen steht. Da wäre auch noch die ungeliebte A1-Raststätte, die geplant wird. Leverkusen würde in den Augen des Landes oder des Bundes als „Auspuff der Nation“ gesehen – Karl Schweiger mag klare, plakative, provozierende Worte. Und da ärgert er sich wieder.
Auch beim Thema City C positioniert sich der gebürtige Bayer, den es mit zwei Jahren nach Monheim verschlug und dann 1970 nach Hitdorf, eindeutig: Wiesdorf soll ein neues Hotel bekommen – aber wie ursprünglich vorgesehen in der City C statt auf dem Postgelände. Die Planungen Uwe Richraths, Teil der Verwaltung in der heruntergekommenen Einkaufspassage anzusiedeln (was die Bürgerliste eigentlich unterstützt), reichen Schweiger nicht aus. „Die ganze Corona-Krise hat uns auch gezeigt, dass es mit Bürogebäuden ja auch nicht mehr so weit her ist“, merkt er an. Er setze da eher auf Wohnbebauung.
Der Hitdorfer mit seiner Bürgerliste gefällt sich durchaus in der Rolle des „Advocatus diaboli“: „Wer soll denn sonst Opposition machen, wenn nicht wir?“ Und greift erneut die politische Konkurrenz im Stadtrat an: „Wenn die »Oberen« – Land oder Bund - was sagen, dann marschieren die hinterher, ohne das in Frage zu stellen.“ Den Begriff „enfant terrible“ mag er aber nicht, „das ist ja schon fast abwertend“. Schweiger sieht die Bürgerliste als einzige wirkliche Opposition in Leverkusen, die anderen seien zu „windschnittig und angepasst“. „Wenn es uns nicht gäbe, müsste man uns erfinden“, gibt er sich selbstbewusst. Den Vorwurf, er würde populistisch agieren, kann er aber auch nicht wirklich entkräften.
Zu alt findet sich Karl Schweiger mit seinen 69 Jahren nicht für das Amt, das er anstrebt. „Gucken Sie mich an“, meint er schmunzelnd. „Ich habe abgesehen davon, dass mir die Hitze doch etwas zu schaffen macht, kein Zipperlein“, fügt er stolz hinzu. Er habe lange überlegt, als seine „Mannschaft“ ihm angetragen habe, er sei der Einzige, der das voranbringen könne, seitdem Parteikollege Ehrhard Schoofs krankheitsbedingt kürzer tritt. Wenn er sich die anderen Kandidaten anschaue, dann sei da „keiner dabei, der für die Bürger da ist, der bei der Autobahn den Mund aufmacht“. Da habe er sich gedacht: „Wenn ich eine Chance habe, werde ich das mit der Autobahn wirklich in die Hand nehmen.“
Christian Alexander Langer
Zum Gesprächstermin erscheint er in schwarzer Anzugjacke, roter Krawatte – und einem T-Shirt der Punkrockband Wizo, auf dem steht: „Zäune und Grenzen töten Menschen“. So direkt tragen die wenigsten Politiker ihre Meinung nach außen – auch wenn es in Zeiten wie diesen manchmal wohl nicht ganz unangebracht wäre, dies zu tun. Aber Christian Alexander Langer ist ja auch kein normaler Politiker. Er ist der OB-Kandidat der Partei „Die Partei“. Und wer Mitglied der Partei Die Partei ist, der agiert abseits des politischen Mainstreams. Weil er sich der Satire verschrieben hat.
Eine kurze Erinnerung: Die Partei ist jene Partei, die einst vom Team der Satirezeitschrift „Titanic“ um Martin Sonneborn gegründet wurde und seither die Politlandschaft des Landes aufmischt mit provokanten Aktionen: So verkauften die Parteimitglieder einmal Geldscheine, um sich zu finanzieren – für 105 Euro gab es einen 100-Euro-Schein. Und seitdem Sonneborn ins Europaparlament gewählt wurde, geht er den dortigen etablierten Politikern gehörig auf den Keks mit Aktionen und Reden, die auf den ersten Blick wirr und krude erscheinen. Indes: Letztlich ist es genau diese Herangehensweise zwischen Unverschämt- und absoluter Schmerzfreiheit, die der, Realpolitik oftmals den Spiegel vorhält und elitäres Denken, Korrumpierbarkeit und rechtsextreme Ansichten gnadenlos entlarvt. Satire eben. Die darf bekanntlich fast alles. Auf jeden Fall darf sie bei einer OB-Wahl mitmischen.
Langer, geboren 1993 in Langenfeld, dort aufgewachsen, seit einigen Jahren in Leverkusen lebend und als Erzieher in einem Düsseldorfer SOS-Kinderdorf tätig, tut das außerdem ja auch für Die Linke und die Piraten, die hinter ihm stehen und selbst keinen Kandidaten aus den eigenen Reihen entsenden, um gegen den Sozialdemokraten Uwe Richrath anzutreten. „Wir haben gemerkt, dass wir thematisch viele Überschneidungen mit der Linkspartei und den Piraten haben. Und da wir uns entschieden haben, nicht selber auf der Liste zu stehen, haben wir zusammen mit der Linken entschieden, dafür eben den OB-Kandidaten zu stellen, weil wir die größere Fraktion im Bündnis sind und unsere Vormachtstellung klar zeigen zu können. Zudem bin ich die offensichtlich beste Wahl.“Und auch wenn Lange selbst zugibt, dass seine Chancen, erster Bürger dieser Stadt zu werden, eher mau stehen, so weiß er doch, dass er mit Satire als Pfund wuchern kann. „Weil sie einem in Leverkusen nämlich überall begegnet“, wie er sagt. Meist als Realsatire. Beispiel: Rheinbrücke und Stelze. Er würde das Thema mit einem Rundumschlag lösen: „Wir könnten die Umweltbelastung deutlich reduzieren, wenn wir einfach eine Mauer quer über die heutige Brücke bauen. Oder wenn wir eine Fähre einrichten. Wir müssten natürlich ein altes Modell nehmen. Dann wären wir sehr schnell kein Verkehrsknotenpunkt mehr – weil keiner mehr hierherkommen würde, um den Rhein zu queren. Wir wären die Feinstaubbelastung sofort los.“
Wer der Partei Die Partei und ihm selbst den nötigen Ernst abspricht, der bekommt von Langer deutliche Worte zu hören: „Wir haben vor allem den Auftrag, in die Politik hineinzukommen und zu zeigen: Was läuft da seltsam? Was ist politischer Alltagswahnsinn?“ Und das sei gut. „Wissen Sie: Wir haben hier in Leverkusen als nächstjüngeren Kandidaten für die OB-Wahl nach mir einen 57-Jährigen. Das ist Markus Beisicht. Und bei so etwas sehe ich dann schon eine gewisse Distanz zur Wählerschaft. Die Partei kommt ja nicht umsonst vor allem bei Erst- und Jungwählern gut an – weil es für die keine Identifikationsfiguren gibt.“ Letzte Rettung also: Die Partei.
Roland Hartwig
Nein, er wäre nicht der erste Oberbürgermeister in Leverkusen, der auch bei Bayer gearbeitet hat. Das hätte der ehemalige Chefjurist des Chemiekonzerns, Roland Hartwig, mit Horst Henning (SPD) gemeinsam, der von 1984 bis 1994 als OB die Stadt regierte. Hartwig wäre aber der erste Stadtchef der AfD, die sich in diesem Jahr erstmals um Sitze im Stadtrat bemüht und auch einen eigenen OB-Kandidaten ins Rennen schickt.
Hartwig soll es versuchen, 65 Jahre alt, hat für einige Zeit unter anderem in Bergisch Gladbach gelebt, bevor er vor einigen Wochen nach Potsdam umgezogen ist. Seit 2017 sitzt er im Bundestag. Und nun will er Oberbürgermeister einer 167000-Einwohner-Stadt werden? „Ich halte es für offen, ob ich noch mal kandidiere“, sagt Hartwig über seine Zukunft als Abgeordneter. „Das mache ich auch davon abhängig, ob ich in Leverkusen eine Chance habe.“
Mit der AfD versucht nun eine zweite rechtspopulistische und rechtsextreme Partei (neben Aufbruch Leverkusen, der ehemaligen „Pro NRW“-Partei) ihr Glück in Leverkusen. Bislang konnten Stadt und Bürger ein Erstarken der Rechten verhindern. Vor zwei Jahren deckte der „Leverkusener Anzeiger“ Verbindungen des hiesigen AfD-Sprechers zur rechtsextremen „Identitären Bewegung“ auf – obwohl die AfD die Zusammenarbeit der vom Verfassungsschutz beobachteten Gruppierung in einem Beschluss verboten hatte. Doch auch Teile der AfD selbst – unter anderem der inzwischen offiziell aufgelöste „Flügel“ und der Parteinachwuchs „Junge Alternative“ – sind im Visier der Verfassungsschützer.
Wofür seine Partei steht, macht Roland Hartwig unmissverständlich klar: Geht es darum, die Wohnraumnot in den Städten zu bekämpfen – für ihn „ein Thema allererster Priorität“ – zähle dazu, „dass wir Menschen, die kein Recht haben, hier zu sein, nicht mit Wohnraum versorgen“. Wer dieses Recht für ihn nicht habe? „Menschen, die kein Aufenthaltsrecht haben, die dieses Land auch verlassen müssen“, sagt er. „Die aus irgendwelchen Gründen, die die Politik im Augenblick zu verantworten hat, nicht abgeschoben werden“, empört sich Roland Hartwig.
In die Waagschale wirft Hartwig, dass er 33 Jahre seines Berufslebens hier verbracht und Familie im Umfeld habe. Die Stadt wolle er weiterentwickeln, „vor allem mit Blick auf Sicherheit, Themen wie Autobahnbau“ und er will mehr Touristen anlocken – unter anderem mit einem attraktiveren Rheinufer.
Zum Thema „A-1-Ausbau“ hatte sich Hartwig im Vorfeld klar positioniert: „Die Planungen zur Autobahnführung sind abgeschlossen, ein Tunnelbau ist nicht vorgesehen.“ Gleiche Meinung auch zum Rastplatz: „Die bereits fertige Planung wird nicht in Frage gestellt.“ Alles durchwinken trotz der ganzen Proteste in der Stadt? Man müsse sich anschauen, warum die Leute gegen die Rastanlage seien, erklärt der 65-Jährige. Er vermutet, es gehe primär um Lärm- und Verkehrsemissionen, da sollte man sich dafür einsetzen, dass man sie durch „gute Maßnahmen“ minimiert.
Gleiches gelte für die A 1: „Schon zu meiner Bayer-Zeit wurde eine Tunnellösung diskutiert und wieder verworfen“, erzählt Hartwig. „Ich glaube nicht, dass es realistisch ist, das Thema noch mal aufzuwärmen.“ Seine Alternative? Wie im Kölner Norden beim Tunnel Köln-Lövenich sollte man überlegen, ob „eine Bedachung im Stadtbereich“ nicht die Lösung ist.
Radwege weiter ausbauen, Radverkehr fördern, das findet Hartwig unterstützenswert. Aber: „Ich finde es nicht gut, wenn man sich feindlich dem Auto gegenüber positioniert. Wenn man also nur noch 30er-Zonen schafft, keine grünen Wellen mehr durch die Stadt zulässt“, erläutert er. Die Qualität der Innenstädte leide darunter, wenn die Leute nicht mehr zum Einkaufen kommen. Als „extremes Beispiel“ für Autofeindlichkeit nennt er Freiburg.
Markus Beisicht
Voriges Mal trat er noch für Pro NRW an, und das war eine Partei. Seit reichlich einem Jahr heißt die politische Heimat von Markus Beisicht „Aufbruch Leverkusen“, ist eine Bewegung, die sich „wesentlich breiter aufstellt“, sagt Beisicht. Rückt der Anwalt mit seinen Unterstützern etwa von ganz rechts in die Mitte? Das nicht: Natürlich sei der Aufbruch „eher ein rechtes Projekt“.
Dass der äußere rechte Rand im Rat wieder einen Kandidaten für die Oberbürgermeisterwahl ins Rennen schickt, hält Beisicht für normal. Aus seiner Sicht hat sich der Umgang mit den anderen Fraktionen nach zehn Jahren ein wenig normalisiert. Wohl auch, „weil wir die Reizthemen etwas zurückgefahren haben“. Man schätzt einander zwar nicht, aber man kennt sich nun mal. Das gelte „am meisten noch in der Bezirksvertretung“, sagt der Rechtsanwalt. Er vertritt den „Aufbruch“ im Stadtbezirk II.
Als die neue rechte Bewegung gegründet wurde, profilierte sie sich mit dem Protest gegen den Neubau des Marokkanischen Kulturvereins in Manfort. Der Plan für das Kulturzentrum war überarbeitet worden: Kuppel und ein Mini-Minarett machen das Gebäude, dessen Bau sich stark verzögert, zum islamischen Symbol. Beisicht und der „Aufbruch“ reden von einer „Protz-Moschee“ und haben das Projekt immer wieder ins Visier genommen.
Aber für den OB-Kandidaten sei es bei weitem nicht das wichtigste Thema: „Das hat voriges Jahr eine größere Rolle gespielt, jetzt geht es um andere Dinge: die Abgabenlast für die Bürger, den Einfluss der Parteien auf die Stadtverwaltung, den Stillstand an vielen Stellen der Stadt.“
Auch Beisicht hält die Lage in der City C für fatal. Liegenlassen, das hätte sich die Stadtspitze niemals leisten dürfen. Aber nicht nur Wiesdorfs Innenstadt brauche viel mehr politisches Engagement, auch die Bahnstadt Opladen „verliert gerade ihr Momentum“. Verantwortlich sei dafür nicht nur der OB als Chef der Stadtverwaltung – auch bei den Dezernenten gebe es Defizite, und das liege an einem Grundübel der kommunalen Politik, so Beisicht: „Die Parteien haben zu viel Einfluss, bei der Besetzung von Führungspositionen geht es nicht nach der Qualität.“ Wäre Beisicht OB, es gäbe vor Neubesetzungen von städtischen Spitzenpositionen „Findungskommissionen, die auch wirklich suchen“.
Auch die Abgabenlast ist für ihn ein großes Thema. Müll, Kita, Wohnen – alles sehr teuer in Leverkusen. Das müsse sich ändern, „auch wenn das nicht in einer Wahlperiode zu schaffen ist“, räumt er ein. Weil Strukturen verändert werden müssten. Dass eine breite Ratsmehrheit die Grundsteuer nur „kosmetisch reduziert“, den Hebesatz für die Gewerbesteuer aber fast halbiert habe, bezeichnet Beisicht als „zutiefst unsozial“.
Für den „Überraschungscoup“ bei der Gewerbesteuer hat er gar nichts übrig. „Eine Kriegserklärung ans Umland“ sei das und eine neue Runde in einem „Unterbietungswettbewerb“ der Kommunen, der nachteilig für die einfachen Leute sei. Die Senkung der Gewerbesteuer ist für den Rechten lediglich eine neue Form des eingeübten Leverkusener Prinzips: „Der große Player wird immer nur mit Samthandschuhen angefasst.“