Leverkusen – Deutschland feiert ein Jubiläum: Seit 1700 Jahren leben Jüdinnen und Juden auf dem heutigen Bundesgebiet. In ganz Deutschland wird das in diesem Jahr mit unterschiedlichen Aktionen gewürdigt. Wie es um das jüdische Leben im gesamten Rheinland bestellt ist, hatte Dr. Uri Kaufmann, einer der Konzeptentwickler für das Jüdische Museum in Berlin und Leiter der Alten Synagoge in Essen, im Frühjahr auf Einladung des Opladener Geschichtsvereins erläutert. Die Historie der Juden in Leverkusen zusammengetragen hat darüber hinaus die ehemalige Leiterin des Stadtarchivs, Gabriele John, in dem Buch „Leverkusen. Geschichte einer Stadt am Rhein“.
In Leverkusen tauchen Mitte des 18. Jahrhunderts erste Spuren des jüdischen Lebens auf – in Gestalt einer Familie mit dem Namen Mendel Moyses in Wiesdorf. 1846 gab es acht jüdische Familien in Leverkusen: In Hitdorf der Viehhändler Levi Herz, in der damaligen Bürgermeisterei Opladen zwei Familien Seckel, zwei Familien Salomon sowie die Familien des Kleinkrämers Isaak Heumann und des Lazarus und von Rebecca Levy.
Der Name „Heumann“ lässt direkt auf die erste jüdische Familie schließen, die sich in Wiesdorf angesiedelt hatte, ihr Sohn wurde auf den Namen Heimann getauft. Der Name Seckel lässt sich auf einen Mann namens Sekkel Samuel zurückführen, der 1812 aus Hessen nach Wiesdorf zog und die 1792 geborene Tochter des Juden Heimann heiratete. 1817 soll die Familie nach Opladen in die Nähe der Remigius-Kirche gezogen sein, erklärt Gabriele John. Die nächsten vier Generationen dieser Familie „haben in Opladen gelebt und für die kleine jüdische und politische Gemeinde eine große Rolle gespielt“.
Samuels Verdienst war es auch, 1833 das Grundstück an der Grenze von Opladen und Bürrig für einen Friedhof erworben zu haben. 1939 nach den Pogromen endete hier das Kapitel der jüdischen Bestattungen in Leverkusen, bis auf eine Ausnahme wurde nach dem Zweiten Weltkrieg kein Jude oder keine Jüdin mehr auf dem historischen Friedhof begraben – bis 2016. In dem Jahr nahm der hiesige jüdische Verein Davidstern „seinen“ Friedhof als Teil des neu entstehenden jüdischen Lebens in Leverkusen wieder in Betrieb.
Russische Wurzeln
Ein Großteil der Mitglieder von Davidstern hat russische Wurzeln. Historiker Uri Kaufmann erklärt, dass seit 1990 die Zuwanderung aus der ehemaligen UdSSR die Zahl der jüdischen Gemeinden in Deutschland wieder ansteigen lässt, aktuell seien „die jüdischen Gemeinden sehr russisch geprägt“, so der Geschichtsexperte.
Im 19. Jahrhundert sei die rechtliche Stellung der Juden im Bergischen Land ungeklärt gewesen, hat Gabriele John recherchiert. 1853 konstituierte sich der „Synagogenbezirk Opladen“, der neben Opladen die Orte Wiesdorf, Bürrig und Neukirchen umfasste und 1857 mit der Synagogengemeinde Solingen vereinigt wurde.
1858 lebten in Opladen 30 Juden, 1879 wurde hier eine eigene Synagoge errichtet. Die lokale Politik hatte diesen Wunsch nach einem eigenen Gotteshaus unterstützt: In den 1860er Jahren, vor dem Bau der Synagoge, hatte der damalige Opladener Bürgermeister Vetter die jüdischen Familien als „achtbare Mitglieder unserer bürgerlichen Gemeinden“ bezeichnet. Die Familien lebten, da sie keinen Boden kaufen und kaum ein Handwerk ausüben durften, „von der Metzgerei, dem Klein- und Viehhandel“, beschreibt Gabriele John. Auch Historiker Uri Kaufmann konnte das Vorurteil des „reichen Juden“ nicht bestätigen: Viele hätte einfach gelebt und nicht jeder sei damals gebildet gewesen.Die Opladener Synagoge ist indes Geschichte: Auch sie wurde wie so viele andere in der Reichskristallnacht im November 1938 verwüstet und in Brand gesteckt. Der Name „Platz der Synagoge“ erinnert heute noch an das Gebäude. (mit rar)
Dekret von 321
Für den Beginn jüdischen Lebens im Rheinland wird häufig auf ein Dekret von 321 verwiesen, das im Codex Theodosianus, dem ersten römischen Gesetzbuch, überliefert ist. Darin wird den Juden gestattet, am Kölner Stadtrat mitzuwirken – und gilt als Beweis, dass zu diesem Zeitpunkt bereits Juden am Rhein lebten. (aga)